Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Oliver Maass

"Unsere Regeln reichen nicht"

Banken haben eine stärkere Eigenverantwortung - International verbindliche Vorschriften stehen noch aus

"Unsere Regeln reichen nicht"

– Herr Dr. Maaß, Skandale, deren Wurzeln teilweise jahrelang zurückliegen, erschüttern das Vertrauen in die Finanzbranche. Welches sind die Grundzüge der Versäumnisse?Zunächst änderten sich die Geschäftsbereiche der Banken in den vergangenen Jahren. Zum ursprünglichen Kerngeschäft kamen größere und globale Geschäfte und Transaktionen hinzu, für die offensichtlich das entsprechende Controlling fehlte. Wenn etwa, wie gerade bekannt wurde, Banken wie die VR-Bank in Marktredwitz millionenschwere Kredite für obskure Geschäfte mit dem westafrikanischen Guinea inklusive Schmiergeldzahlungen durchwinken und auf den Schäden sitzen bleiben, dann zeigt dies, dass es eklatante Mängel im System der Kontrolle gegeben hat.- Die Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) ist oberstes Kontrollorgan. Konnten deren Vorschriften die Auswüchse nicht verhindern?Die BaFin hat bereits 2005 verbindliche Vorgaben für die Ausgestaltung des Risikomanagements in deutschen Kreditinstituten, kurz MaRisk, erlassen. Der allgemeine Teil enthält grundsätzliche Prinzipien für die Ausgestaltung des Risikomanagements. Im besonderen Teil finden sich spezifische Anforderungen an die Organisation bzw. die Prozesse für das Management und Controlling von Adressenausfallrisiken, Marktpreis- und Liquiditätsrisiken sowie operationellen Risiken. Außerdem werden dort Rahmen für das Outsourcing und die Ausgestaltung der internen Revision vorgegeben.- Und wer kontrolliert die Einhaltung dieser Richtlinien?Der Abschlussprüfer beim Jahresabschluss. Die Richtlinien sind auch Gegenstand von Sonderprüfungen nach § 44 Absatz 1 des Kreditwesengesetzes (KWG).- Und dennoch gab es Mängel . . .Regeln bestimmen sich nach Erfahrungswerten und unterliegen daher Veränderungen. Die Auswirkungen der Finanzkrise, deren Ursachen und eine verbesserte Risikovorsorge wurden im aktualisierten Regelwerk im August 2009 aufgenommen.- Welche Änderungen sind besonders hervorzuheben?Stichworte sind Stresstesting, Liquiditätsrisiko und Risikokonzentrationen. So müssen beispielsweise alle Institute auf der Basis der jeweiligen identifizierten Risikofaktoren Stresstests für ihre wesentlichen Risiken durchführen. Dabei – und das ist eine der besonderen Ursachen der Finanzkrise – sind Risikokonzentrationen zu berücksichtigen. Hinzu kommen Anweisungen für die Zusammenarbeit mit Geschäftspartnern. Die Einrichtung von Limitsystemen zur Minimierung von Ausfallrisiken ist jetzt standardisiert. In bestimmten Krisensituationen ist eine tägliche, bereichsübergreifende Sitzung zur Risikosteuerung Pflicht. Die Sonderprüfungen zur Einhaltung der Regelungen werden nach der Neufassung der Aufsichtsrichtlinie, die die Arbeitsteilung zwischen BaFin und Bundesbank auf der Basis von § 7 KWG präzisiert, von der Bundesbank durchgeführt.- Stichwort Risikokonzentration: Es sind doch Risiken in den einzelnen Kreditinstituten, die für die Gesamtgruppe zur Existenzbedrohung werden.Daher stellt die Aufsicht auch höhere Anforderungen an das – auch gruppenweite – Risikomanagement. Sie verlangt explizit die Entwicklung einer Strategie für Kreditausfall- und Länderfinanzrisiken. Zudem müssen Institute nicht mehr nur auf Einzelbasis ihre Risikotragfähigkeit gewährleisten, sondern dies für die Gruppe als Ganzes tun. Nicht nur dem Vorstand, sondern auch dem Aufsichtsrat werden umfangreiche Kontrollpflichten auferlegt.- Dennoch stellt sich die Frage, ob das Regelwerk nicht ein stumpfes Schwert ist . . .Die Richtlinie wurde in einem Rundschreiben veröffentlicht und stellt eine Verwaltungsanweisung dar, hat keinen Gesetzesrang. Dennoch ist es der zentrale Baustein in der Weiterentwicklung der qualitativen Bankenaufsicht. Die Vorschriften füllen den gesetzlichen Rahmen des § 25a KWG aus, und damit gilt dessen Sanktionsrahmen.- Das heißt?Der Rahmen reicht vom Bußgeld bis zur Schließung der Bank. Im Übrigen gibt es bestimmte EDV-Module und zahlreiche Fachlehrgänge für Mitarbeiter zur regelkonformen Umsetzung. Es gibt auch zahlreiche Organisationsleitfäden für die verschiedenen Bankengruppen, in denen eine Fülle von Ausführungsdetails geregelt sind.- Sehen Sie weiteren Änderungsbedarf?Die Richtlinien basieren auf umfangreichen Diskussionen und Eingaben zahlreicher Beteiligter wie BaFin, Bundesbank und Kreditinstitute und werden immer weiterentwickelt. Allerdings können Richtlinien nicht alles regeln, da das Leben immer neue Sachverhalte schreibt. Eines ist jedoch klar: Banken haben eine stärkere Eigenverantwortung, um den Anforderungen gerecht zu werden, da deren Pflichtenkreise sehr engmaschig geregelt wurden. Sie werden sich in Zukunft kaum ihrer Haftungsverantwortung entziehen können. Ob das allerdings ausreicht und für andere Länder als Muster dienen kann, ist zweifelhaft. Unsere Regeln reichen nicht.- Was müsste also geschehen?Wir brauchen international verbindliche Regelungen, die sicher über das bisher Erreichte hinausgehen. Zu denken ist auch an ein auf Banken zugeschnittenes Insolvenzrecht und eine internationale Finanztransaktionssteuer. In erster Linie geht es um Transparenz.- Zum Beispiel?Beispielsweise haben Finanzinstitute zusammengearbeitet, um ihre Bilanzen besser aussehen zu lassen. Sie haben 2007 über Zweckgesellschaften risikobehaftete Geschäfte ausgelagert, darüber eine weitere, eigens von einem Hedgefonds gegründete Zweckgesellschaft platziert und diese dann wechselseitig zur Finanzierung mit Kapital ausgestattet. Ob diese Konstruktion legal war, wird sich zeigen, aber deutlich ist, dass es mit Transparenz nicht weit her war.- Aber die BaFin hat reagiert?Ja, und sie hat in der aktuellen Fassung des MaRisk Regelungen bezüglich der Gründung von Zweckgesellschaften aufgenommen, aber der Fantasie der Banken sind keine Grenzen gesetzt und die Behörde kann eben meist nur reagieren.—-Dr. Oliver Maaß ist Anwalt bei Heisse Kursawe Eversheds. Die Fragen stellte Walther Becker.