D&O-Versicherung

Wege aus der Haftungsfalle

Konzerne sind vermehrt mit Schadenersatzklagen konfrontiert. Für Unternehmen wird es schwieriger, Schutz für ihre Manager zu einem akzeptablen Preis auf dem internationalen Versicherungsmarkt einzukaufen.

Wege aus der Haftungsfalle

Von Heike Schmitz*)

Manager in Deutschland tragen viel Verantwortung. Zwar gestehen Ge­setz und Rechtsprechung ihnen einen Entscheidungsspielraum zu. Dieser ist aber nur eröffnet, wenn sie zuvor alle erforderlichen Informationen eingeholt und auf dieser Grundlage im Interesse des Unternehmens entschieden haben. Gerichte beurteilen das naturgemäß im Nachhinein, was die Abgrenzung zwischen ob­jektiv nachteiligen und subjektiv pflichtwidrigen Entscheidungen er­schwert.

Damit Manager trotzdem ruhig schlafen können, schließen viele Unternehmen für sie D&O-Versicherungen ab. Die Policen sollen die Kosten für die Abwehr von Ansprüchen und eventuelle Schadenersatz- und Bußgeldzahlungen decken, wenn Managern Verletzung von Sorgfaltspflichten vorgeworfen wird oder eine Behörde deswegen ermittelt.

Häufig gilt das „Claims Made“-Prinzip, das heißt der Versicherer übernimmt die Kosten für alle während der Laufzeit der Police geltend gemachten Ansprüche, auch wenn sie aus Handlungen oder Unterlassungen des Managers aus der Zeit vor Beginn der Police stammen.

Frage des Preises

Es wird jedoch für Unternehmen schwieriger, diesen Schutz für ihre Manager zu einem akzeptablen Preis auf dem internationalen Versicherungsmarkt einzukaufen. Obwohl die Versicherungsbranche Milliarden von US-Dollar jährlich an Prämien für D&O-Versicherungen einnimmt, wird das Geschäft für sie immer weniger profitabel. Das liegt am massiven Anstieg von Haftungsklagen, höheren Schäden und längeren und komplexeren Verfahren, die die Verteidigungskosten explodieren lassen. Gleichwohl gibt es immer noch mehr Nachfrage als Angebot.

Neben Massenklagen, Kartellverstößen und coronabedingten wirtschaftlichen Turbulenzen spielen ESG-bezogene Pflichten eine immer größere Rolle, besonders für die stark regulierte Finanzindustrie. In der Öffentlichkeit standen zuletzt vor allem umweltbezogene Aspekte, das „E“ in ESG, im Vordergrund. Spektakuläre, allerdings bislang nicht erfolgreiche Beispiele sind die Unterlassungsklagen der Deutschen Umwelthilfe gegen BMW und Mercedes wegen des Verkaufs von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor und die Klage eines peruanischen Bauern gegen RWE auf Beteiligung an den Kosten für den Schutz seines Dorfes gegen den Klimawandel. Das Bundesverfassungsgericht hat im März 2021 das Recht zukünftiger Generationen auf Schutz vor den Folgen des Klimawandels in einem bahnbrechenden Urteil an­erkannt.

Governance-Risiken

Sehr viel alltäglicher und für Versicherer möglicherweise schadensträchtiger sind Pflichtverletzungen, die sich auf „S“ und „G“ beziehen, also auf den Umgang des Unternehmens mit sozialen Themen (Diskriminierung, sexuelle Belästigung, Arbeitnehmerrechte) und auf Governance-Verstöße (zum Beispiel Bestechung oder Steuerhinterziehung). In den Bereich der Governance fallen auch Pflichten zur Offenlegung und Berichterstattung zu Klimarisiken und sonstigen nicht-finanziellen Themen. Diese sind auf EU-Ebene zuletzt durch die Offenlegungsverordnung und die Taxonomie stark ausgeweitet worden.

Voraussichtlich ab 2024 sollen im Rahmen der neuen EU-Richtlinie zu Nachhaltigkeitsberichterstattung noch umfassendere Pflichten gelten. Unternehmen sollten den Vorwurf falscher Offenlegungen (sogenanntes „Greenwashing“) nicht auf die leichte Schulter nehmen, wie verschiedene Vorfälle im vergangenen Jahr gezeigt haben.

Ebenso haftungsträchtig könnte die neue Lieferkettengesetzgebung sein. Unternehmen und Manager müssen zwar aus dem von 2023 an geltenden deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz keine Schadenersatzansprüche bei Menschenrechts- und Umweltverstößen in der Lieferkette fürchten. Allerdings will die EU-Kommission europaweit Prüfungspflichten für Liefer- und sonstige Wertschöpfungsketten einführen. Für sie sind zivilrechtliche Klagen gegen Unternehmen und Manager ein wichtiges Mittel, um die Einhaltung der neuen Pflichten zu er­zwingen.

Auch ohne neue Gesetze sind Manager gut beraten, sich mit Nachhaltigkeitsrisiken auseinanderzusetzen. Dies gilt insbesondere für den Klimawandel. Die Berichte des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) und die Szenarien der International Energy Agency (IEA) zeigen die physischen Folgen des Klimawandels ebenso wie die zu erwartende Dekarbonisierung der Wirtschaft. Vor diesem Hintergrund wird es für Manager zunehmend schwer, pflichtgemäße Geschäftsentscheidungen zu treffen, ohne Klimarisiken zu berücksichtigen. Was ein Gericht in zehn Jahren von der Entscheidung halten wird, eine Fabrik ohne Schutzmaßnahmen ins Überschwemmungsgebiet zu bauen oder den Geschäftsbetrieb vollständig auf fossile Energieträger auszurichten, lässt sich heute schon erahnen. Jedenfalls dürfte kein Manager mehr argumentieren, all dies sei noch nicht bekannt gewesen.

Die EU-Kommission will sogar einen Schritt weiter gehen: Manager sollen im Rahmen ihrer allgemeinen Sorgfaltspflichten nicht nur Nachhaltigkeitsrisiken für ihr Unternehmen, sondern auch die Folgen ihrer Ge­schäftsentscheidungen für außerhalb des Unternehmens liegende Nachhaltigkeitsaspekte wie Menschenrechte und Klimawandel be­rücksichtigen.

Unterschiedliche Reaktionen

Wie können Versicherer auf diese Entwicklungen im Rahmen der D&O-Versicherung reagieren? Prämiensteigerungen sind nur bis zu einem bestimmten Grad wirtschaftlich sinnvoll. Zuletzt gab es im Markt Bestrebungen, die Haftung für bestimmte ESG-Themen aus einigen Policen auszuklammern. Kurz nach der Klimaschutzkonferenz in Glasgow im November 2021 hat beispielsweise die Londoner Versicherungsbörse Lloyd’s Market Association eine Musterklausel veröffentlicht, die sämtliche Ansprüche im Zusammenhang mit dem Klimawandel ausschließt.

Ein solcher Ausschluss ist jedoch weder für die Versicherer noch für die Unternehmen wirklich praktikabel. Aufgrund der Vielschichtigkeit von ESG-Themen ist es schwer, eindeutig abgegrenzte Ausschlüsse zu formulieren. Weite Generalklauseln höhlen den erforderlichen Versicherungsschutz aber zu sehr aus, wie Unternehmen und Manager zu Recht kritisieren.

Eine andere Richtung schlagen der Versicherer Beazley und der Broker Marsh ein. Im Oktober 2021 hat Beazley ein Lloyds-Syndikat gegründet, das seine Versicherungsleistungen (unter anderem D&O-Versicherungen) nur Unternehmen anbietet, die bestimmte ESG-Standards erfüllen. Marsh will künftig ESG-Rahmenwerke von Unternehmenskunden mithilfe von Anwälten unter die Lupe nehmen.

Bestehen Unternehmen diesen Test, können sie zu besseren Konditionen über bestimmte Versicherer D&O-Schutz für ESG-Themen erhalten. Ähnliche Überlegungen stehen hinter einer Musterklausel des Chancery Lane Project („Kitty’s Clause“), die das Unternehmen zur Durchführung einer Klimarisikoprüfung verpflichtet.

Setzen Versicherer solche Lösungen ein, reduzieren sie ihr eigenes Risiko. Gleichzeitig schaffen sie einen Anreiz für Unternehmen, sich bei ESG-Themen richtig aufzustellen und wirken damit positiv auf die Wirtschaft ein. Eine interessante Entwicklung, denn bislang führen Versicherer beim Abschluss von D&O-Versicherungen keine vertieften Prüfungen durch. Stattdessen verlassen sie sich auf die Angaben von Unternehmen und Managern. Diese müssen über alle relevanten Umstände informieren, sonst verlieren sie ihren Versicherungsschutz.

„Harter Markt“

Schwierige Zeiten für Versicherer, Unternehmen und Manager: Der „harte Markt“ ist noch nicht vorbei, auch wenn inzwischen mehr Kapazitäten in der D&O-Versicherung an­geboten werden. Gleichzeitig werden die Pflichten für Manager aufgrund der Welle an ESG-Regulierung immer komplexer und Organisationen fehleranfälliger, was Schutz dringend nötig macht.

Einen Ausweg zeigen Lösungen wie die von Beazley und Marsh: Investieren Unternehmen in eine gute ESG-Governance, können sie Manager angemessen schützen. Versicherer können nicht nur Zahler im Schadensfall sein, sondern helfen Unternehmen mit Anreizen und Expertise dabei, sich in Sachen ESG richtig aufzustellen.

*) Heike Schmitz ist Partner von Herbert Smith Freehills in Düsseldorf.

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