Billiges Gas befeuert Kohleausstieg in Europa
cru Düsseldorf – Die Rohstoffmärkte beschleunigen den Kohleausstieg von Stromerzeugern wie RWE derzeit stärker als die aus Klimaschutzgründen staatlich verordneten, aber noch nicht umgesetzten Stilllegungen von Kraftwerken. Sinkende Gaspreise in Kombination mit einem steigenden Preis für CO2-Emissionsrechte machen Kohlekraftwerke zusehends unrentabel. Während in der Berliner Regierungskoalition noch über den richtigen Weg gestritten wird, dem CO2-Ausstoß einen höheren Preis zu geben, wirken die Preisanreize an den Märkten bereits.Die Stromproduktion von RWE aus Braunkohle ist im zweiten Quartal gegenüber dem Vorjahr von 16 Mrd. auf 11 Mrd. Kilowattstunden gesunken. Nach Einschätzung des Konzerns treibt derzeit der Zweiklang aus niedrigen Rohstoffnotierungen und steigenden Preisen für Emissionszertifikate den “Fuel Switch” an, also den Einsatz von Gas statt Kohle in der Stromproduktion: “Klar ist nach unserer Einschätzung aber auch: Bei dem aktuellen Comeback effizienter Gaskraftwerke handelt es sich um eine Momentaufnahme”, sagte ein Konzernsprecher. Die Entwicklung sei stark begünstigt durch niedrige Gaspreise infolge eines warmen Winters und umfangreiche russische Gaslieferungen. Dadurch seien die Erdgaslager überproportional gefüllt. Zudem sei der europäische Markt gerade besonders gut mit Flüssiggas (LNG) versorgt. Für die kommenden Jahre deuteten die Forward-Preise auf einen deutlich geringeren Fuel Switch hin.Derzeit jedoch kommt der Fuel Switch nicht nur in Deutschland gut voran. Auch in Italien, Spanien und Großbritannien nimmt der Anteil der Kohle am Strommix deutlich ab. Die Marktentwicklung ergänzt den EU-Emissionshandel, der das wichtigste Instrument zur Reduzierung der CO2-Emissionen gemäß dem Pariser Klimavertrag ist. Die großen Energiekonzerne folgen den Anreizen aus wirtschaftlichen Erwägungen. Getrieben vom MarktGas und erneuerbare Energien füllen in Deutschland die Lücke, die durch den Kernenergieausstieg bis 2022 und den Kohleausstieg bis 2038 entsteht. Ein Überschussangebot an billigem Gas beschneidet den Marktanteil der Kohle aber auch in den USA, wo 2018 mehr Kohlekraftwerke denn je vom Netz gingen. Mit neuen Erdgas-Verflüssigungsanlagen wird preiswertes Gas aus den USA in alle Welt geliefert – unter anderem nach China, wo das per Tanker antransportierte Flüssiggas als Alternative zur Kohle zum Einsatz kommt.Der Kohleausstieg wird somit vom Markt angetrieben. Die Verknappung der Emissionsrechte im EU-Emissionshandelssystem entfaltet ihre Wirkung. Die Menge des mit Kohle erzeugten Stroms hat sich in Italien, Frankreich, Deutschland, Spanien, Portugal und Großbritannien im zweiten Quartal laut S&P Global Platts Analytics um 40 % verringert. In Großbritannien hat sich der Anteil der Kohle am Strommix binnen zehn Jahren von 35 % auf 4 % verringert und soll nach dem Willen der Regierung 2025 auf null sinken.Obwohl die Lage in einigen Ländern – wie etwa Polen mit einem hohen Kohleanteil – ganz anders aussieht, verstetigt sich der europaweite Kohleausstieg. Der Gaspreis liegt unter anderem wegen des billigen US-Flüssiggases in der Nähe eines Zehnjahrestiefs, und der Preis für ein CO2-Zertifikat im EU-Emissionshandel hat sich binnen Jahresfrist verdoppelt – auf 30 Euro je Tonne CO2.Allerdings gibt es gegenläufige Entwicklungen: So zeichnet sich am Terminmarkt ein baldiger Wiederanstieg des Gaspreises ab, und Konzerne wie RWE haben sich mit Vorratskäufen von CO2-Zertifikaten für die nächsten Jahre abgesichert. Weil die Nachfrage nach Kohle sinkt, ist gleichzeitig der Preis für eine Tonne Kohle zur Lieferung in Jahresfrist von 100 Dollar auf 62 Dollar gefallen.Der Anreiz, ein Kohlekraftwerk zugunsten eines Gaskraftwerks abzuschalten, war selten stärker. Nahezu im gesamten bisherigen Jahr 2019 war es nach Angaben des Analysehauses BloombergNEF profitabler, ein Gaskraftwerk einzuschalten, als ein Kohlekraftwerk laufen zu lassen. Das ist der bisher längste Zeitraum, in dem sich die Rohstoffpreise im “Fuel Switch”-Bereich bewegten. Mehr Marge mit GasBei manchen kurzfristigen Stromlieferverträgen lag die Marge aus dem Betrieb eines Gaskraftwerks laut Bloomberg um 14 Euro je Megawattstunde höher als bei Kohle. Aufgrund des gestiegenen CO2-Preises setzt sich Gas laut BNEF auch in der Konkurrenz zur Braunkohle öfter durch. Damit geschieht genau das, was das Emissionshandelssystem bewirken sollte. Laut Fortum-Chef Pekka Lundmark, dessen Konzern 50 % an Uniper gehört, hängt der Strompreis inzwischen stärker vom Gaspreis ab als vom Kohlepreis.