Konzerne reagieren auf Standortnachteile
Sabine Wadewitz
Herr Bünning, Shell will ihre bisherige Konzerndoppelspitze in den Niederlanden und im Vereinigten Königreich zugunsten einer einheitlichen Konzernleitung in Großbritannien aufgeben. Was ist der Grund dafür?
Den Äußerungen des Unternehmens und der Berichterstattung ist zu entnehmen, dass es von Shell als gravierender Nachteil angesehen wird, wenn auf Ausschüttungen der niederländischen Obergesellschaft Quellensteuer in Höhe von 15% einbehalten wird. Das Vereinigte Königreich erhebt dagegen grundsätzlich keine Quellensteuer auf Gewinnausschüttungen. Dieser Umstand verkompliziert Ausschüttungen durch die beiden in den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich ansässigen Obergesellschaften bereits jetzt. Es gibt zwar eine Gesetzesinitiative, die darauf abzielt, auch in den Niederlanden die Quellensteuer auf Ausschüttungen abzuschaffen. Ein entsprechender Versuch ist allerdings in der Vergangenheit bereits gescheitert, und auch jetzt sind die politischen Widerstände erheblich.
Ist es denn nicht richtig, dass die Quellensteuer auf die persönliche Steuerlast der Aktionäre angerechnet oder erstattet werden kann?
Eine Anrechnung kommt nur in Betracht, wenn der Ansässigkeitsstaat diese ermöglicht. In der Regel sind die entsprechenden Verwaltungsverfahren kompliziert und erfordern die Vorlage umfangreicher Dokumentation. Unterliegen die Ausschüttungen beim Empfänger keiner Besteuerung, wie dies etwa bei institutionellen Anlegern wie Pensions- und Aktienfonds häufig der Fall ist, geht die Anrechnung ohnehin ins Leere. Eine Absenkung der Quellensteuer oder gar eine komplette Befreiung setzt voraus, dass der betreffende Aktionär nachweist, dass er die Begünstigungen eines DBA (Doppelbesteuerungsabkommens) in Anspruch nehmen kann. Eine Ausschüttung, die von vornherein keiner Quellensteuer unterliegt, ist für den Kapitalmarkt dagegen deutlich attraktiver.
Gibt es noch weitere steuerliche Gründe für den Umzug?
Andere steuerliche Gründe dürften keine größere Rolle bei der Entscheidung gespielt haben. Zwar ist der Körperschaftsteuersatz im Vereinigten Königreich mit 19% derzeit niedriger als in den Niederlanden mit 25% – im Zuge der Finanzierung der Coronamaßnahmen wird der Körperschaftsteuersatz im Vereinigten Königreich aber bereits ab 2023 gleichfalls auf 25% steigen.
Droht dem Unternehmen aufgrund der Verlagerung keine Wegzugsbesteuerung oder Exit Tax in den Niederlanden?
Die nachteiligen steuerlichen Folgen dürften sich in Grenzen halten. Die Zusammenführung der niederländischen und der britischen Holdinggesellschaft, zum Beispiel durch die Einbringung der Aktien an der niederländischen Gesellschaft in die britische Holding, dürfte für die Aktionäre weitgehend steuerneutral ablaufen. Die Verlagerung von Managementfunktionen aus den Niederlanden in das Vereinigte Königreich könnte allerdings tatsächlich steuerliche Folgen nach sich ziehen, die aber überschaubar sein dürften: Zum einen werden Funktionen in den Niederlanden verbleiben, und zum anderen bestehen bereits jetzt parallele Strukturen in beiden Jurisdiktionen.
Kann der Wegzug von Shell zum Vorbild für andere werden?
Die Situation bei Shell wie auch zuvor bei Unilever ist sehr spezifisch und dürfte sich zur Nachahmung nur schwerlich eignen. Der Sachverhalt zeigt aber deutlich, dass die Erhebung von Quellensteuern ein Standortnachteil sein kann, weil sie stets zu einer Diskriminierung von Ausländern führt, die auch nicht durch die traditionellen Verfahren der Erstattung und Anrechnung beseitigt werden kann, zumal die langsamen und aufwendigen Verwaltungsverfahren zur Benachteiligung ausländischer Aktionäre beitragen.
Welche Entwicklungen erwarten Sie?
Im Rahmen von internationalen Unternehmenszusammenschlüssen könnten die beteiligten Unternehmen den Standort der gemeinsamen Holding auch danach auswählen, ob Quellensteuern erhoben werden. Sofern sich aufgrund der Pillar-1- und Pillar- 2-Maßnahmen die Steuerbelastung großer Konzerne angleicht, dürfte die Erhebung von Quellensteuern auf Ausschüttungen an Aktionäre an Bedeutung gewinnen.
Dr. Martin Bünning ist Partner von Reed Smith im Frankfurter Büro.
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