Asset Management - Interview mit Christof Reichmuth

"Verbot ist nur Symptombekämpfung"

Hedgefonds-Chef: Kurssprünge durch Leerverkäufer

"Verbot ist nur Symptombekämpfung"

Das Leerverkaufs-Verbot für Finanzaktien habe keine größeren Effekte auf das Geschäft der Hedgefonds, meint Christof Reichmuth, CEO und Anlagechef von Reichmuth & Co. Die Luzerner Privatbank verwaltet die beiden Dach-Hedgefonds “Matterhorn” und “Himalaya” , die in den schweizerischen Ranglisten meistens ganz oben stehen. – Herr Reichmuth, die USA, Großbritannien, auch Deutschland haben Leerverkäufe von Finanzaktien untersagt. Wie weit trifft das die Hedgefondsbranche? Es trifft vorab die “Short sellers”, also Hedgefonds, die grundsätzlich überteuerte Aktien leer verkaufen. Das ist eine riskante Strategie, die reinen “Short sellers” sind aber fast ausgestorben. Betroffen sind auch Long-Short-Strategien, die unterbewertete Aktien kaufen wie überbewertete leer verkaufen. Das ist eine der gebräuchlichsten Strategien im Hedgefondsbereich. Ich erwarte aber nicht, dass das Leerverkaufs-Verbot für Finanzwerte, das ja nur kurze Zeit gilt, größere Effekte auf die Geschäfte der Hedgefonds hat. – Ist der starke Kursanstieg von Finanzwerten am Freitag auch auf das Verbot von Leerverkäufen zurückzuführen? Neben dem Rettungsplan der US-Regierung vermutlich auch darauf, ja. Verbote geben Signale, und die führten am Freitag dazu, dass Leerverkäufer ihre Short-Positionen eindeckten, also kauften. Eventuell kam es gar zu einem “short squeeze”, einem Engpass, weil die vorherigen Verkäufer nun als Käufer auftraten, aber kaum jemand noch bereit war, die Finanzaktien zu den tiefen Kursen zu verkaufen. – Es ist strittig, ob Leerverkäufer hinter den Kursstürzen von Finanzwerten stecken. Haben Sie selbst missbräuchliche Praktiken beobachtet oder davon konkret gehört? Nein. Ich habe nichts gehört, woraus ich schließen müsste, dass Finanzwerte wie Lehman Brothers spekulativ in den Ruin getrieben wurden. Wenn es, weil die Unsicherheit riesig ist, nur Verkäufer gibt und kaum Käufer, ein Überangebot also einer sehr kleinen Nachfrage gegenübersteht, ist es nur logisch, dass die Kurse abstürzen. Auch ohne missbräuchliche Praktiken. – Nützt ein Verbot von Leerverkäufen für Finanzaktien überhaupt etwas, ist es vertretbar?Grundsätzlich bin ich gegen Verbote. Aber es ist klar, dass es einige geben muss, damit das Zusammenleben funktioniert. Nebenbei, das berüchtigte “naked short selling”, Leerverkäufe ohne vorheriges Ausleihen der Wertpapiere, ist schon bisher in kaum einem westlichen Markt erlaubt gewesen. Außer in den USA. Das nun gültige Verbot aller Formen von Leerverkäufen wird dazu beitragen, die Märkte zu beruhigen. Aber es bleibt eine Symptombekämpfung. Um die Wurzeln des Übels zu bekämpfen, dürfen die Finanzinstitute nicht mehr länger über ihre Verhältnisse leben. Das heißt, sie müssen weiter Schulden abbauen, ihre Bilanz verkürzen. – Ist das Deleveraging, der Schuldenabbau des Finanzsystems, noch nicht genug vorangeschritten? Bei den Hedgefonds, die man gern in ein schiefes Licht rückt, ist das Deleveraging tatsächlich weit vorangeschritten. Das Problem ist bei den Banken, ihre Bilanzen sind immer noch sehr groß. Vor acht Jahren hatte etwa die UBS eine Bilanzsumme von rund 1 000 Mrd. sfr, heute hat sie Aktiven von 2 000 Mrd. sfr mit etwa gleich hohen Eigenmitteln. Sie muss vermutlich noch 1 000 Mrd. sfr abbauen, um ins Gleichgewicht zu kommen. Das ist zweieinhalbmal das Bruttosozialprodukt der Schweiz. Die Verschuldung ist übrigens vorab das Problem der westlichen Welt. Gemessen an den Credit Spreads, den Risikoaufschlägen, hat der Markt bei asiatischen Banken, etwa der DBS und der United Overseas Bank aus Singapur, am wenigsten Angst vor einer Pleite. Das Interview führte Andreas Kälin.