Löchrige Staatsfinanzen treiben Bondinvestoren um
Löchrige Staatsfinanzen treiben Bondanleger um
Das Vertrauen selbst in führende Anleiheemittenten ist angeschlagen. Nun droht ein harter Wettbewerb um Kapital.
Von Alex Wehnert, New York und Kai Johannsen, Frankfurt
Die löchrigen Finanzen führender Wirtschaftsnationen treiben die Bondinvestoren um. Denn Haushalts- und Schuldenstreitigkeiten haben selbst globale Benchmark-Emittenten in den vergangenen Monaten viel Vertrauen gekostet – ausgerechnet in einer Phase, die für die Staatsanleihemärkte kritisch zu werden verspricht. „Angesichts der Höhe des Refinanzierungsbedarfs von Regierungen weltweit wird es einen zunehmenden Wettbewerb um Kapital zwischen staatlichen Emittenten geben“, prognostiziert Axel Botte, leitender Marktstratege bei der Natixis-Tochter Ostrum Asset Management.
Niedrige Treasury-Nachfrage
Dass in diesem Wettbewerb selbst der Status als tiefster und liquidester Kapitalmarkt der Welt nicht mehr allein ausreicht, um die Investoren für sich zu gewinnen, zeigen Emissionen des US-Finanzministeriums. Anfang November waren Primärhändler bei einer Auktion dreißigjähriger Treasuries gezwungen, 24,7% der begebenen Anleihen im Volumen von 24 Mrd. Dollar auf die eigenen Bücher zu nehmen. Der Anteil der als Dealer eingespannten Banken war damit doppelt so hoch wie im Durchschnitt der sechs Monate zuvor. Auch bei Auktionen zehnjähriger US-Staatsanleihen fiel das Interesse zuletzt außergewöhnlich niedrig aus.
Die Renditeentwicklung reflektiert strukturelle Nachfrageprobleme seither allerdings kaum. Die laufende Verzinsung dreißigjähriger Treasuries schnellte auf die verpatzte Auktion im November hin zwar in die Höhe, ist seither aber deutlich gesunken. Die Rendite der zehnjährigen Benchmark, im Oktober noch mit kurzzeitig über 5% auf dem höchsten Stand seit 2007, ging bis Mitte Dezember auf unter 4% zurück. Hintergrund der Bondmarktrally sind die Hoffnungen auf baldige Zinssenkungen der Federal Reserve, die auf ihrer Dezembersitzung ihre Inflationserwartungen nach unten anpasste. Die Zinsprojektionen der Währungshüter deuten nun auf drei Senkungen des Leitsatzes im neuen Jahr hin.
Quantitative Straffung sorgt für Druck
Allerdings weigert sich Fed-Chef Jerome Powell, neuerlichen Zinserhöhungen eine Absage zu erteilen. Und aus Sicht der Primärmarktteilnehmer vermutlich entscheidender: Bei der quantitativen Straffung ist kein Tempowechsel in Sicht. Die Fed hat ihre Anleihebestände seit dem Sommer 2022 von nahezu 9 Bill. Dollar auf zuletzt etwas mehr als 7,7 Bill. Dollar reduziert. Der Konkurrenzkampf um Kapital „wird noch dadurch verschärft, dass die Zentralbanken ihre Bilanzen abbauen“, betont Natixis-Manager Botte. Und Jeffrey Kleintop, globaler Chef-Investmentstratege beim US-Broker Charles Schwab, sieht in der Folge „massive Herausforderungen bei der Finanzierung des Haushalts“, die auch im Kongress- und Präsidentschaftswahlkampf 2024 eine Rolle spielen dürften.
Die aufgeheizte Rhetorik vor dem Urnengang im November stellt den Markt vor weitere Probleme, bilden die Staatsfinanzen doch eines der großen Konfliktzentren zwischen Republikanern und Demokraten. Aufgrund des Streits um die Anhebung der Schuldenobergrenze in Washington konnte sich das Finanzministerium während des ersten Halbjahrs praktisch kein Geld über neue Wertpapiere leihen. Damit bestand gewaltiger Nachholbedarf, die Emissionsvolumina in allen Laufzeiten summierten sich laut dem Wirtschaftsverband Securities Industry and Financial Markets Association (SIFMA) sowohl im Oktober als auch im November auf über 2,5 Bill. Dollar. In den Vergleichsmonaten aus dem Vorjahr hatten sie 1,3 bzw. 1,6 Bill. Dollar betragen.
Der nächste Schuldenstreit zeichnet sich bereits ab, die Obergrenze ist durch einen Washingtoner Kompromiss aus dem Juni schließlich nur bis Januar 2025 ausgesetzt – bis dahin dürften sich die Fronten zwischen Demokraten und Republikanern laut Politologen durch den Wahlkampf eher noch verhärtet haben. Dann drohe die nächste Finanzierungsklemme. Die Ratingagentur Fitch kritisiert die „Erosion des staatlichen Ordnungsrahmens“ in den USA und stufte die Kreditwürdigkeit der Vereinigten Staaten im August von „AAA“ auf „AA+ herab. Moody’s senkte ihren Ausblick im November von „stabil“ auf „negativ“.
Auslandsinvestoren brechen weg
Insbesondere für ausländische Bondinvestoren wirkt dies abschreckend – zumal wichtige Treasury-Käufer wie Japans führende Banken und Lebensversicherer im Heimatmarkt wieder attraktivere Renditen vorfinden. So führt die Spekulation auf ein baldiges Ende der ultralockeren Geldpolitik der Bank of Japan dazu, dass das Yen-Währungshedging für Marktteilnehmer aus Nippon unattraktiver wird. Strategen wie Schwab-Mann Kleintop rechnen deshalb mit einer großvolumigen und potenziell rapiden Kapitalrepatriierung durch japanische Anleger, die insgesamt mehr als 3 Bill. Dollar am US- Finanzmarkt investiert hätten.
Bestimmte Emittenten dürften in diesem Umfeld und gerade bei einer fortgesetzten quantitativen Straffung laut Botte ernsthafte Probleme dabei bekommen, den Markt anzuzapfen. „Investoren sollten Staatsanleiheauktionen genau beobachten“, unterstreicht der Natixis-Stratege. In einigen Ländern drohten deutliche Unterdeckungen. Um nach dem zunehmenden Wegfall der Zentralbanken als Abnehmer mehr internationale Investoren anzulocken, müssten viele Staaten eine deutlich stärkere Kompensation für Laufzeit- und Kreditrisiken bieten, also ein höheres „Term Premium“.
DWS setzt auf Kurzläufer
Die DWS präferiert 2024 laut Oliver Eichmann, Head of Rates Fixed Income für Europa, den Nahen Osten und Afrika, jedenfalls Staatsanleihen kurzer und mittlerer Laufzeit. Bei diesen sagt der Vermögensverwalter sogar deutliche Kursavancen voraus: Auf Renditerückgänge von 100 Basispunkten bei zweijährigen T-Notes und 50 Basispunkten bei deutschen Kurzläufern lautet die Prognose.
Während die Treasury insbesondere bei ihren Auktionen in längeren Laufzeiten mit einem niedrigen Ordervolumen ringt, blickt der Bund auf ein Emissionsrekordjahr „mit einer sehr guten Investorennachfrage“ zurück, wie Tammo Diemer, Geschäftsführer der Deutschen Finanzagentur, jüngst im Interview der Börsen-Zeitung betonte. Das Emissionsvolumen soll im neuen Jahr gegenüber 2023 etwas sinken, aber deutlich über den Niveaus aus Vor-Corona-Zeiten liegen.
Gewisse Sorgen bereitet den Investoren indes der Blick ins politische Berlin. Die Ampel-Koalition hat sich nach tagelangen Verhandlungen hinter verschlossenen Türen Mitte Dezember zwar auf einen Haushalt für 2024 geeinigt. Doch die vorausgegangene Krise – zu der es kam, nachdem das Bundesverfassungsgericht die Umwidmung von über 60 Mrd. Dollar an Kreditermächtigungen aus Coronazeiten für den Klimaschutz kippte – hat Zweifel an der Belastbarkeit der deutschen Fiskalplanung geweckt. So schwerwiegend wie mit Blick nach Washington fallen sie aber nicht aus. In den USA sieht Jan Viebig, Chief Investment Officer von Oddo BHF, aufgrund der Polarisierung im Kongress jedenfalls keine Perspektive für eine notwendige Fiskalreform. Im Wettbewerb um Kapital könnte der Bund also allein deshalb eine Aufwertung erfahren, weil der wichtigste globale Benchmark-Emittent massiv schwächelt. Daraus könnte der Platzhirsch der Eurozone durchaus seinen Nutzen ziehen, wenn Anleger sich auf der internationalen Anleihebühne nach Alternativen umsehen.