Verfassungsbeschwerden über Absprachen in Strafverfahren
– Herr Dr. Bielefeld, in Strafprozessen, speziell Wirtschaftsstrafverfahren, werden immer wieder Absprachen getroffen, bei denen Strafobergrenzen zugesagt werden, nun werden drei Verfassungsbeschwerden zu dem Thema verhandelt, worum geht es?Die Beschwerdeführer wehren sich gegen Strafurteile der Landgerichte München II und Berlin, denen Absprachen vorausgegangen waren. In dem Berliner Fall hatte das Gericht dem Angeklagten für den Fall eines Geständnisses eine Bewährungsstrafe angeboten und ohne Geständnis eine Vollzugsstrafe von drei oder vier Jahren angedroht. Darin sieht die Verteidigung eine unzulässige “Sanktionsschere”, mit der das Landgericht Berlin den Angeklagten unzulässig unter Druck gesetzt habe. Außerdem hatte der Angeklagte nur pauschal eingeräumt, der Anklagesatz stimme. Weitere Beweise erhob das Landgericht Berlin über dieses “Pauschalgeständnis” hinaus nicht. Die Verteidigung meint, dies könne nicht für ein Strafurteil ausreichen.- Mit welchen Folgen?Die Münchener Richter hatten es einerseits trotz gesetzlicher Regelung unterlassen, die Angeklagten darüber aufzuklären, dass der Deal nicht gilt, wenn im weiteren Verfahren noch neue belastende Tatsachen gefunden werden. Dazu kam es aber auch nicht. Daher lehnte der Bundesgerichtshof die Revisionen ab. Die Beschwerdeführer wehren sich daneben aber auch ganz grundsätzlich gegen Verfahrensabsprachen. Sie halten die Absprachen für unvereinbar mit einem Rechtsstaat, der an sich selbst den Anspruch stellt, die Wahrheit zu erforschen.- Die Zulässigkeit solcher Deals wird seit langem diskutiert, wo liegen in der Praxis die Grenzen?Das Gesetz verlangt ausdrücklich, dass auch bei Absprachen nur verurteilt werden darf, wenn das Gericht von der Schuld des Angeklagten überzeugt ist. Die Beteiligten dürfen sich also nicht einfach über ein Ergebnis vergleichen. Und es darf keine konkrete Strafe vereinbart werden, sondern nur eine Ober- und eine Untergrenze. Der Deal muss außerdem öffentlich gemacht und protokolliert werden.- Können Sie ein paar prominente Fälle nennen?Die jüngste Verurteilung eines Angeklagten in Sachen MAN zu einem Jahr mit Bewährung, der Fall Weimann, war laut Gericht abgesprochen. Den Verurteilungen von Herrn Zumwinkel und Herrn Hartz sollen ebenfalls Deals vorausgegangen sein. Beide haben eine zweijährige Bewährungsstrafe erhalten.- Der Gesetzgeber hat 2009 mit einem “Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren” reagiert, ist damit nicht alles gesagt?Nein, leider nicht. Der Gesetzgeber ist auf halbem Wege stehen geblieben. Einerseits wollte der Gesetzgeber daran festhalten, dass das Gericht weiter nach der Wahrheit forscht. Andererseits lässt die gesetzliche Regelung zu, dass Urteile nach “Formalgeständnissen” gesprochen werden. Das sind pauschale Erklärungen des Angeklagten, der Vorwurf sei richtig. Die Hoffnung, ein überlasteter Richter prüfe solche Erklärungen noch nach, war ein Wunschtraum. Er passte auch gar nicht zu dem Gesetzeszweck, denn die gesetzliche Zulassung des Deals sollte ja die Justiz entlasten. Viele Richter haben es sich daher einfach gemacht und nach Formalgeständnissen verurteilt. Sie sahen sich durch den Zweck des Gesetzes bestätigt, das die Strafgerichte entlasten soll.- Wird die Umsetzung des Schuldprinzips durch Absprachen unterminiert?Ja, wird es. Eine Absprache hat das Ziel, das Verfahren abzukürzen. Das geht zulasten der Qualität bei der Suche nach der Wahrheit. Alles andere ist eine Utopie. Wird dem Angeklagten ein Deal angeboten, wird er sich gut überlegen, das Angebot auszuschlagen. Häufig sind mündliche Verhandlungen für einen Angeklagten mit großen psychischen und familiären Belastungen verbunden. Der Weg eines “Zweckgeständnisses” ist nicht selten der einfachere. Außerdem steckt hinter der Ablehnung eines Deals ein hohes Risiko, besonders hart bestraft zu werden. Das ist meine Erfahrung. Mit dem Dealangebot hat sich das Gericht im Übrigen meist schon festgelegt. Wie soll es da später noch einen Freispruch begründen?—-Dr. Franz Bielefeld ist Partner bei RölfsPartner in München und als Steuer- und Wirtschaftsstrafverteidiger tätig. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.