Boom an US-Übernahmen weckt Argwohn der Kartellwächter
Von Sabrina Keßler, New York
Nvidia muss zittern. Kaum hatte man die Übernahme mit dem britischen Chip-Designer ARM verhandelt, schon funkten die ersten Wettbewerbsbehörden in Europa dazwischen. Nun stellt sich auch die US-Kartellbehörde FTC dagegen. Sie will die geplante Übernahme des britischen Chip-Designers verhindern. Damit steht der größte Zusammenschluss in der Geschichte der Branche vor dem Aus. Die FTC hegt Bedenken, dass eine Übernahme innovationsfeindlich wäre. Schon seit Bekanntgabe des Deals im September 2020 schießt sie immer wieder gegen Nvidia (Bericht oben).
Dass die Wettbewerbshüter so kritisch sind, hat weitere Gründe. Die Milliardendeals kommen in diesem Jahr in hoher Schlagzahl. Fast die Hälfte aller globalen Fusionen und Übernahmen finden dieses Jahr in den Vereinigten Staaten statt, berichtet der Datenanbieter Refinitiv. Insgesamt 2,3 Bill. Dollar beträgt das Transaktionsvolumen seit Jahresanfang und markiert damit einen neuen Rekord. Besonders hoch im Kurs stehen Firmen, die ein Volumen von 10 Mrd. Dollar überschreiten. Hinterhergeworfen bekommen die Unternehmen ihre Wunschkandidaten allerdings nicht. Bezogen auf einen Monat vor Ankündigung liegen die Prämien im Schnitt bei 25%.
Nicht nur in den Chefetagen von Corporate America klingeln die Telefone deshalb unaufhörlich. Auch Investmentbanker und Anwälte, die die Deals begleiten, sind im Stress. Zu ihnen gehört Jeffrey Gifford, der den Bereich Unternehmensfinanzierung bei der Wirtschaftskanzlei Dykema leitet. „Diesen Job mache ich bereits seit 22 Jahren. Ich kann mich nicht erinnern, jemals etwas in dieser Größenordnung erlebt zu haben“, sagt der 49-Jährige, der derzeit 13 Deals gleichzeitig jongliert.
Dass sich Unternehmen ausgerechnet jetzt neu formieren, hat gute Gründe, sagt er. War es früher oft der Drang nach Wachstum, spielten heute vermehrt Faktoren wie Nachhaltigkeit oder gesellschaftliche Verantwortung eine Rolle. Aber es ist auch die Pandemie, die die Schwächen vieler Firmen schonungslos offengelegt hat. Probleme bei Lieferketten und Digitalisierung versuchen sie nun durch Fusionen und Übernahmen zu adressieren.
Zuversicht treibt M&A-Markt
Das extrem günstige Marktumfeld spielt ihnen dabei in die Karten. „Über weite Strecken des Jahres war die Volatilität am Aktienmarkt sehr gering, was sich positiv auf Geschäftsabschlüsse auswirkt“, sagt Joe Mantone, M&A-Spezialist bei S&P Global. Gleichzeitig heizen historisch niedrige Zinsen, volle Liquiditätsreserven und eine Menge Zuversicht den Nachholbedarf an. „Covid ist zwar nicht verschwunden, aber die Unternehmen sind der Ansicht, dass sich die Wirtschaft auf dem Weg der Besserung befindet.“
Hinter den Mega-Mergern stecken immer öfter private Beteiligungsgesellschaften, die ihr „trockenes Pulver“ verschießen wollen, so Mantone. Zählt man die Übernahmen des bisherigen Jahres zusammen, liegt der Anteil von Private Equity (PE) am US-weiten Transaktionsvolumen bei fast 45%. Zum Jahresende gewinnen die M&A-Aktivitäten der PE-Schwergewichte an Fahrt. Allein KKR, Advent und Hellman & Friedman verkündeten im November Deals im Volumen von 41 Mrd. Dollar.
Mit dem Kaufrausch könnte es allerdings bald zu Ende sein, nicht nur wegen steigender Zinsen. US-Präsident Joe Biden hat ein schärferes Antitrust-Regime zu einem wichtigen Teil seiner Agenda ausgerufen, was sich auch bei Nvidia zeigt. Mit der Juristin Lina Khan, die im Juni den Chefposten der US-Wettbewerbsbehörde FTC übernommen hat, gerät der Übernahmereigen von Corporate America zunehmend ins Fadenkreuz. „Ich bin zutiefst besorgt, dass der Fusionsboom die Machtasymmetrien in unserer Wirtschaft verschärft und damit zunehmend Missbrauch ermöglicht“, sagte die 32-Jährige Ende Juli.
Auch das US-Justizministerium hebt immer öfter den Zeigefinger. So will man etwa den milliardenschweren Kauf des US-Buchverlags Simon & Schuster durch Penguin Random House untersagen. Die Regierung befürchtet, dass die Bertelsmann-Tochter zu mächtig werden könnte und die Preise für Konsumenten steigen könnten. Dabei läge der Marktanteil beider bei unter 20%. Um die Behörden nicht aufzuscheuchen, werden CEOs zunehmend kreativ. AT&T ist ein gutes Beispiel dafür. Für seine Verhandlungen mit dem TV-Unternehmen Discovery mietete der Telekomriese extra ein Haus im Süden Manhattans an. Monatelang gingen hier Unternehmensbosse, Anwälte und Banker ein und aus. Viele von ihnen gaben sich sogar Spitznamen, um nicht enttarnt zu werden, schreibt die „New York Times“. „Columbus“ und „Magellan“ zählten zu den wenigen Menschen, die in die Fusion eingeweiht waren.
Erst im Mai, drei Monate später, machte CEO John Stankey öffentlich, was zur größten Übernahme des bisherigen Jahres werden sollte. AT&T fusioniert ihre Mediensparte mit Discovery, wodurch der zweitgrößte Medienkonzern der Welt entstehen soll. Satte 43 Mrd. Dollar nimmt der Konzern dafür in die Hand, obwohl er tief verschuldet ist. Drei Jahre zuvor hatte AT&T schließlich schon 85 Mrd. Dollar für das US-Konglomerat Time Warner ausgegeben.
Auch heute noch, im Dezember, ist John Stankey zuversichtlich, dass die Aufsichtsbehörden die Fusion von Time Warner und Discovery durchwinken werden. Während einer Telefonkonferenz im Rahmen der jüngsten Quartalszahlen ließ der Chef von AT&T durchblicken, dass die Prüfungen absolut geregelt und ohne große Überraschungen verliefen. Auch Jeffrey Gifford sieht seine Mandanten größtenteils positiv gestimmt, trotz zunehmender Regulierung. Die Pandemie habe ihnen schließlich gezeigt, wie sie ungeahnte Risiken besser einschätzen und umschiffen können.