Recht und Kapitalmarkt

Restrukturierungsgesetz leitet Zeitenwende ein

Das in der Finanzkrise außer Kraft gesetzte Prinzip der Marktwirtschaft wird wieder zur Maxime für die Sanierung von Banken

Restrukturierungsgesetz leitet Zeitenwende ein

Von Gunnar Schuster *)Der jüngst vom Bundeskabinett verabschiedete Gesetzentwurf für das Restrukturierungsgesetz markiert eine Zeitenwende bei der Bankensanierung. Das in der Notlage der Finanzkrise außer Kraft gesetzte Prinzip einer Sozialen Marktwirtschaft, dass Eigentümer und Gläubiger die Risiken ihrer Unternehmungen selbst zu tragen haben, wird völlig zu Recht wieder zur Maxime der Sanierung von Banken erhoben. Der Bankenaufsicht werden endlich Befugnisse an die Hand gegeben, die rechtsstaatlich abgesicherte Eingriffe zur Unterstützung einer Sanierung ermöglichen.Der Staat setzt darüber hinaus einen völlig neuen Ordnungsrahmen zur Sanierung von Banken außerhalb eines Insolvenzverfahrens und macht mit der Bankenabgabe und dem Restrukturierungsfonds jedenfalls den Versuch, die für jede Sanierung dringend benötigten Mittel vorrangig von der Kreditwirtschaft selbst einzufordern und den Einsatz von Steuergeldern zurückzudrängen. Dies alles ist im Grundsatz zu begrüßen. Trotzdem bleiben viele Fragen offen. Sanierungsverfahren zahnlosDie Erwartung, das vorgeschlagene Sanierungsverfahren werde bereits weit vor Erreichen der Insolvenznähe eine effektive Sanierung einer Bank ermöglichen, erscheint überaus optimistisch. Besteht Sanierungsbedarf, wird ein verantwortlicher Vorstand so lange wie möglich versuchen, selbst das Heft des Handelns in der Hand zu behalten, und sich nicht Eingriffen der Aufsicht oder des zuständigen Oberlandesgerichts aussetzen, indem er durch Anzeige bei der BaFin das Sanierungsverfahren einleitet.Denn praktisch alles, was in einem Sanierungsverfahren nach dem Kreditinstitute-Reorganisationsgesetz (KredReorG) möglich ist, kann auch außerhalb eines solchen Verfahrens erreicht werden. Der einzige Zusatznutzen des Sanierungsverfahrens, die Möglichkeit der Einwerbung von Darlehen, die im Falle einer Insolvenz binnen drei Jahren Vorrang hätten, erscheint für eine Bank wenig attraktiv.In diesem Stadium fehlt es in der Regel nicht an Liquidität, sondern an Eigenkapital. Welcher Vorstand wird in diesem Stadium anderen Kreditgebern oder Anleihegläubigern und damit dem Markt mit dem Hinweis auf den Insolvenzvorrang signalisieren wollen, dass sein Institut sanierungsbedürftig ist? Das wäre geradezu kontraproduktiv. Der entscheidende Mangel liegt hier darin, dass die Aufsicht nicht von sich aus das Sanierungsverfahren anordnen kann. Hierzu wäre eine Kombination der vorgesehenen neuen Befugnisse der BaFin nach § 45 KWG mit Kompetenzen des § 46 KWG zweckmäßig. Wegen der hohen Bedeutung der Banken für die Kreditversorgung der Wirtschaft ließen sich weitergehende Eingriffsbefugnisse bei sanierungsbedürftigen Instituten sehr wohl rechtfertigen.Reorganisationsverfahren und Übertragungsanordnung sollen systemrelevanten Banken vorbehalten bleiben. Dies erscheint als echter Geburtsfehler. Begründet wird er vordergründig mit verfassungsrechtlichen Erwägungen: Da diese Verfahren in Grundrechte eingriffen, einschließlich in Rechte Dritter, seien sie nur bei einer Schieflage gerechtfertigt, die Auswirkungen auf die Stabilität des Finanzsystems befürchten lasse. Hier verlässt den Gesetzgeber der Mut.Ist eine Bank sanierungsfähig, kann in einem insolvenzrechtlichen Planverfahren unter bestimmten Prämissen selbstverständlich in Rechte Dritter eingegriffen werden, unabhängig davon, ob die Bank systemrelevant ist. Warum dies bei einem insolvenznahen Reorganisationsverfahren unter praktisch identischen Kautelen anders sein soll, leuchtet nicht ein. Die unscharfe Unterscheidung zwischen systemrelevanten und nicht systemrelevanten Banken führt zudem zu Wettbewerbsverzerrungen und fragwürdiger “Flucht in die oder aus der Systemrelevanz”.Abgesehen vielleicht von zwei oder drei Adressen in Deutschland kann keine Bank heute sicher von sich sagen, sie sei systemrelevant. Hingegen gibt es zahlreiche Banken, die je nach den Verhältnissen auf den Finanzmärkten systemrelevant sein könnten. In einer weltweiten Finanzkrise sind vermutlich fast alle nicht völlig unbedeutenden Banken systemrelevant, in Zeiten stabiler wirtschaftlicher Verhältnisse wohl nur wenige. Die implizite Staatsgarantie für systemrelevante Banken, die auch mit dem neuen Gesetz wegen der beschränkten Mittel des Restrukturierungsfonds nicht völlig abgeschafft wird, kann zu ungerechtfertigten Refinanzierungsvorteilen für als systemrelevant angesehene Banken führen.Vor allem aber wäre es sehr zweckmäßig, die Sanierungsmittel des Reorganisationsverfahrens, der Übertragungsanordnung und die Mittel des Restrukturierungsfonds auch bei kleinen und mittleren Banken einsetzen zu können, nicht zuletzt zum Schutz der Kunden. RechtsformneutralDas in weiten Teilen dem insolvenzrechtlichen Planverfahren nachgebildete und auf Antrag der BaFin einzuleitende Reorganisationsverfahren stellt eine wirkliche und sehr begrüßenswerte Neuerung dar. Der dort mögliche Debt-Equity-Swap und die Kürzung von nicht einlagengesicherten Forderungen sind effektive Sanierungsmittel. Hinterfragen möchte man allenfalls, warum ein Debt-Equity-Swap hier nicht gegen den Willen der betroffenen Gläubiger möglich sein soll, im künftigen Insolvenzplanverfahren indes schon.Weitreichend sind auch die möglichen Eingriffe in Anteilseignerrechte. Ist für eine Maßnahme des Reorganisationsplans ein Beschluss der Hauptversammlung erforderlich, gilt er auch bei Ablehnung durch die Hauptversammlung als erteilt, wenn ein Dominoeffekt durch eine ungeordnete Insolvenz des Instituts verhindert werden soll und die vorgeschlagenen Maßnahmen verhältnismäßig sind. ÜbertragungsanordnungZu Recht weist die Begründung des Gesetzentwurfs auf das Risiko hin, dass die Ersetzung der Zustimmung der Hauptversammlung gegen die zweite gesellschaftsrechtliche Richtlinie verstoßen könnte. Entsprechende Klarstellungen auf europäischer Ebene sind aber in Vorbereitung. Unklar bleibt, ob die Ersetzung von Zustimmungen der Anteilseigner, wie es der Entwurf suggeriert, nur bei Aktiengesellschaften möglich sein soll oder auch bei sonstigen Kapital- und Handelsgesellschaften, Genossenschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts, einschließlich Sparkassen und Landesbanken. Zur Herstellung gleicher Wettbewerbsverhältnisse in der Sanierung sollten diese Instrumente bei allen Instituten gleichermaßen greifen.Sehr zu begrüßen ist auch die neue Befugnis der BaFin, bestandsgefährdete Institute ganz oder teilweise (die Rede ist von den systemrelevanten Teilen) durch Anordnung einer Ausgliederung auf einen Wettbewerber oder ein vom Restrukturierungsfonds errichtetes Brückeninstitut zu übertragen. Damit werden bereits für Deckungsmassen von Versicherungen und Pfandbriefen bestehende Instrumente sinnvoll erweitert. Der aufnehmende Rechtsträger muss zustimmen, dürfte sich aber dem Wunsch der Aufsicht nur schwer entziehen können. Dass er zwangsläufig ein inländisches Institut sein muss, wird auf Dauer europarechtlich nicht zu rechtfertigen sein.Gleichwohl hat dieses Instrument wesentliche Schwächen: Will der übernehmende Rechtsträger als Gegenleistung Anteile ausgeben, darf die Übertragungsanordnung erst ergehen, wenn der Kapitalerhöhungsbeschluss gefasst ist und nicht mehr angefochten werden kann. Dies kann lange dauern, zumal dieser Beschluss, anders als spätere Beschlüsse bis zur Sanierung des übernommenen Geschäfts, nicht nach §§ 7 ff. Finanzmarktstabilisierungsbeschleunigungsgesetz (FMStBG) privilegiert ist. Wichtiger noch: Hilfsmaßnahmen des Restrukturierungsfonds dürfen nur dem übernehmenden Rechtsträger gewährt werden, nicht dem übertragenden Rechtsträger. Dahinter steht der berechtigte Gedanke, dass die abzuwickelnden Teile keine weitere staatliche Unterstützung erhalten sollen.Auch wenn der Restrukturierungsfonds aus der Bankenabgabe, also privaten Mitteln gespeist wird, sollen diese Mittel, auch im Interesse der sie aufbringenden Banken, nur für das sanierungswürdige Geschäft verwandt werden, erst recht, wenn der Fonds – wie zu erwarten – wegen fehlender Mittel auch noch staatliche Kredite aufnehmen muss. Mit welchen Mitteln die Zeit bis zur Umsetzung der angeordneten Ausgliederung überbrückt werden soll, bleibt allerdings unklar. Bei plötzlichen Schieflagen, wie sie in der Finanzkrise vor allem in den USA zutage getreten sind, könnten die Maßnahmen zu spät kommen. Für diesen Fall mag die Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung gut beraten sein, mindestens ein Brückeninstitut vorzuhalten, das notfalls jederzeit einspringen könnte.—-*) Dr. Gunnar Schuster ist Partner bei Freshfields Bruckhaus Deringer und Leiter der Sektorgruppe Banken und Versicherungen.