Nachhaltigkeit darf Existenz des Unternehmens nicht gefährden
Sabine Wadewitz
Frau Rothenburg, in der aktuellen Reform des Deutschen Corporate Governance Kodex soll Nachhaltigkeit stärker in dem Regelwerk für gute Unternehmensführung verankert werden. Ist das zwingend? Gibt die politische und gesellschaftliche Diskussion nicht schon genügend „grüne“ Handlungsvorgaben für Konzerne?
Indem der Deutsche Corporate Governance Kodex Nachhaltigkeit in den Fokus stellt, zeichnet er eine Entwicklung nach, die schon längst in den Unternehmen angekommen ist. Viele Unternehmen beschäftigen sich bereits intensiv mit ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit und werden deshalb auch keine Schwierigkeiten haben, den neuen Empfehlungen zu folgen. An manchen Stellen greift die Reform des Deutschen Corporate Governance Kodex aber auch schon einem Richtlinienvorschlag der EU zur Nachhaltigkeitsberichterstattung vor, der sogenannten Corporate Sustainability Reporting Directive. Nach dem Entwurf dieser Richtlinie sollen kapitalmarktorientierte oder große Unternehmen schon ab dem Geschäftsjahr 2023 zu einer umfangreichen Nachhaltigkeitsberichterstattung verpflichtet werden. Auch unabhängig von der Kodexreform werden sich börsennotierte Unternehmen also künftig noch intensiver mit Nachhaltigkeitsfragen beschäftigen müssen als bisher.
Werden die Interessen der Aktionäre als Eigentümer des Unternehmens damit den Ansprüchen anderer Stakeholder außerhalb des Unternehmens gleichgestellt oder untergeordnet?
Der Kodex geht davon aus, dass die Interessen der Aktionäre und der anderen Stakeholder gleichwertig sind. Allerdings müssen Vorstand und Aufsichtsrat in jedem Fall den Bestand des Unternehmens sichern und dafür sorgen, dass es dauerhaft rentabel ist. Die Verfolgung von Nachhaltigkeitszielen darf also nicht so weit gehen, dass dadurch die Existenz des Unternehmens gefährdet wird. In der Praxis sind die Interessen von Aktionären und anderen Stakeholdern ohnehin häufig gleichgerichtet. Immer mehr Aktionäre sind der Auffassung, dass sich ökologische und soziale Nachhaltigkeit langfristig positiv auf den Unternehmenserfolg auswirken.
Nach den Vorstellungen der Kodex-Kommission sollen wirtschaftliche, ökologische und soziale Ziele in einem ausgewogenen Verhältnis umgesetzt werden. Was heißt ausgewogen, alle in gleichem Ausmaß?
Der Vorstand hat insoweit einen sehr weiten Spielraum. Er muss nicht alle Ziele in exakt dem gleichen Maß berücksichtigen, zumal sich das Maß auch kaum berechnen lässt. Außerdem können Maßnahmen auch gleichzeitig mehreren Zielen dienen. Das ist beispielsweise der Fall, wenn ein Unternehmen nachhaltige Produkte entwickelt, die am Markt nachgefragt werden, oder durch eine Ausrichtung an sozialen Zielen Rechts- und Reputationsrisiken verringert.
Ist Ausgewogenheit der Ziele in jedem Geschäftsjahr einzuhalten oder können nachhaltigkeitsbezogene Ziele auch für mehrere Jahre dominieren und Ertragsziele nachrangig werden?
Entscheidend ist nicht das einzelne Geschäftsjahr, sondern eine langfristige Betrachtung. Die Umsetzung sozialer und ökologischer Ziele darf kurzfristig auch zu Lasten höherer Gewinne gehen, zum Beispiel, wenn ein Unternehmen einen Transformationsprozess durchlaufen muss, um dauerhaft erfolgreich sein zu können.
Müssen sich Unternehmen künftig in der jährlich abzugebenden Entsprechenserklärung konkret dazu äußern, in welchem Verhältnis wirtschaftliche, ökologische und soziale Ziele umgesetzt wurden?
Nein, in der Entsprechenserklärung müssen sie nur erklären, ob sie der Kodexempfehlung entsprechen oder nicht, und gegebenenfalls, warum sie ihr nicht entsprechen. Sie müssen hingegen nicht darlegen, wie sie Empfehlungen befolgen. Allerdings werden Unternehmen voraussichtlich zukünftig infolge der EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung verpflichtet sein, über ihre Nachhaltigkeitsziele und deren Umsetzung zu berichten.
Dr. Vera Rothenburg ist Partner von Gleiss Lutz in Stuttgart. Die Fragen stellte .