Kapitalanlage

Nähe zum Kreml kann sich auszahlen

Russische Börse schöpft nach ernüchterndem Jahr neue Kraft - Staatliche Investitionen als Vorgabe

Nähe zum Kreml kann sich auszahlen

Von Jens Hartmann, Moskau Der russische Aktienmarkt hat 2007 nicht wie in den Jahren zuvor glänzen können. Legte 2005 der RTS-Index um 85 % und 2006 um 70 % zu, wies er im vergangenen Jahr gerade einmal einen Anstieg von 19 % auf 2 290 Punkte auf. Rechnet man aus den Kursgewinnen noch die Jahresinflation von 12 % heraus, verlief 2007 für Börsianer in Russland ziemlich enttäuschend. Das soll 2008 anders werden. Analysten begründen ihre Zuversicht mit einem stabilen makroökonomischen und politischen Klima. Die russische Wirtschaft wächst das zehnte Jahr in Folge, 2007 um mehr als 7 %. Mit Währungsreserven von 600 Mrd. Dollar ist das Land gut abgefedert. Zudem scheint die Machtübergabe im Kreml reibungslos zu verlaufen. Dmitri Medwedew wird am 2. März zum Präsidenten gewählt. Und Wladimir Putin bleibt als Premier der Politik erhalten. Dennoch bleibt genug zu tun: Der Verwaltungsapparat ist aufgebläht, korrupt und ineffizient. Der Staat drückt Privatunternehmer nun auch in Branchen außerhalb des Rohstoffsektors an den Rand. “Russland ist einer der aussichtsreichsten Märkte unter den Schwellenländern”, sagt dennoch Anastasia Lewaschowa von Merrill Lynch. Selbst bei einer Halbierung des Erdölpreises sieht Lewaschowa keine Gefahr für die Wirtschaft. Dann würde Russlands Wirtschaft 2008 eben mit nur 5 % wachsen und die Handelsbilanz schon in diesem Jahr ausgeglichen sein. Ein Ölpreis von durchschnittlich 63 Dollar je Fass und ein BIP-Wachstum von 6,6 % seien jedoch wahrscheinlicher. Kurspotenzial auf dem Aktienmarkt bietet die niedrige Bewertung. Mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 12 gehört Russland zu den billigsten Schwellenländern. “Der russische Aktienmarkt ist nicht gewachsen, dafür erwachsen geworden”, zog die Moskauer Wirtschaftszeitung “Vedomosti” ihre Bilanz für 2007. So habe sich die Marktkapitalisierung im Jahresverlauf von 1 Bill. Dollar auf 1,5 Bill. Dollar erhöht. Der Anstieg der Marktkapitalisierung hat auch mit dem IPO-Boom zu tun. Nach Angaben der Alfa-Bank platzierten im vergangenen Jahr 31 Unternehmen Aktien an russischen Börsen, darunter 20 erstmalig, und erlösten 32 Mrd. Dollar (2006: 19 Mrd. Dollar). Für die großen Börsengänge 2007 sorgten die staatlich kontrollierten Banken VTB und Sberbank, die zusammen 16,8 Mrd. Dollar einspielten. Eine Gewinngarantie bieten jedoch auch Staatskonzerne nicht. Während die Sberbank seit der Emission um 16,6 % zulegte, schloss die VTB das Jahr mit einem Minus von 2,3 %. Die weltweite Liquiditätskrise hat Russland bislang nur gestreift. So verschoben einige Unternehmen ihre Börsengänge. Dazu zählen die Handelskette X5 Retail Group, die Bank Zenit und der Aluminiumproduzent UC Rusal. Der Überflieger des Jahres nach einer Neuemission war der Düngemittelproduzent Uralkali. Die Papiere legten seit der Erstnotiz am 12. Oktober von 17,5 auf 36,5 Dollar zu. IPO-BoomDie Deutsche Bank geht davon aus, dass 200 russische Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung von mehr als 500 Mill. Dollar potenziell für einen Börsengang bereitstehen. Die Alfa-Bank erwartet für 2008 mindestens 40 Börsengänge mit einem Gesamtvolumen von 29 bis 54 Mrd. Dollar. Die aktivsten Emittenten dürften Banken, Metallurgieunternehmen, Versorger und Immobiliengesellschaften sein. Den Gang aufs Börsenparkett haben für dieses Jahr unter anderem die Promsvyazbank, die Finanzgesellschaft Uralsib, der Lkw-Hersteller Kamaz, Töchter der “Russischen Eisenbahnen” und HydroOGK, ein Verbund russischer Wasserkraftwerke, angekündigt. Die große Frage dürfte sein, inwieweit die Liquiditätskrise Russland noch zusetzen wird. “Ich habe den Eindruck, dass gerade im Bankensektor die Folgen massiv unterschätzt werden”, sagt der Direktor einer großen westlichen Bank in Moskau. Er rechnet damit, dass eine Reihe von kleineren Kreditinstitute gar gezwungen sein könnten zu schließen. Öl und Gas sind zwar die wichtigsten Brennstoffe, die Russlands Wirtschaft anfeuern. Ihre Bedeutung für den Aktienmarkt nimmt aber ab. Eine Analyse der Investmentbank Renaissance Capital zeigt, dass der Anteil der Öl- und Gasaktien an der Marktkapitalisierung zum 1. Oktober 2007 nur noch 48,6 % (2006: 60 %) betrug. Ihre Marktanteile ausbauen konnten Finanztitel (von 7,3 % auf 13,8 %), Stahl- und Metallurgieaktien (von 10,8 auf 13,7 %) und Versorgerwerte (von 8,5 % auf 13,4 %). Russlands Wirtschaft beginnt sich zu diversifizieren. Wie könnte eine Anlagestrategie für 2008 aussehen? Denis Piskunov von Kit Finance rät dazu, auf Aktien zu achten, die von der weiterhin starken Binnennachfrage profitieren. Das wären die Sektoren Telekommunikation, Finanzdienstleistungen, Konsumgüter und Handel. Man sollte aber auch Gazprom nicht außer Acht lassen. Da der zukünftige Kremlchef Medwedew als Aufsichtsratschef von Gazprom fungiert, dürfte im Kreml auch in Zukunft das Herz für den Erdgasgiganten schlagen. Zudem profitiert Gazprom von steigenden Preisen auf dem Binnenmarkt und beim Export. Alexander Pimenow von Brokerkreditservice hält Blue Chips wie Gazprom, Norilsk Nickel, Severstal, MTS und RAO UES für attraktiv. “Wir investieren mit dem Staat”, lautet die Anlagestrategie der Investmentbank Uralsib. Chefstratege Chris Weafer rät Investoren zum Schulterschluss mit dem Kreml. “Die beste Anlagestrategie für 2008 besteht darin, sich nach den staatlichen Investitionen zu richten”, sagt Weafer. Da der Staat in die Infrastruktur bis 2020 rund 1 Bill. Dollar investieren will, stünden Firmen, die von diesen Finanzströmen profitieren, auf der Siegerseite. Dazu zählt Weafer den Stahl- und Kohlekonzern Evraz Group, bei dem Roman Abramowitsch, einer von Putins Lieblingsoligarchen, das Sagen hat. Zurückhaltend sind Analysten bei Ölaktien. Die hohe Steuerlast drückt auf die Gewinne der Ölkonzerne. Die Produktionsmenge stieg 2007 nur um 2,5 %, für 2008 wird ein Anstieg um 2 % erwartet. Der Staat hat mit dem Rosneft-Konzern, der dank der Übernahme privater Aktiva an der Börse inzwischen 100 Mrd. Dollar wert ist, die Marktführerschaft inne. Eine Alternative bietet Lukoil, die Nummer 2 in Russland. Positiv fallen die Prognosen der Moskauer Investmentbanker für den RTS-Index aus. Uralsib und Renaissance Capital sehen ihn um mehr als 30 % auf 3 000 Punkte steigen. Troika Dialog rechnet mit 2 800 Punkten. Die Deutsche Bank hält in einem optimistischen Szenario 2 800 bis 3 000 Punkte, in einem pessimistischen Szenario 2 300 Punkte für möglich.