Baywa verliert immer mehr an Vertrauen
Baywa verliert immer mehr an Vertrauen
Je länger die Existenzkrise andauert, desto stärker wird die Debatte über die Schuldfrage – Ex-CEO und bestehender Vorstand im Visier
sck München
Der Vertrauensverlust gegenüber dem hochverschuldeten und defizitären Agrarhandelskonzern Baywa hat sich an der Börse dramatisch beschleunigt. Binnen einer Woche ging die Aktie des Münchner SDax-Mitglieds mit genossenschaftlichen Wurzeln um nahezu die Hälfte in den Keller. Zum Wochenschluss notierte der Titel im Xetra-Handel zeitweise bei 12,18 Euro (-8,8%). Das ist der tiefste Stand seit 20 Jahren. Die Analysten von Warburg Research und der Privatbank Metzler setzten ihre Bewertungen vorerst aus.
Sieben Tage zuvor schockierte der Mischkonzern, der auch in den Bereichen Bau, Technik, Energie und Obsthandel aktiv ist, mit einer Ad-hoc-Meldung, in der dieser eine „angespannte Finanzierungslage“ einräumte und sich selbst zum Sanierungsfall erklärte. Berater von Roland Berger erstellen ein Gutachten. Mit diesem soll vor allem für die Gläubigerbanken geklärt werden, wie es um das traditionsreiche Unternehmen bestellt ist und wie eine drohende Insolvenz wegen Zahlungsunfähigkeit abgewendet werden kann.
Unter Zeitdruck
Der Zeitdruck ist groß. Denn das unter einem Schuldenberg von rund 11 Mrd. Euro ächzende Unternehmen, welches im vergangenen Jahr sein 100-jähriges Bestehen feierte, benötigte eine rasche Restrukturierung seiner Kapitalstruktur, um den Fortbestand zu sichern. Von den Gesamtschulden entfallen allein 5,6 Mrd. Euro auf Finanzverbindlichkeiten. Davon wiederum ist fast die Hälfte kurzfristig.
Zu den größten Gläubigerbanken gehören die zum Genossenschaftssektor gehörende DZ Bank, die Stuttgarter Landesbank LBBW und die Münchner Unicredit-Tochter HypoVereinsbank. Größter Anteilseigner der Baywa ist mit 33,8% ein Beteiligungsvehikel namens Bayerische Raiffeisen-Beteiligungs AG (BRB), hinter der die 184 Volks- und Raiffeisenbanken aus dem Freistaat stehen. Dieses Lager der Kreditinstitute hat einen entscheidenden Einfluss darauf, ob für den in eine finanzielle Schieflage geratenen Konzern mit seinen rund 23.000 Beschäftigten ein Rettungspaket geschnürt wird. Stellenstreichungen und der Verkauf von Tafelsilber sind wohl unvermeidlich.
Tagesgeschäft wackelt
In dieser Gemengelage wächst die Nervosität von Lieferanten und landwirtschaftlichen Betrieben, die mit der Baywa eng verbunden sind. Dieser Tage sah sich die Firma zu einer Erklärung genötigt, wonach die Bezahlung der Getreidelieferungen der Landwirte gesichert sei. Das zeigt, dass das Tagesgeschäft der Baywa wackelig wird. Zulieferer dringen in kritischen Fällen zunehmend auf Vorauskasse. Das belastet die Firmenkasse zusätzlich.
Mit der sich verschärfenden Existenzkrise nimmt derweil die Diskussion über die Frage nach der Schuld an der Misere zu. Fakt ist, dass vor allem die gestiegenen Finanzschulden das Resultat einer überwiegend auf Pump finanzierten Expansionsstrategie während des zurückliegenden Zinstiefs sind.
Expansion unter Klaus Josef Lutz
Das geschah in der Ära des früheren Vorstandsvorsitzenden Klaus Josef Lutz (66). Der Jurist führte die Baywa von Juli 2008 bis März 2023. Unter seiner Regie kaufte der Konzern im Ausland kräftig zu.
Zugleich baute die Firma ein neues Geschäftsfeld für Solar- und Windanlagenprojekte auf. Mit dieser Strategie überzeugte er die Eigentümer. Mit einer diversifizierten Aufstellung machte sich die Baywa unabhängiger vom schwankungsanfälligen, wetterabhängigen Agrargeschäft. So war jedenfalls die Meinung des CEO. 2022 erhielt der Konzern operativ viel Rückenwind. Die Baywa erzielte einen Rekordgewinn. Die vinkulierte Namensaktie erreichte seinerzeit mit über 47 Euro ein Allzeithoch.
Mit der offiziellen Stabübergabe an seinen designierten Nachfolger und einstigen „Ziehsohn“ Marcus Pöllinger (45) im April 2023 schien alles in geordneten Bahnen zu laufen. Für seinen vorzeitigen Abgang kassierte Lutz eine vertragliche Abfindung von 6,7 Mill. Euro. Er wechselte in den Aufsichtsrat, um dort den Vorsitz zu übernehmen.
In seiner neuen Rolle folgte Lutz auf den langjährigen Chefaufseher Manfred Nüssel (76). Der Agraringenieur mit CSU-Parteibuch führte das Kontrollgremium von Juli 2000 bis Juni 2023. Nüssel unterstütze Lutz` Strategie. Beide galten als Tandem.
In der neuen Konstellation wachte der Ex-CEO über seinen Nachfolger. Die vom Corporate-Governance-Kodex empfohlene Übergangsfrist von zwei Jahren (Cooling-off-Periode) ignorierte die Baywa dank ihres größten Ankeraktionärs. Dieser Fehler rächte sich. Im Januar dieses Jahres kam es zu großen Knall. Nach einem verlorenen Machtkampf gegen Pöllinger schmiss Lutz hin.
Lutz ist in der Wirtschaft gut vernetzt. Er ist weiterhin Präsident der Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern.
CFO der Solar-Konzerntochter geht
Ende März berichtete die Baywa über einen Jahresverlust 2023 von 93 Mill. Euro. Die wachsenden Zinslasten infolge der hohen Finanzschulden drücken das Unternehmen seit Mitte vergangenen Jahres spürbar. Probleme im operativen Geschäft kommen hinzu. Der weltweite Preisverfall bei Solarmodulen führt zu einer Erosion der Margen.
Der von der Baywa seit März 2023 gehegte Plan, ihr internationales Solargeschäft zu veräußern, kam dadurch bisher nicht zustande. Im ersten Quartal rutschte der Konzern mit einem Fehlbetrag von 108 Mill. Euro noch tiefer in die roten Zahlen. Nach Informationen der Börsen-Zeitung trat die Finanzvorständin der Solar- und Windkrafthandelstochter der Baywa (Baywa r.e.), Mihaela Seidl, dieser Tage nach nur einem Jahr im Amt von ihrem Posten zurück.
Mehrere Manager verantwortlich
Trotz dieser empfindlichen Rückschläge und einer gestrichenen Dividende entlasteten die Aktionäre den Vorstand für 2023 auf der Hauptversammlung im Juni mit einer Zustimmungsquote von 99,3%.
Ist für das Chaos auf der Passivseite der Konzernbilanz allein Lutz verantwortlich? Wohl nicht. Der Betriebswirt Pöllinger arbeitet seit 16 Jahren für den Konzern, seit 2018 gehört er dem Vorstand an. Der aus Österreich stammende Agrarökonom Reinhard Wolf (64), der seit 2013 im Vorstand sitzt, ist zugleich CEO des Baywa-Schwesterkonzerns RWA Raiffeisen Ware Austria mit Sitz in Korneuburg bei Wien. Die österreichische Raiffeisen Agrar Invest ist mit 28,3% zweitgrößter Einzelaktionär der Baywa. Finanzvorstand Andreas Helber (58) ist seit 24 Jahren für die Baywa tätig, seit 2010 als CFO. Das Trio trug den Expansionskurs des ehemaligen CEO mit.
Aufsichtsrat nickte Strategie ab
Der Aufsichtsrat nickte diesen Kurs über Jahre ab. Dem insgesamt 16-köpfigen Kontrollgremium gehören auf der Kapitalseite unter anderem Bauernverbandspräsident Joachim Rukwied (im Gremium seit 2013, Strategieausschuss), die CSU-Politikerin, Europaabgeordnete und Tochter von Bayerns früherem Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß (verstorben 1988), Monika Hohlmeier (2013, Kredit- und Investitionsausschuss), und der Genossenschaftsbanker Wolfgang Altmüller (2014, Prüfungsausschuss) an.
Letzterer vertritt im Gremium die BRB, deren Aufsichtsratschef er ist. Altmüller ist hauptberuflich CEO der Meine Volksbank Raiffeisenbank e.G. in Rosenheim. Zugleich ist er Vorsitzender des Verbandsrats des Bundesverbands der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR).
Hohe Ergebnisse und genügend Cashflow aus den zugekauften Aktivitäten sollten dazu beitragen, die Kredite zügig zu tilgen, so die Kalkulation, die sich als riskant erwies. Der ursprünglich vom CFO erwartete Erlös aus dem Verkauf der Solaraktivitäten von über 2 Mrd. Euro erwies sich als Wunschdenken. Auf die Zinswende reagierte zwar Helber unter anderem mit Anpassungen in der Darlehensstruktur (2021 erstmals Konsortialkredit) - aber offensichtlich nicht zügig genug, wie sich nun herausstellt.
Warnsignale des Kapitalmarktes
Ein Warnsignal des Kapitalmarktes kam spätestens Ende April, als die Baywa die Emission einer geplanten Anleihe von 250 Mill. Euro kurzfristig absagen musste, trotz eines Kupons von 6,75%. Die Nachfrage nach diesem Papier war zu schwach. Der Baywa gelang es nicht mehr, Investoren zu locken. Offenbar wuchs die Skepsis bei Investoren gegenüber der Firma.
Der seit Mai amtierende neue Aufsichtsratschef, der Genossenschaftsbanker Gregor Scheller (66), sowie der jüngst ins Haus geholte Sanierungskoordinator sind auf das Fachwissen von Pöllinger und Helber angewiesen, um den Konzern zu stabilisieren. Trotz der schwerwiegenden Fehler wäre ein Neuanfang der Baywa ohne die beiden schwierig.
Die Anleger wenden sich immer stärker von dem in eine Schieflage geratenen Agrarhandelskonzern Baywa ab. Die Aktie geriet erneut unter Druck. Auch Lieferanten werden nervös. Das heizt die Frage nach der Verantwortung für die Misere des SDax-Mitglieds an. Im Fokus stehen der Vorstand und der Aufsichtsrat.