Spezielle Kammern für größere Wirtschaftsstreitigkeiten
Herr Schöne, Frau Hofmeister, der Bundesrat hat Mitte März beschlossen, einen Gesetzentwurf zur Stärkung der Gerichte in Wirtschaftsstreitigkeiten erneut in den Bundestag einzubringen. Worum geht es?
Schöne: Die Initiative zielt darauf ab, Deutschland als Gerichtsstandort für großvolumige Wirtschaftsstreitigkeiten zu stärken. Um zu verhindern, dass diese in andere Rechtskreise oder die Schiedsgerichtsbarkeit abwandern, sollen sie bei neuen Spruchkörpern gebündelt werden. Dort sollen die Verfahren den besonderen Anforderungen der Parteien entsprechend und insbesondere in englischer Sprache geführt werden können.
Was sind die Eckpunkte?
Hofmeister: Der Gesetzentwurf sieht zum einen vor, dass bei den Landgerichten Kammern für internationale Handelssachen eingerichtet werden können. Zum anderen kann bei komplexen Wirtschaftsstreitverfahren der Instanzenzug verkürzt werden. So wird es jedem Bundesland ermöglicht, an einem Oberlandesgericht als Commercial Court be-zeichnete Senate einzurichten, vor denen Verfahren über internationale Handelssachen mit einem Streitwert von über 2 Mill. Euro geführt werden, und zwar bei entsprechender Gerichtsstandsvereinbarung bereits im ersten Rechtszug. Daneben können Zivilsenate an einem Oberlandesgericht bestimmt werden, vor denen auch rein nationale Handelssachen mit einem Streitwert von über 2 Mill. Euro erstinstanzlich verhandelt werden, wenn die Parteien dies ausdrücklich vereinbart haben.
Können die Parteien die Verfahrensgestaltung beeinflussen?
Hofmeister: In Verfahren vor den Commercial Courts und den neuen Senaten für Handelssachen sollen Vereinbarungen über Organisation und Ablauf des Verfahrens geschlossen werden können. Diese binden das Gericht, sofern sie – etwa mit Blick auf rechtliches Gehör – rechtlich zulässig sind und keine sachlichen oder organisatorischen Gründe entgegenstehen. Mit diesen Case-Management-Vereinbarungen können die Parteien im Einzelfall das Verfahren, etwa Terminierung, Reihenfolge des Prozessstoffs oder Beweisprogramm, erheblich beeinflussen.
Wie wird die Wahrung von Geschäftsgeheimnissen gewährleistet?
Schöne: Wenn die streitgegenständlichen Informationen ein Geschäftsgeheimnis sein können, können sie auf Antrag einer Partei als geheimhaltungsbedürftig eingestuft wer-den. Dabei kann die Öffentlichkeit von den Verhandlungen ausgeschlossen werden. In diesem Fall soll das Gericht aber Entscheidungen von grundsätzlicher Bedeutung in Auszügen ohne Rückschlüsse auf Einzelheiten des Verfahrens und Identität der Parteien veröffentlichen.
Werden auch internationale Rechtssachen verhandelt?
Hofmeister: Ja, Verfahren vor den Kammern für internationale Handelssachen am Landgericht und den Commercial Courts setzen einen internationalen Bezug der streitgegenständlichen Handelssache sogar voraus.
Entsteht damit eine Konkurrenz zur Schiedsgerichtsbarkeit?
Schöne: Ebenso wie zu der neuen M&A-Spezialkammer am Landgericht Düsseldorf, die durch den NRW-Gesetzgeber Anfang diesen Jahres eingeführt wurde, gilt: Wenn es gelingt, komplexe und umfangreiche Wirtschaftsstreitverfahren mit vielfach internationalem Bezug zügig, auch englischsprachig effizient und mit modernen Mitteln durchzuführen, können die neuen Spruchkörper eine ernste Konkurrenz zur Schiedsgerichtbarkeit sein. Auch zur Rechtsfortbildung wäre dies etwa für die M&A-Praxis sehr zu begrüßen.
Was bedeutet der Gesetzentwurf für den Gerichtsstandort Deutschland?
Schöne: Dem Gesetzentwurf liegt das Konzept zugrunde, die Commercial Courts auf nur wenige Standorte zu beschränken, um im internationalen Wettbewerb der Justizstandorte als Konkurrenz zu den Commercial Courts anderer Länder wahrgenommen zu werden. Dies erscheint plausibel. Ob der Gerichtsstandort Deutschland tatsächlich gestärkt wird, hängt nun davon ab, inwiefern das Gesetz verabschiedet wird, die Bundesländer die neuen Spruchkörper einführen und diese wiederum die hohen Erwartungen international agierender Unternehmen erfüllen.
Dr. Franz-Josef Schöne ist Partner und Dr. Lisa Hofmeister Counsel von Hogan Lovells.
Die Fragen stellte Helmut Kipp.