Kriselnder Flugzeugbauer

Boeing prüft wohl Verkauf von Konzerneinheiten

Boeing arbeitet mit Hochdruck daran, einen lähmenden Streik zu beenden und sich neue Liquidität zu beschaffen – eventuell auch über einen Verkauf von Unternehmensteilen. Doch ein lange Zeit belächeltes Schreckensszenario gewinnt laut Analysten an Wahrscheinlichkeit.

Boeing prüft wohl Verkauf von Konzerneinheiten

Boeing durchkämmt Bilanz nach neuen Cash-Quellen

US-Flugzeugbauer prüft wohl Verkauf von Unternehmenseinheiten – Spannung vor Abstimmung über neues Angebot an streikende Maschinisten

xaw New York

Die kriselnde Boeing durchkämmt ihre Bilanz nach zusätzlichen Liquiditätsquellen. So prüft der US-Flugzeugbauer den Verkauf von Assets, um sich Cash zu beschaffen und zugleich Unternehmenseinheiten mit schwacher Performance loszuwerden, wie das „Wall Street Journal“ unter Berufung auf Insider berichtet. Der Verwaltungsrat habe in der vergangenen Woche Abteilungsleiter befragt und Berichte zum Zustand verschiedener Divisionen durchforstet, um über mögliche nächste Schritte des Konzerns entscheiden zu können. Der im August angetretene CEO Kelly Ortberg soll Manager zuletzt um genauere Wertaufstellungen ihrer Einheiten gebeten haben.

Problemaufträge am Hals

In der vergangenen Woche hat Boeing laut Insidern bereits einen Deal zur Veräußerung einer Tochter geschlossen, die Observationssysteme für das US-Militär produziert. Allerdings hat der Konzern noch mehrere andere problembeladene Aufträge aus Regierungsprogrammen am Hals und ist bisher daran gescheitert, ein mit Lockheed Martin betriebenes Raketen-Joint-Venture loszuwerden.

Zugleich arbeitet Ortberg daran, einen Streik zu beenden, der die Produktion lahmlegt. So haben sich der US-Konzern und die größte im Unternehmen aktive Gewerkschaft IAM auf einen vorläufigen Deal geeinigt, in dessen Rahmen Boeing Lohnerhöhungen um 35% über vier Jahre anbietet. Eine Abstimmung dazu ist für Mittwoch angesetzt. Das vorherige Angebot des Konzerns, das Lohnerhöhungen um 25% vorsah, hatten trotz Fürsprache der Gewerkschaftsführung 95% der Arbeitnehmer abgelehnt.

Gewaltiger Cash-Burn

Der am 13. September eingeläutete Ausstand hat den Liquiditätsdruck auf Boeing verschärft. Seither verbrennt der Flugzeugbauer nach Schätzungen von S&P Global pro Monat zusätzlich rund 1 Mrd. Dollar Cash, die Reserven sind – Wertpapier-Positionen eingerechnet – nach Unternehmensmitteilung bis Ende des dritten Quartals auf 10,5 Mrd. Dollar zusammengeschmolzen. Bis zum 1. Februar 2026 werden Kredite von Boeing im Volumen von 11,5 Mrd. Dollar fällig.

In der abgelaufenen Woche verkündete der Flugzeugbauer, sich eine Kreditlinie über 10 Mrd. Dollar gesichert zu haben, um das Liquiditätsloch zu stopfen. Zusätzlich will er über neue Aktien und Kredite bis zu 25 Mrd. Dollar aufnehmen. Zuvor hatte S&P Global davor gewarnt, dass Boeing frische Liquidität benötige, um nicht in den Ramschbereich abzurutschen.

Sorge um Rating

Der Erhalt des Investment-Grade-Ratings gilt als entscheidend, um die Finanzierungskosten des Konzerns im Rahmen zu halten. Allerdings deuten sowohl die Notwendigkeit temporärer Finanzierungen als auch vage Formulierungen in bei der US-Börsenaufsicht SEC eingereichten Dokumenten laut Analysten darauf hin, dass die beteiligten Banken bei der Vermarktung neuer Aktien und Kredite mit erheblichen Schwierigkeiten rechnen.

Ortberg hatte in der vorvergangenen Woche eine Gewinnwarnung abgegeben und einen massiven Stellenabbau angekündigt. Der Verlust im dritten Quartal dürfte vorläufigen Berechnungen zufolge bei 9,97 Dollar je Aktie liegen, gut fünfmal höher als von Analysten erwartet.

Streikende Mitarbeiter vor Maschinen des Typs Boeing 737 Max am Standort in Renton, Washington. Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Lindsey Wasson.

Ortberg will 17.000 Stellen streichen, was 10% der gesamten Belegschaft entspricht. Dabei benötigt der Konzern eigentlich mehr Kapazität, um die Produktion hochfahren zu können. Bei den Auslieferungen der Cashcow 737 Max ist Boeing bereits deutlich hinter die gesetzten Zielmarken zurückgefallen, nachdem US-Regulatoren die Produktion deckelten. Hintergrund ist ein Zwischenfall zu Jahresbeginn, bei dem eine Maschine nach dem Start ein Kabinenteil verlor.

Auslieferungen verschoben

Wegen des Streiks der nahezu 33.000 Mitarbeiter, die größtenteils an wichtigen Produktionsstätten im pazifischen Nordwesten der Vereinigten Staaten tätig sind, hat Boeing auch die Erstauslieferung des neuen Langstreckenjets 777X verschoben. Die Passagiervariante soll erst 2026 kommen, mehr als fünf Jahre später als ursprünglich geplant. Die Frachtvariante soll 2028 folgen. Boeing hatte die Testflüge Ende August erneut unterbrochen, nachdem ein struktureller Mangel an einem Bauteil gefunden wurde, mit dem das Triebwerk an der Tragfläche befestigt ist.

Der Ausstand wirft auch Wellen im Zulieferernetzwerk von Boeing. Am Freitag kündigte die kriselnde Spirit Aerosystems, die das beim schicksalshaften 737-Max-Flug zu Jahresbeginn herausgefallene Kabinenteil verbaut hatte, die Beurlaubung von 700 Mitarbeitern an. Boeing will die vor fast 20 Jahren ausgelagerte Spirit nach Ankündigung aus dem Juli für 37,25 Dollar je Aktie übernehmen, wodurch das Unternehmen mit rund 4,7 Mrd. Dollar bewertet wird. Das entspricht nach Angaben Spirits einem Aufschlag von 30% auf ihren Aktienkurs vom 29. Februar, dem Tag, bevor die beiden Unternehmen Übernahmegespräche bestätigten. Inklusive der Schulden Spirits belaufe sich der Transaktionswert auf ungefähr 8,3 Mrd. Dollar, wie Boeing erklärte. 

Wichtiger Streitpunkt ungeklärt

Nun herrscht Hoffnung, dass sich mit einem Abschluss des Arbeitskampfs Engpässe im Konzern entspannen. Allerdings ist laut Analysten noch nicht gesagt, dass die Gewerkschaftsmitglieder den Deal tatsächlich absegnen werden. Denn die Vereinbarung lässt einen wichtigen Punkt aus: Die Wiederherstellung von Pensionsleistungen, die der Konzern in einem 2014 geschlossenen Tarifvertrag für neue Mitarbeiter gestrichen hatte. Die IAM-Gewerkschaftsführung warnte ihre Mitglieder aber bereits davor, dass die Forderung nur schwierig zu erfüllen sei. Boeing erklärt sich allerdings wohl bereit, Zuzahlungen in 401k-Sparpläne zu erhöhen.

Zudem soll der Konzern weiterhin jährliche Boni auszahlen – eine Klausel, die im vorherigen Angebot fehlte. Dazu käme eine Prämie von 7.000 Dollar bei Ratifizierung des Tarifvertrags. Damit der Deal Bestand hat, müsste ihn mehr als die Hälfte der Gewerkschaftsmitglieder absegnen. Selbst dann könnte es aber Wochen dauern, bis die Produktion im regulären Rhythmus läuft. Bei Branchenkennern breitet sich deshalb eine lange Zeit als haltlos erscheinende Sorge aus: Dass Boeing auf eine Aufspaltung oder sogar eine Pleite zusteuern könnte.