Pandemie sorgt für Streitigkeiten mit dem Fiskus
Frau Fischer, in Unternehmen wächst die Besorgnis über Steuerstreitigkeiten. Wie sehen Sie aktuell die Entwicklung auf diesem Gebiet?
Die Covid-19-Pandemie hat gezeigt, dass die Digitalisierung innerhalb weniger Monate um Jahre voranschreitet. Die Unternehmen versuchen, sich neu zu erfinden und an die neue Realität anzupassen. Während der Art dieser rasanten geschäftlichen Transformation viel Aufmerksamkeit geschenkt wurde, wurde weniger beachtet, was der wirtschaftliche Wandel für die Steuerpolitik bedeutet. Diese Entwicklung zeigt sich auch in der sich wandelnden internationalen Steuerpolitik – Unternehmen sehen sich mit erheblichen Veränderungen in Bezug auf Steuerbelastung, Strategie und Management konfrontiert.
Was sind nach Ihrer Einschätzung denn die vorwiegenden Treiber für künftige Steuerstreitverfahren?
Die Digitalisierung und die Restrukturierung von Unternehmen – nicht zuletzt als Reaktion auf die Pandemie – sind weltweit nach wie vor die Hauptursachen für Kontroversen mit der Finanzverwaltung. Es gibt keinen Konsens darüber, wie Wert und Wertschöpfung zu definieren sind. Die Länder haben unterschiedliche Ansichten, in welcher Höhe Besteuerungsrechte bestehen. Wenn es große Unterschiede zwischen den Steuersätzen gibt, ist das Ungleichgewicht noch ausgeprägter. Änderungen in der internationalen Steuerpolitik und die Umsetzung dieser Reformen sind eine weitere potenzielle Quelle für künftige Streitigkeiten.
Inwiefern?
Viele Unternehmen sind besorgt über die als Säule 1 und Säule 2 bekannten vorgeschlagenen Veränderungen der OECD. Grund dafür ist vor allem das Spannungsverhältnis zwischen globaler Zusammenarbeit und nationalen Interessen sowie die unterschiedliche Auslegung von internationalen Vorschriften, bei denen jeder Staat das Interesse verfolgt, die Steuereinnahmen auf lokaler Ebene zu maximieren.
Ihre Kanzlei hat die Thematik selbst analysiert?
Baker McKenzie hat eine weltweite Studie durchgeführt, in der über 1200 Steuerleiter von verschiedenen internationalen Konzernen in zehn Ländern und sechs Branchen befragt wurden, um die Zukunft von Steuerstreitverfahren zu untersuchen. Die in der Studie vertretenen Unternehmen haben zusammen einen Jahresumsatz von 12 Bill. Dollar und ein kollektives Steuerrisiko von 2,7 Bill. Dollar. Dies bietet eine solide und aufschlussreiche Perspektive auf die steuerlichen Auswirkungen der geschäftlichen und politischen Veränderungen, das breite Steuerrisiko, dem sich Unternehmen gegenüberstehen, und die Frage, wie Steuerverantwortliche den Herausforderungen begegnen können. Bei den in der Studie erfassten Konzernen belaufen sich die derzeit strittigen Steuern auf insgesamt 269 Mrd. Dollar. Im Durchschnitt ist jeder Konzern mit Steuerstreitigkeiten von 154 Mill. Dollar konfrontiert, was einen Anstieg von jeweils 63 Mill. gegenüber 2018 entspricht.
Ist das jetzt wirklich so kritisch?
Obwohl viele Unternehmen die Pandemie gut überstanden haben, geben 62% der befragten Steuerleiter an, dass die finanzielle Lage oder die Widerstandsfähigkeit ihres Unternehmens durch Covid-19 beeinträchtigt wurde. Wenn sie jetzt mit einer großen Steueranpassung konfrontiert würden, würde dies ihre Leistung weiter beeinträchtigen. Weitere 60% der Befragten sehen sich mit derzeit hohen Anpassungen konfrontiert, die sich auf historische Jahre beziehen, da sich die Prüfungszeiträume verzögern.
Gibt es regionale Unterschiede?
Für Unternehmen in den Niederlanden und China besteht im kommenden Jahr das größte Risiko für neue Steuerstreitigkeiten, dicht gefolgt von Deutschland und Italien. Die Steuerleiter in diesen Ländern rechnen am ehesten mit einem Anstieg des Umfangs und des Wertes von Steuerstreitigkeiten. Unternehmen in der Energie-, Bergbau- und Infrastrukturbranche sind in ähnlicher Weise gefährdet – hier wird ein höherer Anstieg als in anderen Branchen erwartet.
Jana Fischer ist Partnerin von Baker McKenzie in Frankfurt.
Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.