Insolvenzverwalter fordert 212 Mill. Euro Schadenersatz
Von Ingo Haiges*)
Der Bundesgerichtshof (BGH) verhandelt am 5. Juli 2022 über kartellrechtliche Schadenersatzansprüche in Höhe von rund 212 Mill. Euro, die der Insolvenzverwalter der Drogeriemarktkette Schlecker im Bereich von Markendrogerieartikeln gegenüber mehreren der bei Körperpflege-, Wasch- und Reinigungsmitteln in Deutschland führenden Anbieter gerichtlich geltend macht. Die Drogeriemarktkette Schlecker selbst war bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Jahr 2012 bundesweit eines der größten Einzelhandelsunternehmen für Drogeriemarkenartikel.
Kartellverstöße festgestellt
Die Schadenersatzansprüche basieren auf dem Vorwurf, die Drogeriemarktkette Schlecker habe aufgrund eines vom Bundeskartellamt als kartellrechtswidrig eingestuften Informationsaustausches zwischen den beklagten Anbietern von diesen Drogerieartikel zu überhöhten Preisen bezogen.
Nach den Feststellungen des Bundeskartellamtes haben die betreffenden Anbieter im Rahmen eines seit den neunziger Jahren eingerichteten sogenannten Arbeitskreises „Körperpflege, Waschmittel, Reinigungsmittel“ im Zeitraum von März 2004 bis November 2006 in zeitlich und inhaltlich unterschiedlichem Umfang untereinander Informationen ausgetauscht. Dabei soll es sich um Informationen über beabsichtigte und durchgesetzte kundenübergreifende Bruttopreiserhöhungen sowie über den aktuellen Stand der Jahresverhandlungen mit ausgewählten großen Einzelhändlern und das Bestehen und die Höhe diesen gegenüber erhobener Sonderforderungen gehandelt haben. Sowohl das Landgericht Frankfurt als auch in zweiter Instanz das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt haben die Klage abgewiesen, über die nun in letzter Instanz der BGH zu entscheiden hat.
Auch wenn aufgrund der bindenden Feststellungen des Bundeskartellamts die vorgeworfenen Kartellverstöße verbindlich feststehen, muss darüber hinaus mit der vom BGH geforderten Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, ob der streitgegenständliche Informationsaustausch auch tatsächlich zu höheren Preisen und damit zu einem kausalen Schaden geführt hat.
Nach der Rechtsprechung des BGH besteht kein Anscheinsbeweis dafür, dass die im Rahmen von Quoten- und Kundenschutzkartellen erzielten Preise höher sind als diejenigen, die ohne die wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung verlangt worden wären. Auch wenn diese Rechtsprechung ausdrücklich zu Quoten- und Kundenschutzkartellen ergangen ist, legt sie nahe, dass dies bei einem bloßen Informationsaustausch erst recht Geltung hat. Ohne einen solchen Anscheinsbeweis muss der Insolvenzverwalter der Drogeriemarktkette Schlecker die konkreten Auswirkungen des jeweiligen Kartells auf die Preise detailliert und präzise darlegen und im Bestreitensfalle auch beweisen. Dies ist ihm nach Überzeugung der Vorinstanzen nicht gelungen.
Eine erfahrungsbedingte Tatsachenvermutung, dass sich ein Wissensvorsprung auf spätere Entscheidungen auswirkt und zu einem bestimmten Verhalten führt, war für die Vorinstanzen im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung nicht entscheidend. Denn auf der Grundlage der zur Verfügung stehenden Beweismittel, insbesondere der tatsächlichen Marktverhältnisse, des Zwecks des Informationsaustauschs unter besonderer Berücksichtigung des gesetzlichen Zwecks der Arbeitsgemeinschaft, der fehlenden Kartelldisziplin und der starken Verhandlungsposition des insolventen Schuldners seien keine verlässlichen Rückschlüsse auf einen dadurch verursachten Schaden möglich.
Der BGH wird sich vorliegend insbesondere mit der rechtlichen Frage zu befassen haben, ob der Insolvenzverwalter der Drogeriemarktkette Schlecker die konkreten Auswirkungen des Kartells, nämlich die von ihm behaupteten überhöhten Preise und damit einen Schaden, ausreichend konkret vorgetragen hat, und wird die diesbezüglichen Anforderungen formulieren. Sollte der BGH den Sachvortrag für ausreichend halten, wird er die Sache zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an das OLG zurückverweisen.
Nicht zu erwarten ist aufgrund der bisherigen Rechtsprechung des BGH, dass dieser zu dem Ergebnis gelangt, dem Anspruchsteller komme ein Anscheinsbeweis oder eine tatsächliche Vermutung dahingehend zugute, aus dem feststehenden Informationsaustausch hätten höhere Preise resultiert.
Geänderte Rechtslage
Die für das vorliegende Verfahren maßgebliche Rechtsprechung des BGH ist allerdings zu der Rechtslage vor dem Inkrafttreten der 9. GWB-Novelle (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen) vom 1. Juni 2017 ergangen. Im Rahmen dieser Gesetzesnovelle hat der Gesetzgeber eine widerlegbare gesetzliche Vermutung für einen durch ein Kartell verursachten Schaden im Gesetz festgeschrieben.
Für Schadenersatzansprüche, die ab dem 26. Dezember 2016 entstanden sind, wird zugunsten des Anspruchstellers vermutet, dass ein Kartell einen Schaden verursacht hat, und es obliegt dann dem Anspruchsgegner, diese Vermutung durch substanziierten Vortrag zu entkräften.
*) Rechtsanwalt Ingo Haiges ist geschäftsführender Gesellschafter von Dornbach in München.