Annette Beller

B. Braun gibt sich den Spirit des Kapitalmarkts

Auch ohne Börsennotierung ist das Medizintechnikunternehmen B. Braun bestrebt, mit kapitalmarktorientierten Konzernen auf Augenhöhe zu bleiben, erläutert CFO Annette Beller im Interview.

B. Braun gibt sich den Spirit des Kapitalmarkts

Sabine Wadewitz

Frau Dr. Beller, die Pandemie hat die Wirtschaft global weiter im Griff. Wo wird B. Braun am stärksten getroffen?

Dass planbare Operationen wegen der Pandemie weltweit verschoben wurden, haben wir 2020 am stärksten in der Sparte Aesculap zu spüren bekommen, die auf chirurgische Produkte ausgerichtet ist. Das hat sich im laufenden Jahr fortgesetzt. Die Sparte hat im März 2021 nun das erste Mal wieder ihr normales Umsatzniveau erreicht.

Gibt es regional große Unterschiede in den Auswirkungen der Coronakrise?

Mit Beginn der Pandemie stand zunächst China im Fokus; auch heute haben einige Länder in Asien noch zu kämpfen, was wir beispielsweise an unserer Umsatzentwicklung in Indien bemerken. Auch in Lateinamerika sind viele Länder erheblich von Covid-19 betroffen, zum Beispiel Brasilien. Dabei sind die Währungen dieser Länder im vergangenen Jahr bereits erheblich unter Druck geraten. Das bekommen wir natürlich auch in der Ertragsentwicklung zu spüren.

Der Konzern ist bislang aber vergleichsweise stabil durch die Coronakrise gekommen?

B. Braun ist aus unserer Sicht bislang zufriedenstellend durch die Pandemie gekommen. Der Konzern ist sehr breit aufgestellt, was das Produktportfolio angeht, aber auch die regionale Verankerung des Geschäfts. Dadurch sind Umsatz- und Ergebnisentwicklung stabil. Das Unternehmen profitiert zudem von einer hohen Produktionstiefe. Gleichwohl sind die Lieferketten angespannt.

In welchen Produktgruppen macht sich das bemerkbar?

Wir haben eine sehr hohe Nachfrage nach Infusionspumpen, die für die Behandlung von Covid-Patienten auf Intensivstationen eingesetzt werden. Dafür benötigen wir elektronische Komponenten als Vorprodukte, die knapp sind. Dies macht es immer noch schwierig, das immense Auftragsvolumen zu bewältigen. Geholfen hat die Flexibilität unserer Mitarbeiter, so dass wir die Produktion von Infusionspumpen dennoch deutlich hochfahren konnten.

Die Digitalisierung hat in Coronazeiten einen neuen Stellenwert bekommen. Inwieweit beschleunigt sich der technologische Wandel von B. Braun durch diese Entwicklung?

Wir hatten die digitale Transformation natürlich schon vorher auf unserer Agenda, mit der Pandemie hat sie einen neuen Schub bekommen. Die technologische Umstellung war so weit gediehen, dass die Mitarbeiter umgehend ins Homeoffice wechseln konnten. Das hat in der Verwaltung sehr gut funktioniert.

Der Außendienst in Coronazeiten dürfte für B. Braun auch eine Herausforderung darstellen?

Für den Vertrieb war es eine große Umstellung. Dort haben wir auf Blended Sales umgestellt, also eine Mischung aus digitalen Kontakten und Vor-Ort-Besuchen. Das stößt bei vielen Kunden auf große Resonanz, so dass wir an einem Konzept arbeiten, um dies nach der Pandemie fortzuführen. Seit einiger Zeit hatten wir schon digitale Elemente in Schulungen für die Anwendung unserer Produkte integriert, auch das werden wir forcieren. Das hat Dynamik entwickelt: In China stieg die Zahl der registrierten Nutzer innerhalb eines Jahres von 70000 auf 400000. Es ist nicht davon auszugehen, dass wir dort, wo sich digitale Technologien bewährt haben, nach der Pandemie zu alten Arbeitsweisen zurückkehren werden.

Hat B. Braun auch digitale Produkte in der Medizintechnik im Sortiment?

Unsere Infusionspumpe ist in vielen Funktionen digital ausgerüstet. Sie bietet zum Beispiel eine Bibliothek für Medikamente und überprüft die Programmierung der Dosierung. Diese Software ist wesentlicher Bestandteil, sie wird im Krankenhaus vernetzt, und wir entwickeln die Funktionen sukzessive weiter.

Sind mit der Digitalisierungsstrategie bestimmte Renditeziele verbunden?

Das betrachten wir nicht bezogen auf ein Einzelprodukt. Wir steuern den Konzern nach der Gesamtrentabilität. Zentrale Kenngröße ist die Ebitda-Marge. Das spiegelt unser Selbstverständnis als Systemanbieter wider. Wir wollen bei einer stationären oder ambulanten Behandlung alle notwendigen Produkte zur Verfügung stellen, um dadurch für unsere Kunden größtmöglichen Mehrwert zu bieten.

Seit einigen Jahren arbeitet der Konzern an der Optimierung der Kostenstruktur. Inwieweit hilft dabei die Digitalisierung?

Mit dem verstärkten Einsatz digitaler Instrumente im Außendienst sind die Vertriebskosten im vergangenen Jahr um 7% gesunken. Die auch künftig geplante Kombination aus digitalem und direktem Kundenkontakt soll sich dauerhaft in der Kostenstruktur niederschlagen. Es gilt allerdings zu bedenken, dass die Digitalisierung auch hohe Investitionen erfordert, und zwar in allen Bereichen.

Ist das Ebitda die einzige Steuerungsgröße im Konzern?

Eine wichtige Größe ist zunächst das Umsatzwachstum. Hier streben wir bis 2025 jährlich eine Steigerung von 5 bis 7% an. Die Ebitda-Marge soll über 15% liegen. Als Familienunternehmen ist zudem der Verschuldungsgrad eine relevante Steuerungsgröße. Die Nettoverschuldung zu Ebitda soll maximal 2,5 erreichen, Ende 2020 betrug der Leverage 2,2.

Hat der Konzern mit Blick auf Pandemierisiken spezielle Maßnahmen zur Liquiditätssicherung ergriffen?

Das haben wir im vergangenen Jahr in der ersten Pandemiewelle im März und April überlegt. Damals hatte der Konzern ungezogene Kreditlinien von 1 Mrd. Euro in einem aus unserer Sicht sehr stabilen Bankenkreis. Doch wir haben uns bewusst dagegen entschieden, die Linien zu ziehen und das Geld aufs Bankkonto zu legen. Stattdessen haben wir ein konzernweites wöchentliches Liquiditätsreporting eingeführt, schauen uns also bei allen Konzerngesellschaften kontinuierlich die Entwicklung der Außenstände an. Das hat sich als sehr wirksames Mittel erwiesen. Die Außenstandsdauer unserer Forderungen konnte um vier Tage verkürzt werden.

Somit hatte B. Braun auch keine höhere Kapitalbindung im Um­laufvermögen?

Was wir bei den Forderungen gewonnen haben, ging teilweise durch erhöhte Vorräte wieder verloren. Am Anfang der Pandemie war nicht vorherzusehen, ob die Produktion un­eingeschränkt aufrechterhalten werden kann. Da wir aber als systemrelevanter Lieferant im Gesundheitswesen jederzeit unsere Lieferfähigkeit gewährleisten wollten, haben wir zu Beginn des Jahres 2020 Bestände aufgebaut. Bis zum Jahresende haben wir das jedoch mit Bestandsanpassungen gut kompensieren können. Auch bei Investitionen haben wir im vergangenen Jahr zunächst keine neuen Projekte begonnen, wobei keine begonnenen Projekte gestoppt wurden.

Damit ist B. Braun liquiditätsmäßig stabil durch die Coronakrise gekommen?

Das stimmt. Meine Sorge ist, ob das in den nächsten Jahren genauso gut gelingen kann. Viele Länder haben sich im Zuge der Krisenbewältigung hoch verschuldet. Damit stellt sich die Frage, wie sich die steigenden Schuldenstände auf die öffentlichen Ausgaben für Gesundheit auswirken werden. Kurzfristig sehen wir keine Probleme, doch es ist ungewiss, wie die nationalen Gesundheitssysteme nach der Pandemie finanziell ausgestattet sein werden.

Sie haben mit Blick auf die Finanzierung des Konzerns von Kreditlinien gesprochen, in der Vergangenheit hat B. Braun Schuldscheine begeben. Welche Finanzinstrumente nutzen Sie sonst?

Schuldscheine sind ein wesentlicher Bestandteil unserer Finanzierung. Maximal hatte B. Braun 1,3 Mrd. Euro an Schuldscheindarlehen ausstehend, im Augenblick sind es 1 Mrd. Euro. Damit haben wir über die Jahre sehr gute Erfahrungen gemacht. B. Braun genießt am Schuldscheinmarkt einen guten Ruf. Im Zuge des Konzernumbaus haben wir im vergangenen Jahr die von der operativen Gesellschaft B. Braun Melsungen AG ausgegebenen Schuldscheine auf die neu etablierte Holdinggesellschaft B. Braun SE transferiert. Bis auf eine Bank haben alle Schuldscheingläubiger der Übertragung zugestimmt.

Wie sind die Kreditlinien derzeit genutzt?

Wir haben im vergangenen Jahr einen Konsortialkreditvertrag neu aufgesetzt, das war ein wesentlicher Schritt in der Finanzierungsstrategie. Der Kreditvertrag wäre Ende 2020 planmäßig ausgelaufen, stand also zur Erneuerung an. Die Pandemie ist dazwischengekommen, hat die Linie etwas verteuert und die Laufzeit verkürzt, aber es ist auf Ebene der Dachgesellschaft B. Braun SE gelungen, mit 14 Banken einen neuen syndizierten Kredit über 700 Mill. Euro zu vereinbaren. Das Volumen lag zuvor bei 525 Mill. Euro. Das ist der zentrale Finanzierungsvertrag im Konzern.

B. Braun hat wie die meisten traditionsreichen Unternehmen relativ hohe Pensionsverpflichtungen in der Bilanz. Sind größere Schritte zur Ausfinanzierung erwogen worden?

Da habe ich eine ganz klare Meinung. Solange unsere Konzernrentabilität höher ist als die Rendite, die wir am Kapitalmarkt erzielen können, und solange B. Braun Verbindlichkeiten von 2,5 Mrd. Euro hat, sehe ich keinen Vorteil darin, die Pensionsverpflichtungen auszulagern. Dann müsste ja die interne Finanzierung über Pensionsrückstellungen durch andere Finanzinstrumente ersetzt werden. Wir stehen besser da, wenn das Geld im Unternehmen bleibt.

Gibt es eine Peergroup an Wettbewerbern, an der sich der Konzern in seiner Ertragskraft misst?

Wir haben vor gut 20 Jahren über ein Rating nachgedacht, es dann aber verworfen. Damals wurde versucht, uns in eine Kategorie von Unternehmen einzuordnen. Doch das Produktportfolio ist so breit, dass sich immer nur Teile gegenüber anderen Konzernen abwägen lassen. In dieser Weise beurteilen wir die Performance jeder Sparte für sich im Vergleich mit der Konkurrenz. Anders lässt sich keine verlässliche Einschätzung gewinnen.

Wie aktiv schaut sich B. Braun nach Akquisitionen um?

Ich hatte auf die Bedeutung der Verschuldungsquote als Steuerungsgröße im Konzern hingewiesen. Finanzielle Stabilität hat für ein Familienunternehmen einen hohen Stellenwert. Deshalb ist das Wachstum aus eigener Kraft zentraler Bestandteil der Unternehmensphilosophie. Nichtsdestotrotz schauen wir uns regelmäßig im Bereich neuer Technologien und Entwicklungen nach Kooperationsmöglichkeiten um. Das sind aber Akquisitionen, die sich regelmäßig höchstens im zweistelligen Millionenbereich bewegen. Wir erwerben primär Know-how und nicht Marktanteile.

Anders als ein börsennotiertes Unternehmen bekommt B. Braun nicht jeden Tag im Kapitalmarkt die Wertentwicklung gespiegelt. Wie läuft dieser Prozess in der Innensicht ab?

Unsere Gesellschafter schauen sich die Ertragsentwicklung sehr genau an. Wir haben Aktionäre, die die Unternehmensentwicklung kontinuierlich kritisch begleiten.

Sind Sie dennoch froh, dass Sie dem Regulierungsstress eines kapitalmarktorientierten Unternehmens nicht gänzlich ausgeliefert sind?

Wir nehmen die Anforderungen des Kapitalmarktes bewusst wahr. Im Jahr 2005 haben wir die Rechnungslegung freiwillig auf den internationalen IFRS-Standard umgestellt, um vergleichbar zu sein mit kapitalmarktnotierten Unternehmen. Die Familienaktionäre haben den An­spruch, B. Braun wie ein kapitalmarktorientiertes Unternehmen aufzustellen. Das gilt auch für die Governance. Auf der anderen Seite schätzen wir es, den Konzern langfristig ausrichten zu können und uns nicht an kurzfristigen Quartalsergebnissen orientieren zu müssen. Sustainability zählt seit Jahrzehnten zu den Leitlinien von B. Braun, das hat sich ausgezahlt. Da wir unseren Finanzierungsbedarf bisher ohne Nutzung des Kapitalmarkts decken konnten, gab es bisher keinen Grund an den Bondmarkt zu gehen, denn das wäre auch mit einem umfangreicheren Reporting verbunden.

Das Interview führte

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