RECHT UND KAPITALMARKT

Brexit - Stresstest für Finanzierungen

Nach einem Austritt Großbritanniens würden teure Nachverhandlungen drohen - Erhöhter Regulierungsaufwand in London

Brexit - Stresstest für Finanzierungen

Von Torsten Wehrhahn und Nikolai Warneke *)Am 23. Juni stimmen die Briten über den Austritt aus der Europäischen Union ab. Je näher die Gefahr eines Brexits rückt, desto dringender werden sich Parteien grenzüberschreitender Finanzierungsvereinbarungen mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob die getroffenen Vereinbarungen einem “Brexit-Stresstest” standhalten.Fällt die Entscheidung für den Brexit, so hat dies erst einmal keine unmittelbaren rechtlichen Konsequenzen: Bis zum Vollzug des Austritts, welcher voraussichtlich nicht vor 2018 erfolgen wird, bleibt Großbritannien Teil der EU und damit an die bestehenden Vereinbarungen gebunden. Gleichwohl dürfte Großbritannien erste ökonomische Konsequenzen wie Währungsschwankungen, Schwankungen an den Kapitalmärkten oder Neubeurteilungen durch Ratingagenturen recht zeitnah zu spüren bekommen. Kein geregeltes VerfahrenNachdem die EU-Verträge für den Austritt eines Mitgliedstaates nach wie vor kein geregeltes Verfahren vorsehen, müssen die Modalitäten des Brexits im Falle eines entsprechenden Referendums mit den anderen EU-Mitgliedstaaten verhandelt werden. Es wird darauf ankommen, auf welche Modalitäten sich EU und Großbritannien einigen und wie schnell Großbritannien in der Lage sein wird, durch den Abschluss von Vereinbarungen mit der EU, deren einzelnen Mitgliedstaaten oder Drittländern neue rechtliche Rahmenbedingungen für die britische Finanzwirtschaft zu formulieren.Großbritannien verfügt über den bedeutendsten europäischen Finanzplatz, und grenzüberschreitende Finanzierungen werden regelmäßig aus London heraus strukturiert und syndiziert. Entsprechende Konsortialkreditverträge (z. B. nach den Vorgaben der in London ansässigen Loan Market Association, LMA), damit zusammenhängende Zins- und Währungsdeckungsgeschäfte (z. B. nach den Vorgaben der International Swaps and Derivatives Association, (ISDA) sowie Verbriefungstransaktionen werden häufig dem englischen Recht und der Zuständigkeit englischer Gerichte unterworfen. Derartige Rechtswahl bzw. Gerichtsstandvereinbarungen behalten im Falle eines Brexits grundsätzlich ihre Gültigkeit.Mit der Wahl englischen Rechts wird regelmäßig eine Entscheidung für das “von Zeit zu Zeit” geltende englische Recht getroffen. Mit dem Austritt aus der EU entfällt aber die Bindung Großbritanniens an bestehende EU-Vereinbarungen sowie die Pflicht, neues EU-Recht in nationales Recht umzusetzen. Es liegt nahe, dass in Großbritannien besonders kritisierte europäische Regelungen nach einem Brexit zügig gekippt werden. Daher können sich Vertragsparteien, welche die Wahl englischen Rechts oder englischer Gerichte vereinbart haben, unverhofft in einem Rechtskreis wiederfinden, der sich von den EU-Standards abkoppelt.Unklar ist auch, ob bzw. welchen Abkommen zur gegenseitigen Anerkennung von Urteilen Großbritannien beitreten wird. Unter der derzeit maßgeblichen Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO) genügt es, der Vollstreckungsbehörde in dem Mitgliedstaat, in dem die Vollstreckung z. B. aus einem Urteil erfolgen soll, die Ausfertigung der Entscheidung im Original und eine Bestätigung über deren Vollstreckbarkeit vorzulegen. Das Lugano-Übereinkommen, das 2007 zwischen den Mitgliedstaaten der EU, der Schweiz, Norwegen und Island unterzeichnet wurde und das im Verhältnis zu Großbritannien nach einem Brexit möglicherweise gelten würde, sieht demgegenüber vor, dass ein Urteil auf Antrag des Berechtigten in einem nicht selten kostspieligen und zeitaufwendigen Anerkennungsverfahren im Vollstreckungsstaat für vollstreckbar erklärt wird.Zur Vermeidung damit einhergehender Risiken sollte für Finanzierungsverträge ohne Bezug zu Großbritannien wohl überlegt werden, ob die Wahl englischen Rechts bzw. eines englischen Gerichtsstands noch gerechtfertigt ist. Auf einen Brexit zugeschnittene Vertragsregelungen, wie Sonderkündigungs- oder Kompensationsansprüche, haben sich im Markt bislang noch nicht etabliert. Gleichwohl sind Regelungsbereiche mit direktem oder indirektem EU-Bezug künftig genau zu prüfen. Aus steuerrechtlicher Sicht kann Abstimmungsbedarf hinsichtlich der Berücksichtigung von Zöllen, der Abzugsfähigkeit von Mehrwertsteuer oder der Erhebung neuer Steuern (Stichwort “Finanztransaktionssteuer”) sowie der möglichen Anpassung bestehender Doppelbesteuerungsabkommen aufkommen. Sofern abzusehen ist, dass ein Brexit das Geschäft eines Kreditnehmers negativ beeinflussen wird (z. B. Margenreduzierung durch Zölle, Wegfall von EU-Beihilfen, Umsatzschwankungen, Ratingverschlechterungen), ist eine Neubewertung der Finanzkennzahlen in Betracht zu ziehen. Die Frage, ob Finanzierungsverträge im Falle eines Brexits aufgrund marktüblicher Klauseln (z. B. Material Adverse Effect bzw. Material Adverse Change) oder aus wichtigem Grund gekündigt werden können, muss im Einzelfall beurteilt werden. Für Konsortialkreditverträge nach dem Muster der LMA wird dies bislang überwiegend verneint.Großbritannien ist nicht Teil der sogenannten Eurozone, so dass im Falle eines Brexits keine Redenominierungsrisiken bestehen: Verbindlichkeiten, welche ausdrücklich in Euro bzw. GBP begründet wurden, sind mangels anderslautender Vereinbarungen auch zukünftig in der Ausgangswährung zurückzuzahlen. Bei Eintritt des Brexits ist jedoch mit Währungsschwankungen zu rechnen. Sofern Finanzierungen nicht in derjenigen Währung vereinbart sind, in welcher der Kreditnehmer die zur Rückzahlung notwendigen Cash-flows erwirtschaftet, sollte das Währungsrisiko abgesichert werden.Direkte oder indirekte Kapitalverkehrskontrollen sind nicht sehr wahrscheinlich, können aber nicht ausgeschlossen werden. Bei der Strukturierung von Finanzierungen sowie der Implementierung von Cash-Management-Systemen ist zu berücksichtigen, dass die Liquidität des Kreditnehmers in dem Land konzentriert wird, in welchem die Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen sind.Ein Brexit wird sich ferner auf die Bedeutung des Finanzplatzes London auswirken, welcher von internationalen Finanzinstitutionen vorzugsweise als Basis für den kontinentaleuropäischen Markt genutzt wird. Für ihre der Regulierung unterliegenden Geschäfte setzen Finanzinstitutionen derzeit noch auf den sogenannten “Europäischen Pass”, also die Möglichkeit, die in einem Mitgliedstaat des EWR bestehende Zulassung auch für eine grenzüberschreitende Tätigkeit in den übrigen Mitgliedstaaten zu nutzen. Neuer ZugangSofern Großbritannien nach dem Brexit nicht dem EWR beitritt oder eine andere Form der gegenseitigen Anerkennung bestehender Erlaubnisse für regulierte Tätigkeiten vereinbart wird, müsste das kontinentaleuropäische Geschäft zukünftig über Niederlassungen in der EU getätigt werden. Umgekehrt müssten sich kontinentaleuropäische Finanzinstitutionen einen neuen Zugang zum Finanzplatz London suchen. Der damit verbundene erhöhte regulatorische Aufwand bei gleichzeitig reduzierten Syndizierungs- bzw. Refinanzierungsmöglichkeiten dürfte die Gestaltung der Konditionen beeinflussen. Kapitalgeber, die aufgrund von Vorgaben für ihre Anlage bei der Tätigung von Investments und Finanzierungen geografisch limitiert sind, könnten ferner Gelder abziehen und Preise unter Druck setzen.Entscheidet sich das britische Volk für einen Brexit, wird der britischen Regierung zwar an der Aufrechterhaltung geeigneter rechtlicher Rahmenbedingungen für die heimische Finanzindustrie gelegen sein. Ob bzw. wie schnell dies gelingt, kann jedoch nicht seriös vorausgesagt werden. Insbesondere mittel- und langfristig agierende Marktteilnehmer sollten (grenzüberschreitende) Finanzierungen zeitnah einem “Brexit-Stresstest” unterziehen, um aufwendige und gegebenenfalls teure Nachverhandlungen zu vermeiden.—-*) Dr. Torsten Wehrhahn und Dr. Nikolai Warneke sind Associated Partner bei Noerr in Frankfurt.