Auf verlorenem Posten
Von Martin Dunzendorfer,
Frankfurt
Zu Beginn des neuen Jahres befindet sich die Verbraucherstimmung in Deutschland im Aufwind, wie u.a. das jüngste Konsumbarometer des Handelsverbandes Deutschland (HDE) zeigt. Insbesondere die zuletzt optimistischeren Konjunkturprognosen scheinen zur Aufhellung der Kauflaune beizutragen. Allerdings ist die Stimmung der Verbraucher im langfristigen Vergleich noch immer auf niedrigem Niveau. Dennoch schöpft der Einzelhandel nach den Pandemie-Krisenjahren 2020 und 2021 und dem von hoher Inflation und großer Unsicherheit geprägten Vorjahr etwas Hoffnung, dass 2023 einen Aufschwung bringen wird. Dies mag, sofern es tatsächlich zu Umsatzzuwächsen kommt, auf den Online-Handel zutreffen. Doch weite Teile des stationären Handels dürften davon kaum etwas abbekommen; er befindet sich letztendlich auf verlorenem Posten.
Es gibt genügend Rezepte, wie dem Bedeutungsverlust des stationären Handels beizukommen ist. Doch entweder haben frühere Umsetzungsversuche von Marktakteuren nicht gefruchtet, wie es in drastischster Weise die anhaltende Krise – man könnte es auch schleichenden Tod nennen – des letzten deutschen Warenhauskonzerns Galeria Karstadt Kaufhof zeigt. Oder die Unternehmenseigner scheuen sich, das finanzielle Risiko der dafür notwendigen Investitionen einzugehen, was angesichts des häufigen Scheiterns von Konzepten zur Wiederbelebung des Geschäfts nachvollziehbar, aber nicht zukunftsorientiert ist.
An Ideen, wie der stationäre Handel Umsätze generieren und wieder erfolgreich werden kann, mangelt es nicht. So lautet ein oft gehörter Ratschlag, dass Vertreter traditioneller Geschäftsmodelle von Online-Wettbewerbern lernen sollten. „Zu den besonderen Erfolgsfaktoren des Online-Handels zählt eine unbedingte Kunden- und Erlebnisorientierung“, erklärt Wolfgang Merkle. Stattdessen, so der Professor für Marketing & Management an der University of Europe for Applied Sciences in Hamburg, denke man im stationären Einzelhandel nach alten Mustern, die sich vorrangig um die Kosten drehen – „Excel-getriebene Logik“, wie es Merkle beschreibt.
Merkle nennt drei Beispiele: Bei Online-Anbietern würden Produkte häufig mit hilfreichen Informationen versehen durch die Einbindung von Anleitungen (Tutorials), Bewegtbild-Sequenzen oder Erfahrungen anderer Kunden. Dagegen lägen bei den meisten klassischen Anbietern die Waren kommentar- und emotionslos im Regal. Zweitens werde im Internet das eigentliche Produktangebot um sinnvolle Begleitartikel ergänzt, während in stationären Geschäften dem Kunden zwar auch ergänzende Artikel angeboten werden, aber dies wohl eher, um die Gewinnmarge des Einkaufs insgesamt zu erhöhen. Typisch ist zum Beispiel, dass beim Einkauf im Schuhladen an der Kasse überteuerte Imprägnier- oder Lederpflegemittel angeboten werden. Schließlich werde im Online-Handel der Bezahlprozess ständig optimiert. Dagegen verbringen Konsumenten im Supermarkt oder Kaufhaus erstens oft unnötig viel Zeit in der Warteschlange, weil es zu wenige Kassen gibt bzw. zu wenige Kassen besetzt sind; zweitens fühlt sich der Kunde nach dem Bezahlen beim Einpacken als Getriebener, weil schon der nächste Kunde mit seinen Waren heranrückt.
Ein Pfund, mit dem der stationäre Einzelhandel wuchern könnte, ist die persönliche Beratung. Doch hier lässt die Kompetenz insgesamt betrachtet schon seit vielen Jahren nach, ebenso das Auftreten der Verkäufer (fehlende Motivation etc.). Nun kommen auch noch die Babyboomer ins Rentenalter. Ihr Abschied aus dem Erwerbsleben hinterlässt Lücken, die nur schwer zu schließen sind. Allerdings ist der Mangel an gutem Personal bzw. Fachkräften teilweise hausgemacht; so könnte eine bessere Bezahlung zur Verbesserung der Lage beitragen. Tatsächlich standen aber bei vielen Einzelhändlern in den vergangenen Jahren Kostensenkungen – und damit auch Personaleinsparungen – an oberster Stelle der Agenda. Dass es hier im neuen Jahr zu einem Umdenken im klassischen Einzelhandel kommt, ist angesichts der verbreiteten Unsicherheit nicht zu erwarten. Wahrscheinlicher ist, dass sich aufgrund des harten Wettbewerbs, des anhaltend negativen Umfeldes (Pandemie, Ukraine-Krieg) und der ausufernden Bürokratie Resignation breitmacht und es zu Geschäftsaufgaben kommt.