Recht und Kapitalmarkt

Die Finanzkrise kommt auch bei Kämmerern an

Gerichte und Finanzbehörden in den USA bekämpfen Steuersparmodelle - Spürbare Folgen für deutsche Städte und Gemeinden

Die Finanzkrise kommt auch bei Kämmerern an

Von Anders Kraft *)Ende der neunziger Jahre bis in das Jahr 2004 beteiligten sich viele deutsche Gemeinden an Lease-in-and-lease-out(LILO)-Transaktionen mit US-Investoren. Die Transaktionen waren hochkomplex, verursachten nicht selten Kosten in zweistelliger Millionenhöhe, und die zugrunde liegenden Verträge umfassten mehrere tausend Seiten. Der Grundgedanke war überraschend schlicht: Es ging darum, in den USA Steuern zu sparen und diese Steuerersparnis unter den Beteiligten aufzuteilen. Verlockende MittelzuflüsseGrob vereinfacht verleasten deutsche Gemeinden Vermögensgegenstände an US-Trusts, die von US-Investoren für diesen Zweck errichtet wurden, (Headlease), die direkt im Anschluss von der betroffenen Gemeinde für einen kürzeren Zeitraum zurückgeleast wurden (Sublease), sodass die weitere Nutzung durch die Gemeinden gewährleistet war. Der US-Trust zahlte die Leasingraten für die Vermögensgegenstände im Voraus in voller Höhe, während die Leasingraten, die durch die Gemeinden für das “Zurückleasen” geschuldet wurden, proratarisch zu zahlen waren. Für die Zeit nach Ablauf des Sublease wurden den Gemeinden entsprechende Optionen eingeräumt.Die Vorteile ergaben sich aus dem amerikanischen Steuerrecht, das es den Investoren ermöglichte, Zinsen und Abschreibungen steuerlich geltend zu machen, sodass ihnen steuerlicher Aufwand zugerechnet wurde. An der so generierten Steuerarbitrage partizipierten die Gemeinden anteilig in Höhe von etwa 3 % bis 5 %.Die Zahlungsströme wurden so strukturiert, dass die Gemeinden nach Abschluss der Verträge mit deren künftiger Umsetzung nicht mehr in Berührung kamen. Der US-Trust zahlte den Barwert sämtlicher Leasingraten in Höhe des Teils, mit dem die Gemeinden an der Steuerarbitrage in der USA partizipierten, direkt an diese und den überschießenden Teil in der Regel an Banken, die die Auszahlung der Leasingraten über die Folgezeit übernahmen. Zudem wurden die zukünftigen Verpflichtungen durch Banken oder Versicherungen abgesichert.Für die Gemeinden bedeutete dies einen schnellen und vermeintlich risikolosen Mittelzufluss, der nicht selten im zweistelligen Millionenbetrag lag. Auf diesem Wege wurden Kläranlagen, Wasserkraftwerke, Straßenbahnnetze und auch Müllverbrennungsanlagen im zweistelligen Milliardenbereich verkauft bzw. verleast. Allerdings wurden den Gemeinden auch vertragliche Pflichten auferlegt. Neben der Instandhaltung und Versicherung der Vermögensgegenstände haften sie in der Regel für das Rating der beteiligten Institute. Mit voller WuchtDie Vorteile aus der Vergangenheit werden allerdings, wie auch in anderen Wirtschaftsbereichen, durch die Finanzkrise gefährdet. Viele Unternehmen, wie auch der Versicherungskonzern AIG, die als Garantiegeber in den beschriebenen Transaktionen auftraten, sind in ihrem Rating abgesunken. Die betroffenen Gemeinden müssen nun entweder weitere Sicherheiten stellen oder aber ein Institut als Garantiegeber gewinnen, welches den vertraglichen Vorgaben an das Rating entspricht. Letzteres scheint im Hinblick auf die gesamtwirtschaftliche Lage nahezu aussichtslos. Können die Gemeinden dieser Verpflichtung nicht nachkommen, sehen die Verträge nicht selten die Möglichkeit vor, dass die Investoren die Verträge kündigen und/oder Schadenersatz verlangen können. Umfasst die vertragliche Definition des Schadens auch den erhofften steuerlichen Vorteil aus der Transaktion, so können die Schadenersatzforderungen den ursprünglich erhaltenen Vorteil weit übersteigen.Die beschriebenen Risiken werden durch einige Entwicklungen in den USA noch verschärft. Die US-Steuerbehörde IRS (Internal Revenue Service) qualifizierte die Transaktionen als reine Steuersparmodelle und obsiegte in zwei Verfahren im vorigen Jahr vor den amerikanischen Finanzgerichten bezüglich der steuerlichen Nichtanerkennung solcher Deals. Eines der Urteile befasste sich mit einem Fall, dessen Gegenstand die Müllverbrennungsanlage einer deutschen Gemeinde war. Das Gericht sprach der Transaktion jegliche wirtschaftliche Substanz ab und kam zu der Überzeugung, dass der US-Trust niemals wirtschaftlicher Eigentümer der Anlage geworden ist – eine Schlussfolgerung, die aus deutscher steuerlicher Sicht in dem konkreten Fall schon damals von den deutschen Finanzbehörden bestätigt wurde. Daraufhin rief die IRS im August 2008 eine sogenannte Settlement-Initiative ins Leben. Diese sieht u. a. vor, dass 20 % des ursprünglich erklärten steuerlichen Aufwands anerkannt werden und der Steuerpflichtige von bestimmten Strafzahlungen befreit wird. Im Gegenzug muss er allerdings die entsprechenden Transaktionen beenden bzw. sich steuerlich so behandeln lassen, als seien sie am 31. Dezember 2008 beendet worden. Die Initiative soll von mehr als zwei Drittel der betroffenen US-Investoren angenommen worden sein. Zwar ist nicht zu erwarten, dass die IRS auf die tatsächliche Beendigung der Strukturen drängt, da das fiskalische Ziel, die bestehenden Verträge für steuerliche Zwecke zu eliminieren, bereits durch eine entsprechende steuerliche Behandlung erreicht wurde. Allerdings sind die bestehenden Strukturen für die Zukunft wirtschaftlich unattraktiv, und es wird einem US-Investor daran gelegen sein, mit möglichst geringem Verlust sein Engagement zu beenden und den Gemeinden zumindest Teile dieses Verlusts aufzubürden. HoffnungsschimmerAllerdings gibt es auch Entwicklungen, die die Gemeinden hoffen lassen können. Ebenfalls 2008 befasste sich ein US-Gericht mit Schadenersatzforderungen eines Investors gegen eine Betreiberin eines Elektrizitätswerks im Zusammenhang mit einer solchen Transaktion. In dem Verfahren US District Court, Southern District of Indiana, Hoosier Energy vs. John Hancock entschied das Gericht im Ergebnis zugunsten des Betreibers und damit gegen den Investor. Es griff in seiner Entscheidung im Wesentlichen auf die Gründe zurück, auf die die Finanzgerichte die steuerliche Nichtanerkennung stützten, und qualifizierte die gesamte Transaktion im Ergebnis als Scheingeschäft, das ausschließlich auf einen steuerlichen Vorteil ausgerichtet war. Es verneinte zudem die Wirksamkeit der Sicherungsvereinbarung, auf deren Verletzung der Investor seine Schadenersatzforderung stützte, da diese untrennbarer Teil der gesamten Transaktion sei. Auch wenn die Entscheidung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ergangen ist und daher als vorläufig bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren gilt, können daraus, da in einem solchen die Erfolgsaussichten des Hauptverfahrens geprüft werden, Rückschlüsse auf die grundsätzliche Sichtweise des Gerichts gezogen werden. Das Gericht folgerte weiter, dass als Rechtsfolge die gesamte Transaktion rückabgewickelt werden müsse und dass der Investor keinen Anspruch auf Ersatz seines Schadens, womöglich einschließlich der entgangenen Steuervorteile, haben dürfe. Allerdings wird im Umkehrschluss die andere Partei die erhaltenen Vorteile zurückgewähren müssen.Zurzeit versuchen viele deutsche Gemeinden entweder selbst Sicherheiten zu stellen, suchen nach neuen Sicherungsgebern oder zahlen die US-Investoren aus. Auch sollen bereits bei der KfW und den Landesbanken Zusatzgarantien angefragt worden sein. Die Bemühungen vieler Gemeinden scheinen demnach darauf gerichtet zu sein, die vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen, um Schadenersatzforderungen zu entgehen. Neben dieser mit erheblichen Kosten verbundenen “Vertragstreue” sollten allerdings auch andere Optionen geprüft werden. Die beschriebenen Entwicklungen in den USA eröffnen unter Umständen Möglichkeiten, die bestehenden Strukturen aufzulösen, was zwar ebenfalls mit Kosten verbunden wäre, allerdings auch die Risiken, die in den komplexen Vertragswerken angelegt sind, endgültig beseitigen würde.—-*) Dr. Anders Kraft ist Counsel im Frankfurter Büro von Latham & Watkins.