Sicherung der Liquidität hat Vorrang
Frau Bouazza, Herr Goldberg, stark gestiegene Beschaffungspreise bringen viele Stadtwerke in die Bredouille. Wie steht es um die Finanz- und Liquiditätslage der Versorgungsunternehmen?
Goldberg: Hier muss zwischen der Bezugs- und der Abgabeseite unterschieden werden. Je nach Beschaffungsstrategie kaufen Stadtwerke mit einem zeitlichen Vorlauf für den Lieferungszeitraum von beispielsweise drei Jahren ein. Wenn der Energieverbrauch für drei Jahre beschafft werden muss und die Eindeckungsgrade linear sind, dann sind die enorm gestiegenen Großhandelspreise aktuell zu weniger als 33% umfasst. Vermutlich werden erst zum Jahresbeginn 2024 die Großhandelspreise vollständig auf die Preise durchschlagen.
Und die Abgabeseite?
Goldberg: Auf der Abgabeseite wird versucht, die gestiegenen Bezugskosten an die Kunden der Stadtwerke weiterzureichen. Dies ist rechtlich nur denkbar, sofern wirksame Preisanpassungsklauseln vereinbart wurden und die neuen Preise auch einbringlich sind. Bisher lagen die Forderungsausfälle der Abschlagszahlungen von Verbrauchern und Unternehmen im Promillebereich und werden nach Einschätzung der Verbände künftig zweistellig sein. Vielfach wurden lediglich Festpreisverträge vereinbart, die keine erhöhten Beschaffungspreise abdecken. Die oft diskutierte nachträgliche Preisanpassung über den sogenannten Wegfall der Geschäftsgrundlage für Fälle ohne eine vertragliche Preisanpassung wird aktuell rechtlich geklärt. Erste Urteile erteilen einer solchen nachträglichen Preisanpassung jedoch eine Absage.
Bringt die Deckelung von Strom- und Gaspreisen Entlastung?
Goldberg: Ja, die Preisdeckelung für 70 bis 80% des bisherigen Verbrauchsanteils des Letztverbrauchers sorgt für eine Entlastung, die zugleich die Gefahr eines Forderungsausfalls erheblich verringert. Aktuell befindet sich ein Gesetz in der Umsetzung, das einen Ausgleich des nicht gedeckelten Verbrauchsanteils zugunsten der Stadtwerke durch die KfW vorsieht, damit diese nicht durch die Preisdeckelung finanziell belastet sind. Bei dem Verbrauch oberhalb von 70 bis 80% verbleibt es hingegen bei der vorab dargestellten Steigerung des Forderungsausfalls.
Welche Handlungsoptionen haben die Betriebe?
Bouazza: Die dringlichste Herausforderung für die Stadtwerke ist die Sicherung der Liquidität, um selbst vertraglichen Zusagen auf beiden Seiten entsprechen zu können. Insbesondere auf der Beschaffungsseite können unwirtschaftliche Lieferantenbeziehungen geprüft und möglicherweise außerordentlich beendet werden. Auf Verbraucher- und Kundenseite wären längere Vorauszahlungen mit entsprechenden Rabatten denkbar, um etwaige Forderungsausfälle zu minimieren.
Wie sollte die Finanzierung umgestaltet werden?
Bouazza: Die Finanzierungssituation ist uneinheitlich; daher muss ein Beratungsansatz maßgeschneidert sein und mit einer Analyse der wirtschaftlichen und vertraglichen Situation des jeweiligen Stadtwerks beginnen. Erst danach können Kreditverträge vor dem Hintergrund weiterer Kreditaufnahme, zum Beispiel durch Förderkredite, oder nichteingehaltener und zugesicherter Finanzkennzahlen neu verhandelt werden. Das gilt auch bei einer generellen Verschlechterung der Finanzlage. Eine frühzeitige Refinanzierung hilft, um im steigenden Zinsumfeld die noch günstige Marktsituation zu nutzen.
Auf welche Hilfen können die Stadtwerke zurückgreifen?
Bouazza: Viele Stadtwerke sind bei Finanzierungen auf kommunale Unterstützung angewiesen. Darüber hinaus kommen das KfW-Kreditprogramm für kurzfristige Liquidität, Bund-Länder-Bürgschaftsprogramme oder das Finanzierungsprogramm für durch hohe Margin Calls gefährdete Unternehmen in Frage, um die Liquidität zu sichern oder Zinsbelastungen zu reduzieren.
Kommunen haben die Stadtwerke gern für die Quersubventionierung anderer Leistungen genutzt. Wäre es nicht ihre Aufgabe als Eigentümer, die Betriebe zu unterstützen, statt nach einem Schutzschirm des Bundes zu rufen?
Goldberg: Fraglich ist, ob die Kommunen noch den finanziellen Spielraum vorhalten können, nachdem diese bereits durch die vielfachen anderen Krisen an ihre finanziellen Belastungsgrenzen stoßen.
Miriam Bouazza und Marc Goldberg sind Partner von KPMG Law.
Die Fragen stellte Helmut Kipp.