Kein Bär in Sicht
Von Tobias Larisch und
Ingo Strauss*)
Schon jetzt steht fest, dass 2021 ein Rekordjahr wird: In den ersten drei Quartalen summierte sich das Volumen der Fusionen und Übernahmen weltweit auf rund 3,8 Bill. Euro und übertrifft somit das M&A-Rekordjahr 2015. Auch auf dem deutschen M&A-Markt zeichnet sich – sowohl für das Volumen als auch für die Anzahl der Transaktionen – ein Höchstwert ab.
Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass die M&A-Aktivitäten in absehbarer Zeit abflauen. Denn die M&A-Akteure zeigen sich weitgehend unbeeindruckt von Unsicherheitsfaktoren wie steigenden Energiepreisen und Inflationsraten. Offensichtlich fallen diese aus Sicht der Entscheider angesichts des anhaltend hohen Transformations- und Innovationsdrucks und der verfügbaren Liquidität nicht wesentlich ins Gewicht.
Hohe Finanzkraft
2021, ein Rekordjahr? Das dürfte kaum jemand erwartet haben, als der M&A Markt nach Ausbruch der Corona-Pandemie vor gut eineinhalb Jahren in eine Art Schockstarre verfiel. Doch die Branche erholte sich erstaunlich schnell – und im Rückblick hat die Pandemie keine nachhaltige Auswirkung auf das M&A-Geschäft gehabt, sondern lediglich den Blick für bestimmte Themen geschärft. Im Rahmen der Due Diligence werden etwa die Stabilität der Lieferketten sowie etwaige Rechtsrisiken infolge staatlicher Unterstützungszahlungen nunmehr standardmäßig analysiert.
Der M&A-Markt wird aktuell vor allem durch die Finanzkraft der Private-Equity-Fonds geprägt. Investoren in aller Welt haben Private-Equity-Gesellschaften hohe Summen anvertraut, nicht zuletzt wegen der geringen Renditen alternativer Anlageformen. Die professionellen Unternehmenskäufer verfügen somit über hohe Cash-Reserven, die investiert werden müssen. Es überrascht daher nicht, dass Finanzinvestoren global inzwischen an fast der Hälfte aller Transaktionen beteiligt sind – Tendenz steigend. Zum Vergleich: In den Vorjahren lag der Anteil der Private-Equity-Investoren meist bei rund 30%.
Tech-Unternehmen im Fokus
Auch wenn ihr relativer Anteil sinkt, sind strategische Käufer nach wie vor sehr aktiv. Ein wesentlicher Grund: Die Coronakrise hat bei zahlreichen Unternehmen strukturelle Schwächen und damit Handlungsbedarf offenbart – zum Beispiel bei der digitalen Transformation oder der Stabilisierung der Lieferketten. Und viele Entscheider sind überzeugt, dass diese Herausforderungen häufig zu groß sind, um sie aus eigener Kraft zu bewältigen.
Deshalb kommt es in zahlreichen Branchen zu tiefgreifenden Portfolioveränderungen: Konzerne trennen sich von „Old Economy“-Geschäften und kaufen zukunftsträchtige Unternehmen, häufig mit Technologie- und Digital-Schwerpunkten. Hinzu kommt, dass verstärkt auf den Erwerb von Zulieferern und damit auf vertikale Integration gesetzt wird, um Lieferproblemen vorzubeugen.
Zu einem weiteren wichtigen Treiber von M&A-Transaktionen hat sich das Thema ESG (Environmental, Social, Governance) entwickelt. Banken und Investoren berücksichtigen immer stärker ökologische Kriterien, wenn sie Kredite vergeben oder Anteile kaufen. Hierdurch geraten Unternehmen mit kritischen ESG-Ratings zunehmend unter Druck und werden nicht selten von aktivistischen Investoren ins Visier genommen, die öffentlichkeitswirksam einen Abverkauf der betreffenden Sparten oder sogar eine komplette Zerschlagung des Unternehmens fordern. Zugleich wächst das Interesse an „grünen“ Unternehmen, die Klimaschutz-Technologien entwickeln. Von Zukäufen versprechen sich die Erwerber Erfolge bei der Reduzierung von CO2-Emissionen sowie bessere Nachhaltigkeitsratings – und damit zugleich positive Effekte für die Finanzierungskosten bei den zunehmend ESG-orientierten Geldgebern.
Wie nicht anders zu erwarten, steigen mit der Nachfrage auch die Kaufpreise für Unternehmen. Ein guter Indikator dafür sind die Prämien bei Übernahmen börsennotierter Gesellschaften: In Deutschland lag die Differenz zwischen Aktienkurs und Angebotspreis pro Aktie in diesem Jahr durchschnittlich bei mehr als 36%, in den Vorjahren hingegen nur bei rund 30%.
Kaufinteressenten müssen aber nicht nur bereit sein, hohe Preise zu zahlen, sondern sich in der Regel auch schnell entscheiden können: Auktionsverfahren enden vermehrt vorzeitig, weil Bieter sie durch frühe, attraktive Angebote zu ihren Gunsten entscheiden. Dabei ist zunehmend zu beobachten, dass Verkäufer gezielt auf solche „pre-emptive bids“ hinarbeiten.
Zudem müssen Bieter eine hohe Bereitschaft aufbringen, Verkäufer gegen etwaige Vollzugsrisiken abzusichern. Vor diesem Hintergrund finden zunehmend sogenannte „Hell or high water“-Klauseln in Unternehmenskaufverträge Eingang. Darin verpflichten sich Käufer, alles zu unternehmen, um die behördlichen Freigaben zum Vollzug der Transaktion zu erhalten (bis hin zum Verkauf von Unternehmensteilen). Angesichts der verschärften Anforderungen an Direktinvestitionen ist das insbesondere für Investoren aus Nicht-EU-Staaten relevant.
Innovative Lösungen
Auch „Warranty and Indemnity“-Versicherungen (W&I) haben auf den M&A Boom reagiert und innovative Lösungen entwickelt, die Verkäufern eine weitreichende Enthaftung versprechen. Die Verkäuferhaftung wird nunmehr häufig auch für Bereiche ausgeschlossen, die bislang vom Haftungsausschluss ausgenommen waren. Das betrifft zum Beispiel die Rechtsmängelgewährleistung oder in der Due Diligence konkret identifizierte Risiken, etwa im Bereich Steuern oder Umwelt.
Das muss aus Käufersicht kein Nachteil sein, weil mit der Versicherung im Fall von Garantieverletzungen ein solventer Schuldner bereitsteht. W&I-Versicherungen mit weitreichender Risikoübernahme sind allerdings mit erheblichen Kosten verbunden und sehen „im Kleingedruckten“ nach wie vor bestimmte Ausschlüsse des Versicherungsschutzes vor.
Einige Käufer verzichten vor diesem Hintergrund auf einen weitergehenden Versicherungsschutz. Stattdessen fokussieren sie sich noch mehr auf die Due Diligence und vertrauen daneben auf den Schutz durch eine mögliche Arglisthaftung, falls der Verkäufer im Disclosure-Prozess bewusst unzutreffende Angaben macht.
Einfallstor für Hedgefonds
Eine weitere Herausforderung für Käufer ergibt sich hierzulande im Kontext von öffentlichen Übernahmen. Denn zur Erlangung der vollen Kontrolle über ein börsennotiertes Unternehmen ist nach deutschem Übernahme- und Konzernrecht erforderlich, nach erfolgreicher Durchführung des Übernahmeverfahrens eine weitere Integrationsmaßnahme (etwa in Form eines Beherrschungsvertrags, Squeeze-out oder Delisting) vorzunehmen. Da diese Maßnahmen an einen bestimmten Anteilsbesitz des Bieters geknüpft sind sowie Ausgleichsansprüche der außenstehenden Aktionäre begründen, sind sie zum Einfallstor für Interventionen von Hedgefonds geworden. Solche Interventionen zu vermeiden, rückt bei der Strukturierung von öffentlichen Übernahmen daher zunehmend in den Fokus. Bisweilen verzichten Bieter (jedenfalls vorläufig) sogar ganz auf Integrationsmaßnahmen.
Dieses Erfordernis zur Durchführung von Integrationsmaßnahmen ist ein veritabler Standortnachteil im globalen Wettbewerb der rechtlichen Rahmenbedingungen für Übernahmen. In anderen Rechtsordnungen geht mit der erfolgreichen Durchführung des Übernahmeverfahrens bereits die Erlangung der vollständigen Kontrolle über das Zielunternehmen einher. Das deutsche Übernahmerecht verzögert insoweit Übernahmeprozesse und damit indirekt auch erforderliche Transformationsprozesse in der deutschen Wirtschaft. Eine Reform wäre deshalb wünschenswert.
*) Dr. Tobias Larisch und Dr. Ingo Strauss sind Corporate Partner von Latham & Watkins in Düsseldorf.