Recht und Kapitalmarkt

Geldwäsche-Ermittlungen beleuchten Russland-Risiko

Grauzone Privatisierungen - Kompromittierung durch "Kompromat"- Commerzbank-Verfahren gibt Anlass zu Bedenken

Geldwäsche-Ermittlungen beleuchten Russland-Risiko

Von Tobias Müller-Deku *)Mit den Ermittlungsverfahren gegen derzeitige und ehemalige Mitarbeiter der Commerzbank wegen des Verdachts der Geldwäsche hat sich eine besondere Form des Russlandrisikos verwirklicht: das Risiko, aufgrund von Russlandaktivitäten ins Visier westlicher Strafverfolger zu geraten. Dieses Risiko besteht naturgemäß vor allem für Straftäter, darüber hinaus aber in gewissem Umfang auch für unbescholtene Geschäftsleute, die Russlandgeschäfte betreiben. Warum?Die Ursachen liegen in Besonderheiten des russischen Rechtssystems und seiner zunehmenden Verzahnung mit den Staaten Westeuropas. Russland ist in vielfältiger Weise in die internationale Strafverfolgung integriert. So sind in Russland begangene Straftaten unter bestimmten Voraussetzungen taugliche Vortaten für die Verurteilung wegen Geldwäsche in Deutschland, und die aus russischen Straftaten stammenden Erlöse sind im deutschen Rechtssinne schmutziges Geld. Kooperation der BehördenDie Behörden der Russischen Föderation kooperieren mit westlichen Polizeibehörden im Rahmen der Interpol-Organisation, und russische Rechtshilfeersuchen in Strafsachen werden von westlichen Behörden auf der Grundlage von internationalen Abkommen unterstützt. Das klingt zunächst gut und richtig. Es ist die Konsequenz des politischen Willens, Russland auf allen Ebenen zu integrieren. Im Kampf gegen den Terror ist Russland ein wichtiger Partner. Allerdings hinkt die russische Rechtswirklichkeit in bedenklicher Weise der politisch gewollten Integration hinterher. Russland ist nach wie vor ein rechtlicher Sonderfall, und was auch immer an Strafverfolgungsbegehren aus Russland kommt, sei es von Behörden oder Privatpersonen, sollte gut geprüft werden, bevor es in die hocheffiziente Maschinerie westlicher Strafverfolgung eingespeist wird. VerhaltensauffälligIm Falle Russlands besteht die Besonderheit zunächst darin, dass Geschäftsaktivitäten in vielen Bereichen systematisch und nahezu unvermeidbar Verhaltensweisen erzeugen, die nach dem Buchstaben der Gesetze Russlands illegal sind und auch nach westlicher Vorstellung Straftaten darstellen. So gehen, von Ausnahmen abgesehen, lukrative Privatisierungen nicht ohne Bestechung und Bestechlichkeit vonstatten. Untreue des Managements zulasten des von ihm geführten Unternehmens zum Schaden der Minderheitsaktionäre sowie systematische Steuerhinterziehung sind nach wie vor weit verbreitet. Als weiteres Element tritt die selektive Verfolgung von Straftaten hinzu. Dies ist im Falle des in erster Instanz verurteilten ehemaligen Chefs des Yukos-Konzerns, Michail Chodorkowskij, notorisch geworden. Es gibt unter Russen kaum Zweifel daran, dass das Verhalten zahlreicher anderer unbehelligt in Russland lebender Wirtschafts-Oligarchen in ähnlicher Weise als Straftat verfolgt werden könnte wie das von Chodorkowskij. Dass diese nicht angeklagt werden und dass auch Chodorkowskij über Jahre von den Behörden nicht behelligt wurde, hat Gründe, die offensichtlich außerhalb des Strafrechts liegen. Aus der Kombination von verbreitetem Rechtsbruch und selektiver Verfolgung ergibt sich eine Grauzone von Unsicherheit und allgegenwärtiger Strafdrohung, die typisch für das russische Rechtssystem ist. Die Grauzone ist zugleich Teil eines komplexen Systems, das in Russland mit dem Begriff “Kompromat” assoziiert wird. “Kompromat”, wörtlich “kompromittierendes Material”, bezeichnet eine angeblich bereits aus zaristischer Zeit stammende und von den Sowjets perfektionierte Übung, wonach Behörden (und nun auch Privatpersonen) kompromittierendes Material sammeln, das es ihnen erlaubt, im passenden Moment Druck auf andere auszuüben. Die massenhaften und oft unvermeidbaren Regelverstöße des Privat- und Wirtschaftslebens generieren unablässig “Kompromat”, das aber erst zur Verfolgung im Einzelfall führt, wenn es aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen opportun erscheint. Banken stark gefährdetWas folgt daraus? Zunächst einmal, dass jeder, der in Russland Geschäfte macht, wissen sollte, dass er zwangsläufig mit Geschäftspartnern in Berührung kommen wird, die in Russland verbreitete Delikte wie Bestechung, Steuerhinterziehung und Untreue begangen haben und damit schmutziges Geld erzeugen. Besonders gefährdet sind natürlich in Russland tätige Banken, wegen ihrer Nähe zum Geld. Kompromittierendes Material wird auf diesem Wege laufend auch gegenüber den Harmlosen und Nichtsahnenden generiert. Westliche Strafverfolger müssen im Umgang mit ihren russischen Kollegen unterscheiden, wann auch unter Berücksichtigung russischer Besonderheiten schwere und verfolgungswürdige Straftaten in Rede stehen und wann sie lediglich mit den Blüten des “Kompromat”-Systems konfrontiert sind. Es gibt selbstverständlich neben den Fällen, in denen westliche Strafverfolger aus wirtschaftlichen oder politischen Gründen instrumentalisiert werden, eine Praxis effektiver russisch-westlicher Zusammenarbeit, bei der ehrliche, hochmotivierte russische Staatsanwälte echte Verbrecher jagen. Es geht folglich um die rechte Balance.In der Praxis gibt es einige Indikatoren, die von westlichen Strafverfolgern als Warnsignale verstanden werden könnten. Zunächst dürfte es sich lohnen, mit Hilfe neutraler Experten die russische Rechtswirklichkeit zu erforschen. Es gibt in Russland zahlreiche Gesetze, die zwar existieren, aber in der Praxis nicht angewendet werden, weil sonst der Handel, die Produktion oder der Verkehr zum Erliegen käme. Wenn eine solche verbreitete und offen geduldete Praxis im Einzelfall zur Straftat aufgepeppt wird, liegt der Verdacht nahe, dass die Behörden außerhalb des Strafrechts liegende Motive haben. Dies liegt insbesondere dann nahe, wenn es um Straftaten im Zusammenhang mit Privatisierungen geht. Vergehen im Rahmen von Privatisierungen wurden in Russland niemals systematisch, sondern immer nur selektiv verfolgt. Das ist erkennbar der Hintergrund im Fall Chodorkowskij. Ein weiteres Warnsignal ist gegeben, wenn im Zusammenhang mit der angeblichen Straftat ein industrieller Konflikt um lukrative russische Unternehmen im Gange ist. Kommt es hier zu Strafanzeigen im westlichen Ausland, so sollte erwogen werden, ob nicht private Kontrahenten die westliche Strafverfolgung unter Verwendung von “Kompromat” instrumentalisieren, weil sie innerhalb Russlands mangels politischer Unterstützung ihre Ziele nicht erreichen. Das muss nicht, könnte aber der Fall der Commerzbank-Mitarbeiter sein. Die Kenntnis der Besonderheiten der russischen Rechtswirklichkeit sollte keinesfalls dazu führen, unbesehen die Akten in Russlandfällen zu schließen und die Kooperation zu verweigern. Nur ist Vorsicht geboten, damit nicht elementare rechtsstaatliche Errungenschaften – wie insbesondere die Unschuldsvermutung – durch allzu routinierte internationale Kooperation der Strafverfolgungs- und Bankaufsichtsbehörden in Gefahr gebracht werden. Die Schweizer Behörden haben diese Vorsicht bei der Beschlagnahme von Konten, die mit Chordokowskijs Holding-Gesellschaft Menatep in Verbindung standen, zunächst nicht walten lassen. Die von den russischen Behörden eingereichten Dokumente waren lückenhaft, die Vorwürfe uferlos, und die politische Motivation lag auf der Hand. Die Schweizer Gerichte haben die Arrestverfügungen entsprechend später aufgehoben. Die Auslieferungsverfahren, in denen die Russische Föderation sich erfolglos um die Auslieferung angeblicher Wirtschaftsstraftäter oder Terroristen aus Großbritannien bemüht hat, lassen den Schluss zu, dass Rechtshilfe- und Auslieferungsersuchen aus Moskau jedenfalls in den politisch aufgeladenen Fällen von englischen Gerichten mit Skepsis betrachtet werden.Wie die Maßnahmen gegen die Mitarbeiter der Commerzbank einzuordnen sind, wird das weitere Verfahren zeigen. Dass die erhobenen Vorwürfe im Zusammenhang mit einer Privatisierung stehen und dass sich im Hintergrund der wirtschaftliche Konflikt über ein russisches Telekommunikationsunternehmen abzeichnet, gibt allerdings bereits Anlass zu Bedenken. *) Tobias Müller-Deku ist Partner im Münchner Büro der Sozietät Freshfields Bruckhaus Deringer.