„Fit for 55“ und der Luftverkehr

Abflug aus Europa mit dem 2-%-Brand­beschleuniger

Die Luftfahrtbranche befürchtet durch das EU-Klimapaket „Fit for 55“-Paket massive Wettbewerbsnachteile und Verlagerungen von Hubs ins außereuropäische Ausland.

Abflug aus Europa mit dem 2-%-Brand­beschleuniger

Von Andreas Heitker, Brüssel

Überfüllte Terminals, fehlendes Personal, gecancelte Flüge, frustrierte Passagiere – es läuft gerade nicht wirklich rund in der Flugbranche. Viel Redebedarf also für Jost Lammers, Chef des Flughafens München und seit diesem Monat neuer Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL), auch mit der EU-Politik. Lammers’ Auftritt auf dem ersten „Parlamentarischen Abend“ seines Verbandes in Brüssel seit Ausbruch der Pandemie fiel am Montagabend aber aus. Sein Flug wurde kurzfristig gestrichen. Auch Stefan Schulte, CEO von Fraport und Präsident der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen (ADV), war eigentlich angekündigt gewesen. Er konnte ebenfalls nicht kommen. Auch sein Flug war annulliert worden. So kann es gehen.

Aber die Branche wollte mit den EU-Abgeordneten ohnehin über ein anderes aktuelles Thema reden: das große Klimapaket „Fit for 55“, das an verschiedenen Punkten auch die Dekarbonisierung des Luftverkehrs vorantreiben will und für das aktuell sowohl im EU-Parlament als auch in den Ministerräten der Mitgliedstaaten entscheidende Abstimmungen laufen. Erst am Montag hatte der Verkehrsausschuss des Parlaments über die „ReFuelEU“-Regeln entschieden, in denen es um den Einsatz nachhaltiger Kraftstoffe für Flugzeuge geht. Ab 2025 soll der Anteil dieser Beimischung zum Kerosin 2% betragen, bis 2040 auf 37% und bis 2050 dann auf 85% ansteigen.

2% seien vielleicht nicht viel, würden aber dennoch zu einer Verlagerung von Drehkreuzen weg aus der EU führen, warnt Condor-CEO Ralf Teckentrup in Brüssel. „Ein Brandbeschleuniger erster Klasse“, der vor allem die großen Airlines treffe. Bereits heute gebe es wegen kleiner Preisunterschiede bei den Tickets große Marktanteilsverluste.

Die Fluggesellschaften verweisen in diesem Zusammenhang gerne auf eine recht neue Studie aus den Niederlanden, die dem „Fit for 55“-Paket einen Carbon-Leakage-Effekt – also eine Verlagerung von CO2 in Drittländer – von bis zu 46% bescheinigt. 260000 Arbeitsplätze wären gefährdet. Gewinner der Entwicklung wären demnach Flughäfen wie Istanbul und Doha. Verlierer: EU-Hubs wie Frankfurt oder Paris. Die EU-Kommission hat im letzten Jahr bei der Vorlage ihres Klimapakets keine Folgenabschätzung zum Carbon Leakage vorgelegt. „Verantwortungslos“ findet das BDL-Hauptgeschäftsführer Matthias von Randow. Dabei sei „Fit for 55“ ein regulatorischer Eingriff, den es so in der EU-Luftfahrtpolitik noch nie gegeben habe.

Laut Lobbyverbänden werden synthetische Kraftstoffe 2030 voraussichtlich noch das 5- bis 6-Fache des Kerosinpreises kosten. Im EU-Parlament gibt es auch durchaus Verständnis für die Nöte der Branche. Der Verkehrsausschuss beschloss die Einrichtung eines Fonds für nachhaltige Luftfahrt von 2023 bis 2050, der unter anderem aus 50% der Einnahmen aus der Versteigerung von Zertifikaten im Rahmen des EU-Emissionshandels im Luftverkehrssektor finanziert werden soll.

Auch der neue BDL-Präsident Lammers, der dem „Parlamentarischen Abend“ in Brüssel schließlich noch eine Videobotschaft aus der Ferne schickte, schlug dann noch versöhnliche Töne an: Sollten Wettbewerbsverzerrungen und Carbon Leakage verhindert werden, könne „Fit for 55“ eine nie dagewesene Chance für die Dekarbonisierung der Luftwirtschaft werden, räumte er ein.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.