Richtungswechsel in der US-Fusionskontrolle
Von Max Hauser und
Ian Conner*)
In den USA hat der Übergang zur Biden-Regierung hat eine Reihe von verfahrensmäßigen Änderungen bei der Durchsetzung des US-Kartellrechts mit sich gebracht. Obwohl die erwartete Flutwelle kartellbehördlicher Durchsetzungsaktivitäten bislang ausgeblieben ist, hatten diese Verfahrensänderungen erhebliche Auswirkungen auf Beteiligte an M&A-Transaktionen und deren Berater. Nun, da die Biden-Regierung in das zweite Amtsjahr geht und die Verantwortlichen in den US-Kartellbehörden größtenteils installiert sind, könnte 2022 das Jahr der Umsetzung einer Agenda erhöhter Durchsetzungsaktivitäten werden.
Unter der zunächst amtierenden Vorsitzenden der FTC, Rebecca Slaughter, hat die FTC ihre bisherige Praxis ausgesetzt, bei unproblematischen Transaktionen eine vorzeitige Beendigung der gesetzlichen Prüfungsfrist, die sogenannte „Early Termination“ zu gewähren. Als Grund nannte sie „die historisch nie dagewesene Zahl an Anmeldungen während eines Führungswechsels inmitten einer Pandemie“. Bei Bekanntgabe dieses Richtungswechsels erklärten die Behörden, dass sie „davon ausgehen, dass die vorübergehende Aussetzung nur von kurzer Dauer sein wird“. Da dies nun aber seit mehr als einem Jahr gängige Praxis ist, liegt die Vermutung nahe, dass diese Praxis bis zum Ende der laufenden Amtszeit Bidens fortgesetzt wird.
Das DOJ und insbesondere die FTC haben weitere Verfahrensänderungen vorgenommen, die offenbar darauf abzielen, Unternehmen generell von Transaktionsaktivitäten abzuhalten oder zumindest Fusionskontrollverfahren erheblich zu verlangsamen. Dazu gehören unter anderem die Ausweitung des Umfangs der von den Behörden erlassenen „Second Requests“ (d.h. die Einleitung vertiefter Prüfverfahren), um Aspekte der Beschäftigungssicherung und weitere Aspekte, die nicht zwangsläufig etwas mit den wettbewerblichen Auswirkungen einer Transaktion zu tun haben, sowie eine Einschränkung der Voraussetzungen, unter denen die FTC den Umfang von Second Requests wiederum einschränken würde.
Formale Aspekte
Die inzwischen installierte Vorsitzende der FTC, Lina Khan, kündigte zudem die Aufhebung einer langjährigen Praxis an, nach der Freigabeentscheidungen bislang künftige nicht anmeldepflichtige Transaktionen automatisch umfasst hatten. Diese Vorgabe wurde bereits im letzten Herbst in Vergleichsentscheidungen umgesetzt. Die FTC und jüngst auch das DOJ haben zudem damit begonnen, für von ihnen freigegebene Transaktionen sogenannte „Warning Letters“ zu versenden, mit dem Hinweis, dass die Behörden die Freigabe der Transaktion bis zu einem unbestimmten Zeitpunkt in der Zukunft noch revidieren können, und der Vollzug der Transaktion insoweit auf eigenes Risiko geschieht.
Alle diese Änderungen zielen allem Anschein nach eher auf formale Aspekte des Fusionskontrollverfahrens als auf wettbewerbsbeschränkende Effekte von Unternehmenszusammenschlüssen ab.
Mit dem Tempo der verfahrensrechtlichen Änderungen halten die materiell-rechtlichen Durchsetzungsaktivitäten noch nicht Schritt. Obgleich sich die Zahl der Fusionskontrollverfahren bei den US-Kartellbehörden 2021 im Vergleich zu 2020 verdoppelt hat, stellt FTC Kommissar Noah Phillips fest, dass die Durchsetzungsaktivität der FTC von 28 angefochtenen Transaktionen auf 15 zurückging. Mehr als die Hälfte entfiel hierbei auf die letzten vier Monate vor der Amtsübernahme durch die Biden-Regierung. Die Frage, die sich nun zwangsläufig anschließt: Sind mit all den eingeleiteten Maßnahmen nun aber die Weichen gestellt, für den Beginn der erwarteten Durchsetzungswelle in 2022? Dies ist in der Tat nicht leicht zu beantworten, da es weiterhin einige behördliche und politische Hindernisse geben wird, die sich nicht klar einordnen lassen.
Bislang haben die von der neuen Regierung angestrengten Prüfverfahren keine neuen Schadenstheorien hervorgebracht, sondern sich vielmehr an althergebrachten kartellrechtlichen Konzepten und Theorien orientiert. Die aktuellen Entwicklungen bei der Durchsetzung des US-Kartellrechts zeigen dennoch mehrere Änderungen, die entweder bereits in der Umsetzung sind, oder zumindest sehr wahrscheinlich bevorstehen. Zum einen scheint sich die Anzahl der Second Requests zu erhöhen. Die sich hieran anschließenden Verfahren, dauern in der Regel mehrere Monate und erfordern die Bereitstellung erheblicher Ressourcen. Der Abschluss der Transaktion, wird nach vollständiger Beantwortung sämtlicher Anforderungen des Second Request so mindestens 30 Tage nach hinten geschoben. Aufgrund der Erweiterung des Umfangs dieser Anfragen ist zu erwarten, dass die Verfahren in Zukunft oftmals noch sehr viel mehr Zeit in Anspruch nehmen.
Zudem ist zu erwarten, dass auch Private Equity weiterhin im Fokus bleibt. Lina Khan wies in einem behördeninternen Schreiben zu ihren Verfolgungsprioritäten auf Bedenken hin, dass Private Equity und andere Investmentvehikel „die üblichen geschäftlichen Anreize auf eine Art verzerren könnten, die die Produktionskapazität beeinträchtigen und wettbewerbswidrige Praktiken erleichtern könnten.“ Die Sicht des DOJ auf Private Equity ist zwar weniger eindeutig, fraglos ist jedoch, dass beide Behörden mit Argusaugen auf Transaktionen in den Bereichen Healthcare, Pharma, Tech und Landwirtschaft blicken und hier bereits einige Gerichtsverfahren und Anfechtungsanträge eingeleitet haben.
Politische Hürden
Auch auf politischer Ebene dürften mehrere neue Richtlinien bevorstehen, um die Hürden für die Biden-Regierung zu verringern, Transaktionen in weniger konzentrierten Branchen erfolgreich anzufechten. Hinzu wird eine Ausweitung der Liste typischer Fälle potenzieller Wettbewerbsbeeinträchtigungen erwartet, die mit Beschränkungen der Verteidigungsmöglichkeiten für die Transaktionsparteien einhergeht. Ein Vorbote hierfür ist die Rücknahme der 2020er FTC Guidelines zu vertikalen Fusionen, die für solche Transaktionen als nicht hinreichend kritisch galt. Hinzu kommt eine gemeinsame Erklärung, die als Antwort auf die „Executive Order on Competition“ des Weißen Hauses erlassen wurde, in der das DOJ und die FTC ankündigen, dass sie u.a. daran arbeiten, die zwölf Jahre alten Richtlinien über horizontale Fusionen der Obama-Regierung neu zu bewerten.
Auch wenn wir im Laufe des Jahres potenziell weitere Verfahrensänderungen sehen werden, verbleiben für eine verschärfte Durchsetzung mehrere potenzielle Hindernisse. Die FTC ist aktuell paritätisch mit Demokraten und Republikanern besetzt (auch wenn aktuell die Bestätigung der Besetzung eines dritten Demokraten ausstehend ist). Im DOJ könnten mehrere große bereits laufende Rechtsstreitigkeiten darüber hinaus zu Engpässen der ohnehin schon strapazierten Personalressourcen führen.
Knappe Ressourcen
Diese Ressourcenknappheit würde die FTC am härtesten treffen. Mehrere Nachrichtenagenturen haben über eine weit verbreitete Unzufriedenheit mit den internen Veränderungen der Behörde berichtet, die unter anderem ein öffentliches Redeverbot für Mitarbeiter beinhaltete: Es gab für sie keine Möglichkeiten mehr, sich an einem Dialog über ihre Fälle zu beteiligen und die Öffentlichkeit über Durchsetzungsaktivitäten und Schadenstheorien zu informieren. Seit Regierungsbeginn haben zahlreiche leitende Mitarbeiter der Behörde gekündigt.
Diese Vakanzen könnten in Kombination mit dem beispiellosen Anstieg an Fusionskontrollanmeldungen die Möglichkeiten der Behörde beeinträchtigen, problematische Transaktionen umfassend zu prüfen sowie Durchsetzungsaktivitäten angemessen personell auszustatten. Die Ressourcenbeschränkungen waren wiederum einer der von der FTC genannten Gründe für die oben genannten Warning Letters.
Die US-Kartellbeamten sehen sich dennoch gut aufgestellt, ihre Verfolgungsaktivitäten auszuweiten. Unternehmen, die Transaktionen mit substanziellem US-Bezug planen, müssen sich darüber bewusst sein, dass sie ein schwieriges regulatorisches Umfeld antreffen. Denn selbst wenn ein Zusammenschlussvorhaben keine erheblichen Wettbewerbsprobleme aufwirft, ist eine schnelle Freigabe bis auf weiteres nicht gesichert.
*) Dr. Max Hauser (Frankfurt) und Ian Conner (Washington) sind Kartellrechtspartner von Latham & Watkins.