Beharrlichkeit zahlt sich für Adnoc aus
Corporate Finance Award: Die Preisträger (5) Large Caps
Beharrlichkeit zahlt sich für Adnoc aus
Investitionsvereinbarung mit Covestro öffnet die Tür – Frisches Eigenkapital winkt – Standortschließungen in Deutschland ausgeschlossen
Von Annette Becker, Köln
Wie man einen unerbetenen Übernahmevorstoß in eine von allen Stakeholdern unterstützte Akquisition verwandelt, hat Adnoc mit der Übernahme von Covestro gezeigt. Dabei lassen sich aus der zweitgrößten M&A-Transaktion des Jahres 2024 in Europa so einige Lehren ziehen. Allen voran muss der potenzielle Erwerber viel Zeit mitbringen.
Mit der Übernahme von Covestro hat erstmals ein Investor aus dem Nahen Osten einen deutschen Blue Chip erworben. Doch nicht nur die schiere Größe der Akquisition – inklusive Schulden wird Covestro mit über 14 Mrd. Euro bewertet – hat den Ausschlag dafür gegeben, dass Adnoc, der staatliche Ölkonzern aus Abu Dhabi, den Corporate Finance Award in der Kategorie Large Caps erhält.
Wenngleich die Transaktion bis heute nicht in trockenen Tüchern ist, weil noch verschiedenste regulatorische Freigaben ausstehen, vergingen allein zwischen den ersten Übernahmespekulationen und der Abgabe des offiziellen Angebots rekordverdächtige 16 Monate. Nun tickt die Uhr. Bis 2. Dezember 2025 müssen die diversen Behörden grünes Licht geben, ansonsten würde die Übernahme scheitern. Davon ist jedoch nicht auszugehen, zumal die Vereinigten Arabischen Emirate als attraktiver Wirtschaftsraum gelten, und Europa angesichts der handelspolitischen Konflikte mit den USA derzeit händeringend nach Partnern für bi- oder multilaterale Abkommen sucht.
Breit gestreutes Kapital
Inklusive Schulden lässt sich Adnoc den Kunststoffhersteller 14,3 Mrd. Euro kosten, ein Vielfaches des operativen Ergebnisses von 13. On top kommen 1,2 Mrd. Euro frisches Eigenkapital, welche die Investoren aus dem Morgenland nach Vollzug der Transaktion einschießen werden.
Das wirft natürlich die Frage auf, ob die Investoren aus den Vereinigten Arabischen Emiraten mit einer feindlichen Offerte nicht schneller und günstiger ans Ziel gekommen wären, zumal sich das Grundkapital des Übernahmeziels vollständig im Streubesitz befand. Diese Rechnung aber scheint der staatliche Ölkonzern aus Abu Dhabi gar nicht erst aufgemacht zu haben. Adnoc ging es von Anfang an darum, sich ein überzeugendes Geschäftsmodell zu sichern und war dafür bereit, so manche Kröte zu schlucken.
Vertrauen gewinnt man nicht mit der Brechstange.
Klaus Fröhlich, Group Chief Investment Officer von Adnoc
Schließlich soll Covestro zum fünftgrößten Chemiekonzern der Welt ausgebaut werden. Dafür war es erforderlich, das Vertrauen von Management und Belegschaft zu gewinnen, denn Adnoc wollte das Management unter Führung von Markus Steilemann in jedem Fall an Bord behalten. „Vertrauen gewinnt man nicht mit der Brechstange“, beschreibt es Klaus Fröhlich, der Group Chief Investment Officer von Adnoc, ganz treffend. Doch auch im Covestro-Management wird mittlerweile „vom richtigen Schritt zur richtigen Zeit gesprochen“.
Startpunkt: 55 Euro
Natürlich ist es mehr als Zufall, dass der Vorstoß im zyklischen Tief erfolgte. Doch dem strategischen Investor ging es nie darum, mit dem niedrigst möglichen Gebot ans Ziel zu gelangen. Immerhin entspricht der Übernahmepreis von 62 Euro je Aktie einem Aufschlag auf den von Spekulationen unbeeinflussten Aktienkurs von 54%. Wenn man den Schlusskurs vor dem Start der Due Diligence heranzieht, kommt noch immer eine stattliche Prämie von 21% zusammen. Zu diesem Zeitpunkt wurde auch erstmals der Übernahmepreis von 62 Euro je Aktie genannt.
Das erste indikative Angebot hatte sich im Juni 2023 dagegen auf 55 Euro belaufen. Dem Management von Covestro ist es allerdings nicht nur gelungen, den Übernahmepreis um letztlich fast 13% in die Höhe zu treiben. Mindestens ebenso wichtig sind die Zugeständnisse, die Adnoc abgetrotzt wurden, obwohl die Übernahme angesichts eines Streubesitzes von 100% von Anfang an nur eine Frage des Preises war.
Basis für die Unterstützung der Leverkusener war die Investitionsvereinbarung, welche die Vertragsparteien am 1. Oktober 2024 unterzeichneten. Darin sichert Adnoc dem Konzern nicht nur frisches Eigenkapital zu, sondern verpflichtet sich zugleich, die Wachstumsstrategie „Sustainable Future“ uneingeschränkt zu unterstützen. Covestro verschafft sich damit einen deutlichen Wettbewerbsvorteil, werden die Leverkusener doch in die Lage versetzt, auch antizyklisch in die grüne Transformation zu investieren.
Mitbestimmung spricht mit
Zugleich hat Covestro die Anerkennung der deutschen Governance-Vorschriften sowie die Beibehaltung des mitbestimmten Aufsichtsrats herausgeschlagen. Ausdrücklich anerkannt wird auch die bestehende Betriebsvereinbarung. Diese hatte Covestro just einen Tag nach dem Startschuss zur Due Diligence geschlossen. Dadurch sind betriebsbedingte Kündigungen in Deutschland bis Ende 2032 ausgeschlossen. Die Investitionsvereinbarung läuft dagegen nur bis Ende des Jahres 2028.
Für die deutsche Belegschaft ist das insofern ein Quantensprung, als in der Betriebsvereinbarung auch Standortschließungen ausgeschlossen sind. Dabei entfällt knapp die Hälfte der Einsparungen aus dem 400 Mill. Euro schweren Sparprogramm, das zeitgleich festgezurrt wurde, auf Deutschland. „Sich in die Welt der deutschen Mitbestimmung einzudenken und sich damit wohlzufühlen, ist sicher etwas, das Zeit beansprucht hat“, sagt Fröhlich, der sich als Architekt des Deals bezeichnen darf, im Rückblick.
Durchmarsch
An der Attraktivität des Angebots für die bisherigen Anteilseigner lässt aber auch die breite Zustimmung keine Zweifel. Nach Ablauf der ersten Annahmefrist hielt Adnoc schon knapp 70% der Anteile. Nach Ablauf der weiteren Annahmefrist, die insbesondere für Indexfonds relevant ist, kam der Investor auf ein Paket in Höhe von 91,3%. Mit der geplanten Kapitalerhöhung wird sich der Anteil noch weiter erhöhen. Das Delisting dürfte damit ausgemachte Sache sein. Aus dem Dax entfernt wurde Covestro dagegen schon am 27. Dezember.
Ein Aspekt, der für gewöhnlich bei Milliardentransaktionen der gesonderten Betrachtung bedarf, ist die Finanzierung. In diesem Fall allerdings spielt das Thema nur eine nachgeordnete Rolle. Denn Adnoc bzw. die neue Investmentgesellschaft XRG, als 100-prozentige Tochter von Adnoc und Eigentümerin von Covestro, besitzt ein Vermögen von 80 Mrd. Euro, das bis 2035 verdoppelt werden soll. Das Portfolio umfasst Unternehmen aus den Branchen Energie und Chemie.
Bislang erschienen: IPO (17.4.) M&A (15.4.) Private Equity (12.4.) Mid & Small Caps (9.4.)