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Der große Trugschluss

Börsen-Zeitung, 23.3.2013 Für die meisten Anleger ist die Erfolgsgleichung ganz einfach: An der Wachstumsstory eines Landes - so denken sie - lässt sich am besten partizipieren, wenn man in dessen Aktienmarkt investiert. Denn Wirtschaftswachstum...

Der große Trugschluss

Für die meisten Anleger ist die Erfolgsgleichung ganz einfach: An der Wachstumsstory eines Landes – so denken sie – lässt sich am besten partizipieren, wenn man in dessen Aktienmarkt investiert. Denn Wirtschaftswachstum bedeutet Unternehmensgewinne. Und die wiederum lassen die Aktienkurse haussieren.Das ist jedoch ein schwerer Trugschluss. Denn einen positiven Zusammenhang zwischen dem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) eines Landes und den Anlageerträgen von dessen Aktienmärkten gibt es nämlich nicht. Das fanden Elroy Dimson, Paul Marsh und Mike Staunton, Professoren an der London Business School (LBS), in einer wissenschaftlichen Studie heraus. Ihre Analyse von Finanzdaten von insgesamt 83 Ländern, die bis ins Jahr 1990 zurückreichen, förderte sogar das Gegenteil der landläufig vertretenen Annahme zutage – nämlich, dass wachstumsschwächere Länder bessere Anlageerträge liefern als ihre wachstumsstarken Pendants.Besonders deutlich wird das am Beispiel Chinas. Zwischen 1993 und 2011 ist das BIP der Volksrepublik nominal um durchschnittlich 15,5 Prozent p. a. gewachsen. Würde die landläufig vertretene Anlegermeinung zutreffen, sollte man natürlich auch eine ähnliche Entwicklung des Aktienmarktes des Lands erwarten dürfen. Doch diese Erwartung trifft keineswegs zu. Wer 1993 einen Betrag von 1 000 US-Dollar in den MSCI China Index investiert hat, hatte davon im Jahr 2011 nur noch 660 US-Dollar übrig – das ist ein Minus von 34 %. Zum Vergleich: Der Wert des Dax hat sich in dieser Zeit mehr als verdreifacht, während man sich in jenen Jahren in Deutschland schon über ein Wirtschaftswachstum jenseits der 2 % gefreut hat. Die meisten Anleger kennen und verstehen die langfristigen Wirtschaftsthemen in Asien gut. Doch wenn es um ihre Möglichkeiten geht, an der strukturellen Wachstumsstory zu partizipieren, unterläuft vielen von ihnen eine folgenschwere Fehleinschätzung. Unpräzise AbbildungWie kann das sein? Und was müssen Anleger beachten, um am asiatischen Wachstumswunder teilhaben zu können? Es gibt mehrere Erklärungen für den fehlenden Zusammenhang zwischen dem Wirtschaftswachstum und den Anlageerträgen. Zum einen repräsentiert ein Aktienindex die Wirtschaft eines Landes nicht präzise. Mehr als die Hälfte der in den Leitindizes vertretenen Unternehmen agiert international und ist damit stärker den Launen der Weltwirtschaft als den Binneneinflüssen ausgesetzt. Von der günstigen Binnendynamik profitieren hingegen vor allem die vielen kleinen und mittelgroßen Unternehmen, die im Windschatten der “Global Player” agieren und im jeweiligen Aktienindex stark unterrepräsentiert sind. Das kann sehr problematisch sein für Anleger, die diese kleineren Unternehmen nicht kennen und deshalb einfach in asiatische Marktindizes investieren.Eine häufig angeführte Begründung dafür, warum sich hohe Wirtschaftswachstumsraten nicht in ebenso hohen Renditen niederschlagen, liegt auch darin, dass das Wachstum von Insidern – also den Managern und sonstigen Führungskräften – zulasten der Aktionäre abgeschöpft wird. Und schließlich setzt sich die Gesamtrendite am Aktienmarkt aus zwei Komponenten zusammen – dem Kursgewinn und der Dividendenrendite. Kursgewinne sind anfällig gegenüber nicht fundamentalen Faktoren. Hier spielt u. a. der vielzitierte Herdentrieb der Börsianer eine nicht zu unterschätzende Rolle. Die Entwicklung der Dividenden spiegelt dagegen die Unternehmensgewinne und damit auch die wirtschaftliche Entwicklung des jeweiligen Landes relativ präzise wider. So zeigt auch die oben genannte LBS-Studie, dass das reale Dividendenwachstum pro Aktie eng mit dem realen Wachstum des Pro-Kopf-Bruttoinlandsproduktes korreliert. An dieser Stelle trifft die landläufige Anlegermeinung also durchaus zu. Das betrifft aber eben nur den Teilaspekt der Dividendenrendite.Dem Hype um Asiens gewaltiges Wachstumspotenzial der kommenden Jahrzehnte zum Trotz müssen Anleger daher einen kühlen Kopf bewahren. Sie sollten sich vergegenwärtigen, dass sie keine Märkte oder Länder in ihrem Portfolio halten, sondern Aktien einzelner Unternehmen. Und die wollen sorgfältig ausgewählt sein. Wer am Wirtschaftswachstum einer Region teilhaben möchte, muss daher sicherstellen, dass er ausschließlich in die guten Unternehmen aus dieser Region investiert. Denn nicht alles, was aus Asien kommt, verspricht auch hohe Gewinne. Eine ausführliche Bottom-up-Analyse der Unternehmen trägt dazu bei, die asiatische Wachstumsstory in gewinnbringende Aktienengagements umzusetzen. Dabei geht es zum einen um ein Umfeld solider Unternehmensführung und tadelloser Geschäftspraktiken und natürlich auch um ein grundlegendes Verständnis der Geschäftsmodelle und Ertragstreiber. Wichtig ist außerdem, darauf zu achten, dass die Unternehmen, deren Aktien sich im Portfolio wiederfinden, ihr Wachstum in Form hochwertiger Gewinne an die Aktionäre zurückgeben. Anleger, die vom jahrzehntelangen Wachstumspotenzial Asiens profitieren möchten, sollten daher ganz genau darauf schauen, welche Dividenden sie aus ihren Aktienengagements vereinnahmen können. Eingepreistes WachstumNatürlich kann es aber wie bei anderen Wachstumswerten auch passieren, dass ein für die Zukunft erwartetes Wachstum bereits in den aktuellen Aktienkursen eingepreist ist. Wäre dies der Fall, würden die Kurse nicht weiter anziehen, wenn das erwartete Wirtschaftswachstum tatsächlich eintritt. Es würde dafür aber kräftig fallen, wenn das Wachstum nur ein kleines bisschen schwächer ausfällt als ursprünglich einmal gedacht. Hier hilft ein Blick auf die entsprechenden substanzorientierten Kennzahlen, um die Börsenbewertung der jeweiligen Unternehmen zu beurteilen. Die Region Asien wird aktuell mit einem Kurs-Buchwert-Verhältnis von 1,7 und einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 13,9 gehandelt. Das sind angemessene Bewertungen, wenn man sich am langjährigen Durchschnitt orientiert.In dieser Hinsicht ist der Einstiegszeitpunkt für asiatische Aktien derzeit also günstig – vorausgesetzt, man analysiert die Unternehmen, in die investiert werden soll, zuvor ganz genau und achtet vor allem auf eine angemessene Dividendenrendite. Langfristig orientierten Anlegern, die diese Grundregeln beherzigen, stehen damit alle Türen weit offen, den Boom in Asien zur Grundlage für ihre ganz persönliche Wachstumsstory im Depot zu machen.