Streitbeilegung durch Schiedsgerichte entwickelt sich dynamisch
Herr Kasolowsky, Freshfields hat Anfang des Jahres die Top-Trends der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit beleuchtet. Was zeichnet sich ab?
Die internationale Schiedsgerichtsbarkeit wird weiterhin die einzig effiziente Art der Streitbeilegung in internationalen Zusammenhängen bleiben. Schiedsverfahren geben den Parteien die Möglichkeit, die Schiedsrichter selbst zu wählen und einen weltweit vollstreckbaren Schiedsspruch zu erhalten. Die Streitbeilegung durch Schiedsgerichte entwickelt sich dabei in vielerlei Hinsicht dynamisch: Thematisch werden Schiedsgerichte sich mit enttäuschten Erwartungen an Unternehmen in Bezug auf Umwelt, Soziales und Unternehmensführung auseinandersetzen müssen. Die Umsetzung umfassenderer Klimaschutzziele hat bereits eine Vielzahl von Streitigkeiten verursacht und wird mit Sicherheit viele weitere strittige Sachverhalte zutage fördern – wie unfaire Regulierung, unterbewertete Risiken im Kontext von M&A-Transaktionen oder Verantwortlichkeit für bestimmte Klimaschutzmaßnahmen.
Welche Art von ESG-bezogenen Streitigkeiten erwarten Sie in Zukunft? Ist Schiedsgerichtsbarkeit denn überhaupt geeignet, um diese Art von Streitigkeiten zu lösen?
ESG-Klauseln in Handelsverträgen sind neu, komplex und weitgehend unerprobt, was wahrscheinlich zu Streitigkeiten über ihre Auslegung und Anwendung führen wird. Es ist davon auszugehen, dass entsprechende Schiedsverfahren öffentlich und manchmal sogar unter Beteiligung von Trägern des öffentlichen Interesses durchgeführt werden. Darüber hinaus werden auch die Schiedssprüche vermehrt veröffentlicht werden und können somit dazu beitragen, dass die Schiedsgerichtsbarkeit auch in Zukunft ein wirksames Mittel zur Beilegung von Handelsstreitigkeiten mit ESG-Bezug bleibt. Auch Staaten nehmen vermehrt ESG-Bestimmungen in Investitionsschutzabkommen auf und nutzen diese Verträge als Instrumente zur Förderung ihrer Nachhaltigkeitsziele. Zukünftig sind somit ESG-kompatible Investitionen jedenfalls besser geschützt, und in manchen Situationen wird voraussichtlich nicht kompatiblen Investitionen der Rechtsschutz nach diesen Investitionsschutzabkommen aberkannt.
Wirkt sich die Pandemie auf Schiedsverfahren und zugrundeliegende Streitigkeiten aus?
Die Covid-19-Pandemie gibt weiterhin Anlass zu neuen Rechtsstreitigkeiten, die von den Folgen von Betriebsunterbrechungen bis zu den Auswirkungen von staatlichen Covid-19-Maßnahmen reichen. Bemerkenswert ist, dass die Schwelle für pandemiebedingte Einreden immer höher wird, da zukünftige Beschränkungen infolge von Covid-19 nicht mehr „unvorhersehbar“ sind. Aufgrund der von Regierungen ergriffenen Notfallmaßnahmen ist auch eine höhere Zahl von Investor-Staat-Streitigkeiten zu erwarten, insbesondere im Gesundheitssektor, im Zusammenhang mit geistigen Eigentumsrechten, zum Beispiel Patentlizenzen, und Exportverboten, zum Beispiel von Impfstoffen oder sonstigen Pharmaprodukten.
Sind neue Entwicklungen in bestimmten Branchen abzusehen?
Technologieunternehmen waren bei Rechtsstreitigkeiten bisher weitgehend Traditionalisten, mit der Folge, dass Streitigkeiten in einer Vielzahl von nationalen Jurisdiktionen parallel geführt werden mussten. Ein Beispiel aus jüngerer Geschichte sind die sogenannten Mobile Phone Wars, die in den USA, Europa und Asien in Einzelverfahren vor staatlichen Gerichten ausgetragen wurden. Allein Apple und Samsung haben in zahlreichen unterschiedlichen Staaten Gerichtsverfahren geführt, die durch ein einziges konsolidiertes Schiedsverfahren hätten erledigt werden können. Dies erkennen Technologieunternehmen mittlerweile. Gerade für die Durchsetzung von Ansprüchen aufgrund von Entwicklung, Verkauf oder Lizenzierung neuer Technologien liegen die Vorteile von Schiedsverfahren auf der Hand: die Auswahl technisch versierter Schiedsrichter, ein vertrauliches Verfahren und die weltweite Vollstreckbarkeit des Schiedsspruchs.
Dr. Boris Kasolowsky ist Partner von Freshfields Bruckhaus Deringer in Frankfurt.
Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.