Unternehmensrecht

Verschärfung der Mitbestimmung durch den Koalitionsvertrag

Die neue Bundesregierung plant, die Unternehmensmitbestimmung zumindest in zwei wesentlichen Punkten zu erweitern.

Verschärfung der Mitbestimmung durch den Koalitionsvertrag

Von Hartwin Bungert*)

In Deutschland gibt es im Wesentlichen drei Regime der unternehmerischen Mitbestimmung. Zunächst die paritätische Mitbestimmung nach dem Mitbestimmungsgesetz ab 2000 Mitarbeitern in Deutschland mit fest vorgegebener Mitgliederzahl für die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat sowie die drittelparitätische Mitbestimmung ab 500 Mitarbeitern hierzulande. Beide Regime gelten für Aktiengesellschaft und GmbH. Bei der dritten Variante, der Europäischen Aktiengesellschaft (SE), kann die Mitbestimmung verhandelt werden oder sich nach einer gesetzlichen Auffanglösung bestimmen, die sich nach dem Mitbestimmungsniveau in den Ausgangsgesellschaften richtet. Hier stellen auch Mitarbeiter des Konzerns in den anderen europäischen Ländern Mitglieder des Aufsichtsrats. Die Gesamtanzahl der Aufsichtsratsmitglieder wird da­gegen allein von der Anteilseignerversammlung festgelegt.

Drittelparität erweitert

Nach dem Koalitionsvertrag soll die Unternehmensmitbestimmung nun zumindest in zwei wesentlichen Punkten verschärft werden:

(1) Bislang erfolgt im Konzern eine Zurechnung im Hinblick auf die Schwellenzahl von 500 Arbeitnehmern für die Drittelparität nur dann, wenn Tochtergesellschaften mit einem Beherrschungsvertrag mit der Konzernmutter verbunden sind. Dagegen werden deutsche Arbeitnehmer einer Tochter, die allein mit einem – für steuerliche Zwecke vorteilhaften – Gewinnabführungsvertrag verbunden ist oder mit der gar kein Unternehmensvertrag besteht, für den Schwellenwert nicht mitgezählt. Das soll sich nach dem Koalitionsvertrag ändern. Es soll allein eine faktische Beherrschung ausreichen. Damit wird der Anwendungsbereich der drittelparitätischen Mitbestimmung deutlich ausgeweitet.

Die bisherige gesetzliche Regelung, die sich in der Tat von der Konzernzurechnung für den Schwellenwert bei paritätisch mitbestimmten Gesellschaften unterscheidet, besteht schon seit 70 Jahren. Die Gesetzes­väter hatten sich seinerzeit bewusst gegen eine umfassende Zurechnung entschieden, um im Bereich der Drittelparität eine rechtssicher handhabbare und interessengerechte Regelung zu erlassen. Im Zuge der letzten Reform der drittelparitätischen Mitbestimmung im Jahre 2004 übernahm der Gesetzgeber diese Grundentscheidung zur Konzernrechnung unverändert, wohingegen er andere Regelungsbereiche an die paritätische Mitbestimmung anpasste.

(2) Bei der SE will die neue Bundesregierung sich dafür einsetzen, dass der „Einfriereffekt“ nicht mehr gelten soll. Bislang ist es aus Unternehmenssicht ein Vorteil der SE, dass ihr Mitbestimmungsregime auf den Zeitpunkt der SE-Gründung abstellt und so grundsätzlich fortgilt: Muss die SE im Zeitpunkt der Unternehmensgründung keinen mitbestimmten Aufsichtsrat haben, kann sich das nur ändern durch sogenannte „strukturelle Änderungen, die geeignet sind, Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer zu mindern“. Das ist nur in bestimmten Situationen der Fall, die im Einzelnen umstritten sind, insbesondere bei einer Verschmelzung eines weiteren mitbestimmten Unternehmens auf die SE. Eine Erhöhung der Mitbestimmungsquote erfolgt jedenfalls nicht bei rein organischem Wachstum der SE über die Schwellenwerte der deutschen Mitbestimmung hinaus.

Hier wird sich zeigen, was die neue Bundesregierung konkret unter der vagen Formulierung „sich dafür einsetzen, dass es nicht mehr zu einem Einfriereffekt kommen kann“ versteht. Sollte damit das Werben auf europäischer Ebene für eine Anpassung des Mitbestimmungsregimes der SE gemeint sein, scheint dies wenig erfolgversprechend. Bereits die Einführung der SE vor 20 Jahren drohte an der Uneinigkeit der Mitgliedstaaten über Fragen der Mitbestimmung zu scheitern.

Sollte die neue Bundesregierung hingegen eine einseitige Änderung der deutschen Regelungen vor Augen haben, ist aus guten Gründen zweifelhaft, ob eine entsprechende Änderung des nationalen Umsetzungsgesetzes rechtlich zulässig ist. Sie würde sich in Konflikt zur SE-Beteiligungsrichtlinie setzen, da sie über eine bloße Verwirklichung des Vorher-nachher-Prinzips des SE-Rechts hinausgeht.

Offene Fragen

Insgesamt stehen die angedeuteten Änderungen unter dem Obersatz der Verhinderung von missbräuchlichen Umgehungen des geltenden Mitbestimmungsrechts. Dieser Satz ist angesichts der geplanten Änderungen überschießend formuliert. Die Wahl der Rechtsform einer SE ist nicht per se missbräuchlich.

Man wird sehen, wann und wie der Gesetzgeber diese Zielsätze umsetzen wird. In jedem Fall werden sich Fragen der intertemporalen Anwendbarkeit stellen: Sollen diese Regelungen beispielsweise auch auf bestehende SEs Anwendung finden oder erst für SEs, die nach Inkrafttreten der Rechtsänderungen gegründet werden? Kann in der SE-Mitbestimmungsvereinbarung zwischen Unternehmens- und Arbeitnehmerseite ausgeschlossen werden, dass diese Neuerungen gelten? Werden die Reformvorschläge auf europäischer Ebene Zustimmung finden und falls ja, was wird der zeitliche Horizont einer Umsetzung in das nationale Recht sein? Es wird dazu sicherlich eine längere politische und rechtliche Diskussion geben.

*) Dr. Hartwin Bungert ist Partner von Hengeler Mueller in Düsseldorf.

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