Digital Services Act

Aufräumen im Wildwest der Online-Welt

Nach dem Gesetz über Digitale Märkte (DMA) hat das EU-Parlament nun auch das zweite wegweisende Gesetzeswerk auf den Weg gebracht, das den europäischen Rechtsrahmen in der Online-Welt komplett neu aufstellt. Der Digital Services Act (DSA) soll den Digitalkonzernen neue Grenzen setzen.

Aufräumen im Wildwest der Online-Welt

ahe Brüssel

Das EU-Parlament hat mit breiter Mehrheit eine Neuausrichtung der Online-Gesetzgebung in Europa auf den Weg gebracht. Dem Gesetz über digitale Dienste (Digital Services Act, DSA) stimmten am Donnerstag 530 Abgeordnete zu bei lediglich 78 Gegenstimmen und 80 Enthaltungen. Damit können jetzt die Schlussverhandlungen mit den EU-Mitgliedstaaten beginnen, die noch im zweiten Quartal abgeschlossen werden sollen. Der DSA könnte somit noch 2022 in Kraft treten und dann Teile der schon mehr als 20 Jahre alten E-Commerce-Richtlinie ersetzen.

Die dänische Sozialdemokratin Christel Schaldemose, die zuständige Berichterstatterin im EU-Parlament, hofft, dass Europa mit dem neuen Gesetz einen „globalen Goldstandard“ bei den künftigen Rechten und Pflichten im Internet setzt, die sowohl die Unternehmen als auch die Verbraucher betreffen. Mit dem Gesetz werde die EU mit dem derzeitigen Wilden Westen in der Online-Welt gründlich aufräumen, zeigte sie sich sicher. Es gehe darum, Bremsklötze bei der Datensammlung zu setzen und die Blackbox der Algorithmen zu öffnen.

„Online-Plattformen werden in unserem täglichen Leben immer wichtiger und bringen neue Chancen, aber auch neue Risiken mit sich“, sagte Schaldemose. „Es ist unsere Pflicht sicherzustellen, dass das, was offline illegal ist, auch online illegal ist.“

Bei Verstößen drohen den Unternehmen künftig Bußgelder von bis zu 6 % ihres Jahresumsatzes. Im Ex­tremfall kann auch der Onlinezugang zu den digitalen Angeboten von den Behörden zeitlich befristet gesperrt werden. Nach Einschätzung von Florian Dietrich, Fachanwalt bei der internationalen Wirtschaftskanzlei CMS, wird der DSA einen EU-weit einheitlichen Rechtsrahmen schaffen und „das Digital Business auf viele Jahre prägen“.

Der Anwendungsbereich ist dabei wesentlich breiter als beim DMA, der nur die größten US-Digitalkonzerne betrifft. Beim Gesetz über digitale Dienste werden auch Online-Vermittlungs- oder Hostingdienste einbezogen, Online-Marktplätze, App-Stores, Plattformen der kollaborativen Wirtschaft oder Social-Media-Plattformen. Sehr große Plattformen, die mehr als 10 % der 450 Millionen EU-Verbraucher erreichen, erhalten besonders strenge neue Vorschriften.

Laut den neuen Regeln müssen Konzerne künftig mehr gegen illegale Inhalte unternehmen. Damit haben die heute noch sehr unterschiedlichen Vorgehensweisen etwa von Twitter, Facebook oder Insta­gram beim Löschen von Inhalten ein Ende. Allerdings bleibt das heutige Haftungsprivileg erhalten: Plattformen werden erst dann für Inhalte haftbar, wenn sie davon auch Kenntnis erhalten. Der DSA soll zugleich aber auch stärkere Schutzmaßnahmen einziehen, die willkürliche oder diskriminierende Löschungen verhindern, damit das Recht auf freie Meinungsäußerung erhalten bleibt. Bei der Debatte im EU-Parlament wurde dies von einigen Abgeordneten aus dem rechten Spektrum in Frage gestellt. Sie sahen in den neuen Vorgaben „Zensur“ und die „Unterdrückung unliebsamer Inhalte“.

Äußerst umstritten war im EU-Parlament der künftige Umgang mit personalisierter Werbung. Diese soll nun zumindest für Minderjährige verboten werden. Sensible persönliche Daten erhalten einen zusätzlichen Schutz. Nutzer großer Online-Plattformen wie Amazon, Apple, Google und Facebook sollen zugleich mehr Einfluss darüber bekommen, welche Werbeanzeigen ihnen angezeigt werden. Online-Plattformen sollen keine Techniken (sogenannte Dark Patterns) einsetzen dürfen, mit denen sie die Nutzer täuschen oder ihr Verhalten beeinflussen („Nudging“).

Neu eingeführt wurde vom Parlament eine Identifizierungspflicht für Veröffentlichungen auf Pornoplattformen. Allerdings sehen auch dies einige Abgeordnete kritisch, da sie sich grundsätzlich gegen die Abschaffung anonymer Veröffentlichungen aussprechen.

Kleinst- und Kleinunternehmen sollen von bestimmten Verpflichtungen im Rahmen des Gesetzes über digitale Dienste ausgenommen sein. Diese Regelung könnte aber noch kippen, da die EU-Mitgliedstaaten strikt gegen Ausnahmen sind.

Patrick Breyer, Abgeordneter der Piratenpartei, der ebenfalls an den parlamentsinternen Verhandlungen beteiligt war, sieht als Erfolg des DSA in seiner jetzigen Variante, dass unter anderem die Cookie-Banner durch eine generelle „Do not track“-Einstellung ersetzt werden können und erzwungene Einwilligungen verboten werden, ebenso wie verpflichtende Uploadfilter. Dennoch fehle es dem neuen Gesetz „am nötigen Biss“, so Breyer, um „dem überwachungskapitalistischen Geschäftsmodell“ Einhalt zu gebieten.

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