Grenzüberschreitende Spaltungen möglich
Von Hartwin Bungert und
Christian Strothotte*)
Ab Februar 2023 wird der Baukasten für grenzüberschreitende Transaktionen und Umstrukturierungen um neue gesetzliche Regelungen für grenzüberschreitende Verschmelzungen, Spaltungen und Formwechsel erweitert. Das Gesetz mit dem Namen UmRUG setzt die europäische Umwandlungsrichtlinie um. Aktuell liegt der Regierungsentwurf vor, der noch das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren durchlaufen muss. In Deutschland gelten die neuen Regelungen für die AG, die SE, die KGaA und die GmbH.
Neue Gestaltungsoptionen
Die größte Neuerung sind für die Praxis die erstmals gesetzlich geregelten Gestaltungsmöglichkeiten für grenzüberschreitende Spaltungen. Anders als grenzüberschreitende Verschmelzungen und Formwechsel, für die auch bislang Praxislösungen bestanden, kamen echte grenzüberschreitende Spaltungen trotz großer praktischer Nachfrage bislang nur sehr vereinzelt vor. Sie setzten voraus, dass die Handelsregister beider Länder auch ohne gesetzliche Regelung mitspielten. Das ändert sich im Zuge der Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie.
Der Praxisschwerpunkt der neuen Regelung für grenzüberschreitende Spaltungen wird in der Erleichterung grenzüberschreitender Umstrukturierungen von Konzernen liegen. Aber auch für grenzüberschreitende Transaktionsszenarien bei börsennotierten Gesellschaften ergeben sich neue Gestaltungsmöglichkeiten. Bislang gab es solche Abspaltungen nur bei inländischen börsennotierten Aktiengesellschaften, wie zuletzt etwa mit den Spin-offs von Siemens Energy oder Daimler Truck.
Der Gesetzentwurf sieht auch Lösungen für die Spaltung mitbestimmter Gesellschaften vor. Wenn die übertragende Gesellschaft mitbestimmt ist oder zumindest 4/5 des Schwellenwerts für die unternehmerische Mitbestimmung der Arbeitnehmer erreicht (sogenannte 4/5-Regelung), muss über die Beteiligung der Arbeitnehmer in der aus der Umwandlungsmaßnahme hervorgehenden Gesellschaft verhandelt werden. Bei einer deutschen übertragenden Gesellschaft sind damit ab einer Größenordnung von 400 Arbeitnehmern Verhandlungen zu führen (4/5 des Schwellenwerts von 500 Arbeitnehmern für die Drittelbeteiligung).
Führen die Verhandlungen nicht zu einer Einigung, gilt in der hervorgehenden Gesellschaft als Auffanglösung dauerhaft das bisherige Mitbestimmungsregime der übertragenden Gesellschaft. Die 4/5-Regelung kann daher keine unternehmerische Mitbestimmung erzwingen. Es bleibt bei der Mitbestimmungsfreiheit als Auffanglösung, wenn das Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren nur aufgrund der 4/5-Regelung durchzuführen ist. Bei der Hineinspaltung aus Mitgliedstaaten, die überhaupt keine Mitbestimmung kennen, ist ein Verhandlungsverfahren gänzlich entbehrlich, aber gegebenenfalls die Anwendbarkeit deutscher Mitbestimmungsschwellen zu berücksichtigen.
Anfechtung beschränkt
Der Mitbestimmungsstatus der übertragenden Gesellschaft als Auffanglösung erscheint stimmig, wenn eine Gesellschaft durch grenzüberschreitende Verschmelzung wächst oder bei einem Formwechsel gleich groß bleibt. Bei grenzüberschreitenden Spaltungen, aus denen kleinere Einheiten mit geringer Arbeitnehmerzahl hervorgehen können, führt die Auffanglösung hingegen zu unstimmigen Ergebnissen. Spaltet etwa eine paritätisch mitbestimmte Gesellschaft einen kleinen Unternehmensteil mit 30 Arbeitnehmern über die Grenze ab, wäre nach der gesetzlichen Auffanglösung auch die neue Gesellschaft mit 30 Arbeitnehmern paritätisch mitbestimmt. Diese Unstimmigkeit ist bereits durch die Umwandlungsrichtlinie vorgegeben, so dass der deutsche Gesetzgeber bei der Umsetzung keine andere Wahl hatte. Dies kann dazu führen, dass in bestimmten Konstellationen alternative Transaktionsstrukturen vorzuziehen sind. Gegebenenfalls lässt sich bei abzuspaltenden Kleinsteinheiten aber auch vorab ein Verzicht auf unpassende Mitbestimmungsregeln aushandeln.
Der Schutz der Anteilsinhaber erfolgt bei grenzüberschreitenden Umwandlungsmaßnahmen durch das Erfordernis der Zustimmung der Anteilsinhaberversammlung mit besonderer Mehrheit (grundsätzlich 3/4). Ferner bedarf es eines Angebots an die Anteilsinhaber der übertragenden Gesellschaft, gegen Barabfindung auszuscheiden. Denn diese würden sonst ungewollt Anteilsinhaber einer Gesellschaft ausländischen Rechts. Zudem kann die Angemessenheit sowohl der Barabfindung als auch diejenige des Umtauschverhältnisses für die gewährten Anteile an der aus der Umwandlungsmaßnahme hervorgehenden Gesellschaft in einem gerichtlichen Spruchverfahren nach Wirksamwerden der Maßnahme überprüft werden.
Eine wichtige Neuerung des Gesetzesentwurfs ist dabei, dass die Rüge, das Umtauschverhältnis sei nicht angemessen, nicht mehr nur bei der übertragenden Gesellschaft, sondern zukünftig auch bei der übernehmenden Gesellschaft nicht mehr dazu genutzt werden kann, die Wirksamkeit der Spaltung durch gerichtliche Klagen anzugreifen.
Stattdessen kann die Angemessenheit des Umtauschverhältnisses von den Anteilsinhabern sowohl der übertragenden als auch der übernehmenden Gesellschaft nachträglich in einem gerichtlichen Spruchverfahren überprüft werden. Als weitere Neuerung kann bei einem im Spruchverfahren ermittelten Nachbesserungsbedarf der erforderliche Ausgleich nicht mehr nur als bare Ausgleichszahlung erfolgen, sondern zukünftig auch liquiditätsschonend in Form zusätzlicher Aktien.
Beide Neuerungen machen Umwandlungsmaßnahmen bei börsennotierten Gesellschaften erheblich leichtgängiger und sicherer. Zu begrüßen ist, dass die Regelungen künftig auch für inländische Verschmelzungen und Spaltungen gelten sollen. Dies war in den letzten Jahren in der Praxis häufig vermisst worden.
Etwas über das Ziel hinausgeschossen sind im Gesetzesentwurf die Regelungen zum Gläubigerschutz, der durch eine vorgelagerte Sicherheitsleistung erfolgen soll. Anders als bei gesetzlichen Sicherungsansprüchen üblich, kann die grenzüberschreitende Umwandlungsmaßnahme nicht vollzogen werden, bevor das zuständige Zivilgericht über Sicherungsansprüche entschieden hat.
Diese Blockademöglichkeit könnte ein neues Betätigungsfeld für räuberische Gläubiger schaffen, die sich ihre Verhandlungsposition abkaufen lassen oder sich anderweitige Vorteile ausbedingen. Es ist daher zu hoffen, dass im weiteren Gesetzgebungsverfahren noch eine praxisgängigere Lösung umgesetzt wird. Jedenfalls bei konzerninternen Spaltungen sind regelmäßig keine nennenswerten Sicherungsverlangen zu erwarten, und bei Hineinspaltungen nach Deutschland kommt es ohnehin auf die Gläubigerschutzregeln im anderen EU-Mitgliedstaat an, die gegebenenfalls mobilitätsfreundlicher sind.
Rege Nutzung zu erwarten
Für die Praxis ist die Vereinheitlichung des Verfahrens für grenzüberschreitende Spaltungen sehr zu begrüßen. Sie verspricht die schnellere und sicherere Umsetzbarkeit grenzüberschreitender Spaltungstransaktionen. Für einiges Aufsehen hatte es zunächst gesorgt, dass die Registergerichte nach dem Gesetzesentwurf grenzüberschreitende Umwandlungen auf missbräuchliche Gestaltungen kontrollieren sollen. Dies spielt aber bei einer normalen Umstrukturierung im Konzern grundsätzlich keine Rolle.
Das Registergericht muss nur bei sich aufdrängenden Anhaltspunkten für eine missbräuchliche Gestaltung Nachforschungen anstellen. Das kann lediglich in außergewöhnlichen Fällen wie etwa einer vermuteten Gläubigerbenachteiligung in Insolvenznähe der Fall sein. Diese Zurückhaltung ist sehr zu begrüßen, um gewöhnliche Umstrukturierungen in angemessener Zeit durchführen zu können.
Wenn auch andere EU-Mitgliedstaaten die Umwandlungsrichtlinie fristgemäß umsetzen, könnten erste Transaktionen nach dem neuen Instrumentarium bereits im ersten Halbjahr 2023 umgesetzt werden. Es ist zu erwarten, dass die Praxis von den neuen Möglichkeiten regen Gebrauch machen wird.
*) Dr. Hartwin Bungert ist Partner und Dr. Christian Strothotte Counsel von Hengeler Mueller in Düsseldorf.