Asset Management - Staatsfonds

Russische Staatsfonds müssen Federn lassen

Nur dicke Reserven konnten das Land vor einem Absturz retten - Anlagepolitik nun konservativ orientiert - Westen muss nicht mehr bangen

Russische Staatsfonds müssen Federn lassen

Von Eduard Steiner, Moskau Im Zuge der Finanzkrise sind Russlands Staatsfonds im eigenen Land gefragt. Das Ersparte füllt derzeit die Löcher im Haushalt und in der Pensionskasse. Dass Russland die Reserven dafür hat, verdankt es seinem nationalen Sparmeister Alexej Kudrin. Doch mit dieser Eigenschaft hat sich der Finanzminister nicht unbedingt beliebt gemacht, ihm fehlt wohl auch das in der Politik oft nützliche Zeug zum Entertainer.Kudrin macht vielmehr den Eindruck eines Grüblers, der mürrisch ist und allem Anschein nach ständig denkt und rechnet – nüchtern, genau, unbeirrt und immer einen Schritt voraus. Nicht nur einzelne Ministerien und Oligarchen wollten ihn bei aller Hochachtung wiederholt zum Teufel jagen, weil man sich an ihm die Zähne ausbiss. Viele Beamte und Lobbyisten haben bereits versucht, “diesen Liberalen”, wie sie ihn nennen, schon allein aus Zorn zu Fall bringen. “Schlechte” EigenschaftenDie “schlechte” Eigenschaft des Ministers: Er hielt und hält die Nation zum Sparen an. Das ist generell schwer, weil die russische Mentalität eben auch durch überschwängliche Ausgabefreudigkeit geprägt ist. Es war auch nicht leicht, obwohl oder gerade weil das Geld über Jahre in Massen ins Land strömte. Und es ist jetzt nicht leicht, da es eben nicht mehr oder nur noch sehr stockend fließt.In den entscheidenden Momenten aber wurde Kudrin – oft wider Erwarten – vom weniger liberalen Premier Wladimir Putin gestützt. So auch 2004, als er jenen Stabilisierungsfonds anlegte, der mit 157 Mrd. Dollar Einnahmen aus dem Ölverkauf zu Beginn des Jahres 2008 schon so prall gefüllt war, dass er in einen konservativ angelegten Reservefonds und einen Nationalen Wohlfahrtsfonds – Letzterer zur Finanzierung des Pensionssystems – gesplittet wurde. Im September 2008 horteten beide zusammen 174,5 Mrd. Dollar. Rechnet man das Ersparte aus anderen Einnahmen dazu, beliefen sich die Gold- und Währungsreserven auf sagenhafte 600 Mrd. Dollar. Den Schrecken verlorenDas war vor etwas mehr als einem Jahr. Seither haben sich die Kriterien geändert, und seither verlieren die im Westen zuvor so gefürchteten monströsen Staatsfonds wegen einer konservativeren Anlagepolitik vorerst auch ihren Schrecken. Weil der Staat wegen der Finanzkrise Liquidität braucht, um den Haushalt zu führen, hat er den Investitionsradius der Fonds auf Anleihen ausländischer Staaten eingeschränkt.Sparmeister Kudrin seinerseits aber wurde nicht nur von der Presse zum “Fachmann des Jahres 2008” gekürt, sondern zum Helden der Nation. Das dicke Geldpolster bewahrte Russland nämlich vor einem Totalabsturz à la Rubelcrash 1998. Vor allem zur Stützung des Bankensektors und des Rubel brauchte die Zentralbank bis Anfang 2009 ein Drittel der Währungsreserven auf. Und weil sich die Krise hinzieht, müssen nun auch die ölgespeisten Fonds Federn lassen, um die rückläufigen Einnahmen im Budget und in der Pensionskasse zu kompensieren.Durch die Krise, die Russland mit größerer Wucht trifft als viele vergleichbare Emerging Markets, und durch die weiterhin großzügige Ausgabenpolitik tut sich nach Jahren erstmals ein Loch im Budget auf. Zwar hofft die Regierung, das Defizit von 7,7 % des BIP in drei Jahren auf 3 % zu kürzen. Wie aber das Finanzministerium eingesteht, wird es zunehmend schwieriger, die Ausgaben zu finanzieren. Die Wirtschaft schrumpfte im ersten Halbjahr um 10,4 %, für das Gesamtjahr erwartet das Wirtschaftsministerium ein Minus von 8,5 %. Putin und der Internationale Währungsfonds prognostizieren 8 % oder sogar etwas weniger. Große PostenAls größter Ausgabenposten zur Krisenbekämpfung 2010 gilt die Finanzierung des künftig steigenden Defizits im Pensionsfonds. Dieses rührt daher, dass wegen der Krise die Erhöhung der Pensionsbeiträge auf das Jahr 2011 verschoben wurde, die Durchschnittspension aber trotzdem um das Eineinhalbfache angehoben wird. Die traditionelle Großzügigkeit der Regierung bei den Budgetausgaben setzt sich damit fort.2010 könnte der Reservefonds, der von seinem Höchststand (142 Mrd. Dollar) im September 2008 mittlerweile auf 85 Mrd. Dollar geschrumpft ist, laut Kudrin leer sein. Versiegt der Reservefonds, müssen neue Staatsschulden gemacht werden. Gerade sie wurden ja in den vergangenen Jahren mit Mitteln aus den Fonds zurückgezahlt. Für 2009 sind keine neuen Auslandsschulden geplant, für nächstes Jahr 17,8 Mrd. Dollar, wobei Kudrins Vize Sergej Stortschak soeben ein Limit von 10 bis 12 Mrd. Dollar vorschlug. 2012 sind die Kassen leerIm Unterschied zum Reservefonds geht es dem Wohlfahrtsfonds noch relativ gut, konnte er sich doch durch Öleinnahmen im letzten Quartal 2008 und erfolgreiche Investitionen in ausländische Schuldpapiere und Devisen seit September bis heute auf 90 Mrd. Dollar verdreifachen. Schon 2012 aber wird auch er laut jetzigen Prognosen bis auf 20 Mrd. Dollar geleert sein. Es sei denn, die Konjunktur springt an und Russland ist tatsächlich “aus der Rezession heraus”, wie Kudrin vor einem Monat vorsichtig optimistisch verkündete. Und es sei denn, der Ölpreis steigt weiter. Präsident Dmitri Medwedjew hat kürzlich einen Ölpreis zwischen 80 und 90 Dollar je Barrel als optimal und fair für Russland bezeichnet. Russland aber, das nach wie vor einseitig vom Ölexport abhängt, trägt selbst interessanterweise nichts zur Ölpreisstabilisierung bei, sondern förderte zuletzt im Unterschied zur Opec mit maximalen Kräften. Trotzdem liegt der durchschnittliche Ölpreis (russische Sorte Urals) für 2009 bereits jetzt bei 57,7 Dollar je Barrel und damit leicht über den vom Wirtschaftsministerium prognostizierten 57 Dollar.Und während dem Staatsbudget 41 Dollar je Barrel zugrunde gelegt sind, kostete das Öl im Oktober durchschnittlich gar 71,8 Dollar. Das ändert zwar noch nichts am Budgetdefizit. Aber die Mittel, die aus dem Reservefonds zugeschossen werden, verringern sich.Schon ist Kudrin wieder in seinem Element. Weil sich in den vergangenen zwei Monaten eine leichte Erholung der Konjunktur angedeutet hat, schlug er bereits vor, die Ausgaben aus dem Reservefonds 2010 zu kürzen. Und auch Putin steht wieder Gewehr bei Fuß und gibt sich gar noch sparsamer als sein Sparmeister und Vizepremier: “Verringerung sowohl der Anleihen als auch Bewahrung der Reserven!” ließ er schon im September wissen. Um den Rubel und das Finanzsystem vor Erschütterungen zu schützen, habe die russische Regierung genug Reserven, meinte er dann vergangene Woche. Und: “Wir wollen sie nicht nur hüten, sondern auch vermehren.”