2020 wird Spitzenjahr für Kapitalerhöhungen

Goldman-Sachs-Banker Christoph Stanger: Trotz Coronakrise zeichnet sich Rekordvolumen ab - Schon jetzt so viel wie seit 2015 nicht

2020 wird Spitzenjahr für Kapitalerhöhungen

Kaum Börsengänge, aber ein exorbitant hohes Volumen an Aktienemissionen aus Kapitalerhöhungen: Das Jahr 2020 könnte sich trotz Coronakrise zum Rekordjahr entwickeln. Aus Not, Vorsicht oder um Chancen zu nutzen, besorgen sich Unternehmen so viel frisches Kapital wie seit 2015 nicht mehr.cru Frankfurt – Trotz der Covid-19-Pandemie und der Flaute bei Börsengängen ist das weltweite Aktienemissionsvolumen im Jahr 2020 bis dato auf den höchsten Stand seit 2015 gestiegen. Im Vergleich zum selben Zeitraum des Jahres 2019 legte es um 51 % auf 712 Mrd. Dollar zu. In Deutschland stieg das Volumen der Kapitalerhöhungen noch rasanter an – um 111 % auf 19 Mrd. Dollar. Schon jetzt sind 98 % des Emissionsvolumens vom Gesamtjahr 2019 erreicht, wie Daten der Investmentbank Goldman Sachs zeigen. Damit ist 2020 das bisher drittstärkste Jahr für Kapitalerhöhungen, Umplatzierungen und Wandelanleihen überhaupt; nur 2009 und 2015 waren die Volumina noch höher.”Das zeigt die Tiefe und Stärke der Kapitalmärkte. Alle Akteure haben zusammengearbeitet. Der Markt war in der Krise weit offen”, sagte Christoph Stanger, Co-Chef der Abteilung für Equity Capital Markets von Goldman Sachs in Europa. “Zur Stärke des Kapitalmarkts beigetragen haben auch die Hilfsprogramme der Notenbanken und Regierungen, wie etwa das 750 Mrd. Euro schwere EU-Paket, die die Aktienkurse stabilisiert haben. Zudem sind Aktien als Anlageklasse in Zeiten von Nullzins und Minusrenditen aus Staatsanleihen in gewissem Ausmaß alternativlos.” Not, Vorsicht oder ChanceEs habe drei Motive gegeben, die Unternehmen dazu brachten, Kapitalerhöhungen zu begeben: aus Not, aus Vorsicht – oder um Chancen zu nutzen. “Besonders stark zugelegt haben nach der jeweiligen Kapitalerhöhung ausgerechnet die Aktienkurse derjenigen Unternehmen, die in die Kategorie Distressed gefallen sind”, sagte Stanger.Diese angeschlagenen Unternehmen hätten bei den Emissionen auch nur einen Abschlag von im Schnitt 1,6 % auf den Kurs gewähren müssen, weil die Krise bei ihnen schon eingepreist war. Das zeige, dass die Investoren bereit seien, “durch das Jahr 2020 hindurchzusehen”. “Kapitalmaßnahmen, die die Krise überbrücken und mit einem realistischen Plan für die Zukunft verbunden sind, werden akzeptiert.” Die Krise werde in vielen Fällen als vorübergehend eingestuft. Das habe die Kapitalerhöhung des Reisebuchungskonzerns Amadeus gezeigt, dessen Umsatz um 80 % einbrach und dem die Investoren trotzdem 1,5 Mrd. Euro gaben.In Europa erhielt der Funkturmbetreiber Cellnex 4 Mrd. Euro für Zukäufe. In Deutschland waren die bisher größten drei Kapitalerhöhungen die Emissionen von RWE (2 Mrd. Euro), Infineon (1,06 Mrd. Euro) und Teamviewer (1,03 Mrd. Euro). Alle drei waren keine aus der Not geborenen Emissionen. Kommt die avisierte Schaeffler-Kapitalerhöhung, die bisher nur ein Vorratsbeschluss ist, dann dürfte sie mit 1,2 Mrd. Euro auf Platz 2 landen. “Hierzulande gab es wenige Emissionen aus der Not heraus. Eher ging es um Vorsicht oder darum, die gute Gelegenheit zu nutzen”, sagte Stanger zu den deutschen Deals.Deutlich schlechter als bei Kapitalerhöhungen, Umplatzierungen und Wandelanleihen sah es allerdings für Börsengänge aus. Das Volumen der IPOs sank europaweit 2020 bis dato um 49 % auf 8,7 Mrd. Dollar. Einzige größere Neuemission waren die Aktien des Kaffeekonzerns JDE Peet’s aus dem Imperium der deutschen Milliardärsfamilie Reimann. In Deutschland schrumpfte das Volumen der Börsengänge in diesem Jahr bis dato um 63 % auf 600 Mill. Euro.Die Coronakrise hat den Ablauf der Börsengänge stark verändert. Von der öffentlichen Absichtserklärung (Intention to Float) bis zum Preisbildungsverfahren (Pricing) vergehen nur noch zehn Tage – davon nur noch drei Tage für die Roadshow, wie sich bei JDE Peet’s zeigte. “Bisher waren es immer vier Wochen”, sagte Stanger. Der Grund für das Tempo: Physische Treffen werden durch Zoom-Konferenzen ersetzt und ersparen den zeitraubenden Weg zu physischen Treffen mit den Investoren. Wirecard schreckt kaum abDer Wirecard-Bilanzskandal hat der Nachfrage von Investoren nach den Aktien deutscher Unternehmen nach Einschätzung von Stanger keinen Abbruch getan. “Ich glaube nicht, dass Wirecard für die Attraktivität des Standorts relevant ist. Aber es wird dazu führen, dass der Gesetzgeber dem Regulator mehr Durchsetzungskraft gegenüber den Unternehmen verschafft.”Auch für die Entwicklung der Aktienmärkte als Ganzes zeigt sich Goldman Sachs optimistisch, obwohl “wir in den Kurs-Gewinn-Verhältnissen der Märkte in den USA bereits am oberen Ende der historischen Bandbreite angekommen sind”. Das Kursziel für den S&P 500, der derzeit bei 3 300 steht, beziffert Goldman Sachs bis zum Jahresende 2020 auf 3 600. Die Datenlage lasse Wachstum erwarten – aber es bestehe das Risiko, dass es länger dauere, wenn nicht bald ein Impfstoff gegen das Coronavirus gefunden werde.