"Gestiegener Optimismus bremst Kauflaune"
Trotz Krisenstimmung in Europa verzeichnete der Dax 2012 ein Prädikatsjahr. Im Interview der Börsen-Zeitung erklärt Manfred Hübner, Analyst von Sentix, warum er weiterhin optimistisch für den Aktienmarkt ist und die Gefahr einer Ernüchterung am Anleihenmarkt sieht.- Herr Hübner, was haben die “draghischen Maßnahmen” im vergangenen Jahr in der Anlegerstimmung verändert?Die Worte Mario Draghis zum unbedingten Bestand der Eurozone haben bei den Anlegern einen großen Eindruck hinterlassen. Sie haben das Grundvertrauen in den Euro sowie die Aktienmärkte zurückgebracht. Der von Sentix gemessene strategische Bias befindet sich seitdem klar im positiven Bereich.- Wird die Schuldenkrise nicht mehr als Bedrohung für die Märkte wahrgenommen?Doch, durchaus. Die Anleger haben jedoch realisiert, dass es nun gefährlich geworden ist, gegen die Notenbank zu spekulieren. Denn dort sind die Taschen tiefer als bei jedem einzelnen Spekulanten. Zudem sind die neuen Kriseninstrumente EFSF und ESM inzwischen scharf geschaltet, und die Euroland-Staatschefs präsentieren sich vergleichsweise harmonisch. Damit ist der ärgste Mangel, die fehlende politische Koordinierung, zunächst einmal gemildert.- Der Dax hat in den vergangenen zwölf Monaten mehr als 20 % zugelegt. Medien erwarten ihn schon bald bei 10 000 Punkten. Die Volatilität ist gemessen am VDax auf Mehrjahrestiefs gefallen. Lässt sich dieses hohe Maß an Sorglosigkeit auch bei den Umfragen feststellen?Ja und nein. Die Stimmung ist heute zweifelsfrei besser als noch vor sechs Monaten, und auch die Positionierung der institutionellen Anleger ist inzwischen im Mittel moderat übergewichtet. Dennoch sind zwei wesentliche Entwicklungen feststellbar: Zum einen hegen die gleichen Anleger, die uns ein gestärktes Grundvertrauen berichten, noch immer starke Zweifel an der Dauerhaftigkeit des Entspannungsszenarios. So werden beispielsweise die positiven Konjunktursignale wie sechs Anstiege in Folge bei den Sentix-Konjunkturerwartungen für Euroland kaum thematisiert. Die Investoren haben Schwierigkeiten, zu akzeptieren, dass Draghi nicht nur die Psychologie, sondern in der Folge auch das reale Umfeld verändert hat. Zum anderen steht bei vielen institutionellen Investoren eine Neugewichtung in der Asset Allocation bevor, bei der gemäß unseren Umfragen Aktien klar im positiven Fokus stehen. Dies relativiert die derzeitige Positionierung.- Wie schätzen Sie die Marktlage an den Aktienmärkten in Europa und den USA – entsprechend Ihren Kapitalmarktumfragen – ein?Wir blicken zuversichtlich auf das erste Halbjahr 2013, da das beschriebene Umfeld klar positiv zu werten ist. Allerdings gilt dies nicht in gleichem Maße für die nächsten vier Wochen. Hier bremst der gestiegene Optimismus die Kauflaune, zumal mit den italienischen Parlamentswahlen und der anhaltenden Schuldendiskussion in den USA durchaus Gründe für Gewinnmitnahmen geliefert werden. Hinzu kommt, dass auch in Japan, einem der Schlüsselmärkte für 2013, die Zeit für eine Konsolidierung reif ist, nachdem die Politik erste Tatsachen geschaffen hat.- Der Aufschwung an den Märkten ist nur von niedrigen Umsätzen begleitet. Welche Investoren agieren denn derzeit überhaupt an den Aktienmärkten?Normalerweise sollten so niedrige Umsätze, zumindest aus technischer Sicht, Sorgen bereiten. Sie sind ein Ausdruck der anhaltenden Neupositionierung von Banken und Unternehmen im Nachgang der Finanzkrise. Hier ist das Stichwort Abbau von Leverage zu nennen. Das Publikum, die berühmten zittrigen Hände, fehlt an den Märkten aber fast völlig. So gesehen ist die heutige Börsenverfassung, trotz aller fundamentalen Unsicherheiten, besser als noch vor einigen Jahren.- Die Marke von 8 000 Punkten ist in Reichweite. Besteht hier bei den Anlegern eine gewisse Angst vor dieser runden Zahl?In der Behavioral Finance gibt es das Phänomen des Ankereffektes. Hierbei stellen runde Marken oder ehemalige Hoch- und Tiefpunkte psychologische Barrieren dar. Die Anleger haben seit 2000 bereits zweimal nachhaltig die Erfahrung gemacht, dass 8 000 Punkte im Dax oben sind. Dies dämpft vor allem bei Privatanlegern die Bereitschaft, so kurz vor einem erneuten Test der 8 000- Punkte-Marke in den Markt einzusteigen. Rational ist dies nicht, zumal der Dax ein Performanceindex ist und deshalb allein aufgrund der Wiederanlage der Dividenden bei konstanten Aktienkursen um mehr als 3 % pro Jahr steigt. Spannend wird es deshalb, wenn im Laufe des ersten Halbjahres die Schlagzeilen lauten sollten: “Dax erreicht Allzeithoch – trotz Krise!” Dann könnte sich größeres Bedauern bei vielen Anlegern über die ungenutzten Chancen breitmachen und sich die Stimmung von Optimismus zu Euphorie wandeln.- Obwohl die Notenbanken in den USA, Europa und Japan eine lockere Geldpolitik verfolgen wie nie zuvor, scheint die Angst vor einer Inflation zurückgegangen zu sein. Der Goldpreis bewegt sich seit mehr als einem Jahr in einer engen Bandbreite. Wie haben sich die Anleger beim Gold gemäß den Sentix-Umfragen positioniert?Gold leidet derzeit unter einem Rückgang der Risikoaversion der Anleger. Der strategische Bias ist bereits seit Sommer auf dem Rückzug, wenngleich noch im positiven Bereich. Die derzeitige Schwächephase ist unserer Analyse zufolge eine Konsolidierung, keine Trendwende. Dennoch wird es Gold in diesem Jahr nicht leicht haben, alte Hochs zu testen, da die Rentenmärkte korrekturgefährdet sind und höhere Zinsen dem Goldpreis tendenziell schaden.- Der Euro hat in den vergangenen sechs Monaten um mehr als 10 % aufgewertet. Wie hoch ist denn nach Ihren Umfragen der Optimismus, dass sich dieser Aufschwung fortsetzt?Der Euro hat nicht nur von einer nachlassenden Euro-Angst profitiert. Die Erwartung der Investoren, dass der Euro auseinanderbrechen könnte, ist im Sentix-Euro-Breakup-Index vom Sommer 2012 bis heute von über 70 % auf 25 % gesunken. In den vergangenen Wochen hat sich das Grundvertrauen zu Euro-Dollar jedoch nochmals erhöht. Und dies liegt am Dollar, dem die Anleger nun zunehmend misstrauen. Der Spekulationsball liegt also jenseits des Atlantiks im Spielfeld.- Wie sehen Sie derzeit trotz des Optimismus der Anleger die Chancen für eine Fortsetzung des Aufschwungs in Japan?Wenn die Politik mit ihrer neuen Ausrichtung Erfolg hat, dann dürften japanische Aktien in diesem Jahr zu einem der besten Aktienmärkte zählen. Nach zwei Dekaden anhaltender Enttäuschungen sind zumindest die Ausländer dort nicht mehr stark engagiert, und auch die inländischen Anleger hätten allen Grund, Aktien gegenüber Anleihen zu bevorzugen.- Wie sieht die Positionierung Ihrer Anleger in China aus?Genaue Daten darüber haben wir nicht. Jedoch weist der strategische Bias für den chinesischen Aktienmarkt so stark nach oben, dass China wahrscheinlich nicht ausreichend in den Depots der Anleger vertreten sein dürfte.- Wie groß ist die Gefahr, dass nach dem Anleihenjahr 2012 die Ernüchterung bei den Anlegern kommt?Wir sehen die Gefahr einer Ernüchterung vor allem bei den Anlegern gegeben, die sich im Jahr 6 der Krise vollends auf Krise eingestellt und vor der scheinbar unberechenbaren Politik kapituliert haben. Diese Gruppe sitzt auf Cash oder Bundesanleihen. Beides sind nicht unsere Favoriten für 2013.- Nach dem Ausverkauf im vergangenen Jahr weisen die Anleihen der Problemländer im Süden Europas kräftige Gewinne auf. Sehen Sie dort noch Potenzial?Der Löwenanteil der Performance dürfte bereits verteilt sein. Dennoch weicht der Mainstream nach und nach seine negative Grundhaltung auf, die Verbotslisten dürften hier und da gelockert werden. Etwas Performance ist also noch drin, um Bundesanleihen in diesem Jahr zu schlagen.—-Das Interview führte Armin Schmitz.