„Wir haben Indien in unserem Portfolio untergewichtet“
Im Interview: James Cook
„Wir haben Indien untergewichtet“
Investmentstratege sieht neues Potenzial in China – Regierungen von Südafrika und der Türkei stehen unter Beobachtung
Emerging-Markets-Stratege James Cook von Federated Hermes rät dazu, Indien unterzugewichten. In China sieht er dagegen gute Chancen. Für interessant hält er auch die Türkei und Südafrika. Welche beiden Sektoren neben Technologie noch überdurchschnittlich zulegen könnten, verrät der Experte im Interview der Börsen-Zeitung.
Herr Cook, Schwellenländermärkte blieben in den letzten Jahren häufig hinter den Industrieländern zurück. Wird sich das nach der Zinswende in den USA und im Euroraum nun ändern?
Die Fed hat mit einer überraschend deutlichen Senkung des Leitzinses um 50 Basispunkte sicherlich ein positives Zeichen gesetzt. Das verbessert die Aussichten für Emerging-Markets-Währungen und bietet auch Zentralbanken aus Emerging Markets die Gelegenheit zur Lockerung der monetären Bedingungen. Das dürfte die Wirtschaft stabilisieren und die Stimmung von Verbrauchern und Unternehmen anheben.
Morgenluft schnupperten Anleger zuletzt auch wieder bei der einstigen Weltwachstumslokomotive China. Nur ein Strohfeuer, oder glauben Sie an eine echte Kehrtwende im Reich der Mitte?
Offensichtlich bleiben einige Investoren skeptisch, was den politischen Schwenk betrifft. Das ist vielleicht auch nicht überraschend, wenn man bedenkt, wie stark der chinesische Markt seit drei Jahren gefallen ist. Zudem kommt die politische Reaktion zu einem ungewöhnlichen Zeitpunkt. Im letzten Jahr hätten viele damit gerechnet, dass die chinesische Regierung aktiv wird, aber das ist nicht passiert. Dennoch ist es nun ein klares Signal, dass die chinesische Regierung ihren Ruf für diesen Stimulus aufs Spiel gesetzt hat. Es gab ein Treffen des Politbüros, an dem Präsident Xi selbst teilgenommen hat, und ein Treffen des Finanzministeriums. Xi selbst hat das Ziel ausgegeben, diesen Niedergang zu stoppen.
Unser Eindruck ist, dass die chinesische Regierung das Ausmaß des wirtschaftlichen Abschwungs sowie die zugrunde liegenden Ursachen – den Immobilienmarkt, die kommunale Verschuldung, das geringe Verbrauchervertrauen und das schwache Vertrauen im privaten Unternehmenssektor – erkannt hat. Wir sind zuversichtlich, dass sich dies positiv auf die Stabilisierung der Wirtschaft auswirkt und damit auch sicherstellt, dass China sein 5%-Wachstumsziel in diesem Jahr erreicht.
Es ist noch gar nicht so lange her, dass 5% Wachstum für China ein eher kleiner Wert waren.
China ist sicherlich in der Vergangenheit noch schneller und stärker gewachsen. In den frühen Zweitausendern haben wir uns über viele Jahre daran gewöhnt, dass China um mehr als 10% wächst. Das wurde durch Anlageinvestitionen in die Infrastruktur und teilweise auch durch spekulativere Investitionen in den Immobiliensektor angeheizt. Von diesem Wachstumsmodell hat sich die chinesische Wirtschaft aber in den letzten Jahren wegbewegt, hin zu einem Modell, das auf hochwertigen Produktionskonsum und Dienstleistungen setzt. Zweifellos hat der Konsum unter der Immobilienkorrektur gelitten. Diese Umschichtung war jedoch politisch motiviert und wurde nicht durch Marktentwicklungen, Zinssätze oder finanzielle Turbulenzen verursacht. Die wirtschaftlichen Veränderungen hatten große Auswirkungen auf die Regulierung. Und die Krise der letzten Jahre hatte auch einen großen Einfluss auf die Stimmung der chinesischen Verbraucher und Unternehmen.
Und die ändert sich jetzt?
Der Übergang Chinas und seine sehr stark von der Politik und nicht von anderen Marktkräften getriebene Entwicklung ist in diesem Jahr schon zu spüren. Der Beitrag der Immobilieninvestitionen zum BIP, der von 2014 bis 2020 bei historisch hohen 15% lag, ist auf unter 10% des BIP gesunken ist und liegt nun bei etwa 9%. Ein Ziel der Politik besteht darin, den chinesischen Verbrauchern und Unternehmen das Vertrauen zurückzugeben und den Immobiliensektor zu stabilisieren. Zuletzt war es sehr einfach für Investoren, in China short zu sein, gerade im Vergleich zu widerstandsfähigeren Märkten wie Taiwan und Indien. Das versucht die chinesische Regierung nun zu stoppen, auch wenn wir bisher nur wenige Details in Bezug auf den fiskalischen Stimulus oder die Unterstützung des Immobiliensektors kennen. Das Konjunkturpaket hat das Potenzial, die anhaltenden Herausforderungen auf dem Immobilienmarkt zu bewältigen und das Vertrauen der Verbraucher wieder zu stärken.
Da Sie Indien gerade erwähnen. Das ist ein Land, dessen Aktienmarkt schon länger rund läuft. Was sind die Gründe dafür?
Die Entwicklung des indischen Marktes wird besonders durch das umfassende Reformprogramm unter Premierminister Modi und seiner BJP-Partei unterstützt. Echte strukturelle Veränderungen, die den Anstieg des BIP-Wachstums und die Performance des Aktienmarktes angetrieben haben. Zu nennen sind hier die Elektrifizierung, die landesweite Waren- und Dienstleistungssteuer zur Schaffung eines einheitlichen Binnenmarktes, die Senkung der Körperschaftssteuer, die Regulierung im Immobilienbereich, digitale Reformen und Privatisierung. Der politische Fokus hat sich nun ein wenig auf mehr Umverteilung zur Förderung von Investitionen und die Schaffung von Arbeitsplätzen verlagert. Der Markt bleibt aber stark.
Kann diese Entwicklung noch lange so weiterlaufen, oder sind indische Aktien inzwischen einfach zu teuer geworden?
Wir haben Indien in unserem Portfolio untergewichtet. Langfristig gefallen uns die Aussichten des Landes, aber der MSCI India wird mit dem 27-fachen des Kursgewinns gehandelt und ist damit der teuerste unter den großen Märkten der Welt. Der S&P 500 wird mit dem 24-fachen gehandelt, Taiwan mit dem 20-fachen, China nur mit dem 11-fachen. Die hohe Bewertung des indischen Marktes wird angetrieben von einer starken inländischen Beteiligung an den Kapitalmärkten, wohingegen ausländische Anleger angesichts der starken Marktrenditen der letzten Jahre und der aktuell hohen Bewertungen ihr Geld abgezogen haben.
Woher kommt die starke inländische Beteiligung an den Märkten?
Der Wohlstand in Indien ist weiter gewachsen und die Inder sind von zusätzlichen Spareinlagen und Investitionen in Gold zu Investitionen in den Aktienmarkt übergegangen. Dieser anhaltende Zustrom hat dem Aktienmarkt einen so hohen Wert gegeben. Aus unserer Sicht gibt es dort einige sehr gute Unternehmen, wir sind jedoch der Meinung, dass die Bewertungen in einigen Bereichen überzogen sind, daher die Untergewichtung.
Sie rechnen dort also mit Rücksetzern?
Das ist die große Frage. Bisher hat sich der Markt dort als sehr widerstandsfähig erwiesen, ebenso wie Taiwan, das sich in den letzten zehn Jahren fast im Gleichschritt mit dem S&P 500 entwickelt hat. Aber wir haben Anfang August einen Flash Crash gesehen. Ausgelöst durch die Konjunktursorgen in den USA und die Besorgnis über die Gewinndynamik im Technologiesektor sowie durch die Zinserhöhung der japanischen Zentralbank, die zu einem teilweisen Abflauen des Yen-Carry-Trade führte, kam es auch in Japan und Indien zu Umschichtungen, bei denen Geld vom Tisch genommen wurde. Ausländische Investoren haben in den letzten Monaten Geld aus Indien abgezogen. China wird in vielen Fonds immer noch untergewichtet. Da könnten Anleger über eine Umschichtung nachdenken.
Auf welche Emerging Markets setzen Sie bei Federated Hermes? Von welchen Ländern würden Sie lieber die Finger lassen?
Wir haben in diesem Jahr eine wirklich interessante Situation. Wahlen gab es neben Indien und Taiwan auch in der Türkei und in Südafrika. Das sind zwei Märkte, die wir in der Vergangenheit gemieden haben, weil sie sehr glanzlose Ergebnisse geliefert haben und die Wirtschaftspolitik wirklich frustrierend war. Nun sind beide Regierungen von den Wählern quasi unter Beobachtung gestellt worden. Der ANC in Südafrika musste eine Koalitionsregierung, die Regierung der nationalen Einheit, bilden. Mit einer besseren Regierungsführung könnte Südafrika wieder zu einem attraktiven Ziel für langfristige Investitionen werden. Ähnliches gilt für die Türkei, wo die Zentralbank unabhängig werden soll, um eine orthodoxere Geldpolitik zur Bekämpfung der galoppierenden Inflation zu verfolgen.
Sehen Sie auch bestimmte Sektoren, die stärker als andere zulegen könnten?
Da sind natürlich der Technologiesektor und die Magnificent Seven. Ein Bereich, der bereits sehr stark zugelegt hat. Bei den Schwellenländern sind Korea und Taiwan die Heimat von Technologie-Powerhouses, die davon profitieren. Das ist daher ein Bereich, den wir weiter pflegen und übergewichten. Dazu kommt die Industrie. Sektoren wie Batterien, Robotik, Solartechnik und Fertigungsanlagen haben einen wirklich harten Abwärtszyklus durchlaufen und es sieht so aus, als ob sie kurz vor einer Bodenbildung stünden. Als dritter Bereich sehen wir einige Möglichkeiten im Rohstoffsektor. Wenn man sich das Gesamtbild der letzten hundert Jahre anschaut, sind wir etwa 14 Jahre vom letzten Höchststand entfernt.
Und dieser könnten nun getestet werden?
Ich sage jetzt keinen Aufwärtszyklus voraus, aber es gibt Rohstoffe, von denen wir glauben, dass sie sich in einem strukturellen Angebotsdefizit befinden und daher aus Sicht langfristiger Investoren sehr interessant sind. Kupfer ist wichtig für die Energiewende und die Digitalisierung. Auch Aluminium. Davon können dann auch Schwellenländer profitieren, die Rohstoffe exportieren, von Indonesien bis Brasilien, Peru, Chile und Südafrika. Ein Aufschwung Chinas könnte diesen Rohstoffexportmärkten auch neuen Rückenwind geben.
Zur Person: James Cook ist seit November 2011 Head of Investment Specialists bei Federated Hermes Limited und zudem Investment Director für Emerging Markets. In dieser Funktion leitet er ein Team von Anlagespezialisten, das alle Aktien-, Renten- und Multi-Asset-Produkte verwaltet.
Das Interview führte Tobias Möllers.