Bosch erwägt „Puffer-Vorräte“ für wichtige Chips
Heidi Rohde.
Herr Denner, wie stellt sich Bosch strategisch auf den Umbruch des Automobilsektors durch die Elektromobilität ein, falls der Verbrenner doch schneller beerdigt wird, als Sie für vertretbar halten?
Wir sind davon überzeugt, dass die Elektrifizierung des Fahrens zum nächsten Kapitel der Erfolgsgeschichte von Bosch wird. Kein anderes Unternehmen macht so vielseitig elektrisch mobil wie wir – vom E-Bike über Pkw und Lkw bis zur Baumaschine, vom Siliziumkarbid-Chip bis zur E-Achse. Dabei denken wir in technologischen Alternativen und investieren nicht nur in den Batterie-, sondern auch in den Brennstoffzellen-E-Antrieb. Zugleich setzen wir aber weiter auf Technologie-Offenheit und bieten für jeden Mobilitätsbedarf die passende Antriebslösung innerhalb der jeweiligen politischen Rahmenbedingungen. Das ist auch wichtig, weil wir bei der Ausrichtung der Mobilität auf Nachhaltigkeit die Balance aus ökologischen, ökonomischen und sozialen Interessen im Auge behalten müssen. Nur wenn klimaschonende Mobilität auch attraktiv und bezahlbar ist, werden die Menschen sie mittragen.
Bosch hat die Investitionen in die E-Mobilität zuletzt deutlich hochgefahren auf 700 Mill. Euro im Jahr, wird das noch mehr werden müssen?
Wir sind in Sachen E-Mobilität gut aufgestellt, weil wir früh und konsequent investiert haben – bis dato bereits 5 Mrd. Euro. Das zahlt sich jetzt aus. Unser Umsatz wird sich bis 2025 verfünffachen, auf rund 5 Mrd. Euro. Die Elektromobilität ist keine Wette auf die Zukunft mehr, wir wachsen hier stärker als der Markt.
Wird dennoch der Umsatzanteil des Automobilsektors mittelfristig sinken? Wenn ja, zugunsten welcher anderen Bereiche?
Im vergangenen Jahr trug unser Unternehmensbereich Mobility Solutions 59% zum Gesamtumsatz von Bosch bei. Unser Ziel bleibt es, eine noch ausgeglichenere Umsatzverteilung zwischen diesem und den anderen drei Unternehmensbereichen zu erreichen, indem die Konsumgütersparte, die Energie- und Gebäudetechnik und die Industrietechnik dynamisch weiter wachsen. Zuletzt hat unser Konsumgüterbereich im Coronakrisenjahr 2020 einen Rekordumsatz erzielt. Wir sind uns sicher, dass die breite Aufstellung und das gezielte Portfoliomanagement bei Bosch weiter Garant für eine gesunde Entwicklung unseres Unternehmens sein werden.
Von einer eigenen Batteriefertigung hat Bosch Abstand genommen, obwohl das doch eine ganz zentrale, wenn nicht DIE zentrale Komponente in E-Autos ist?
Die Elektromobilität etabliert sich mehr und mehr zum Kerngeschäft von Bosch. Beim elektrischen Fahren sind wir Innovationsführer und so breit aufgestellt wie kein zweites Unternehmen – vom E-Bike bis zum Truck. Für uns ist es wichtig, Batteriezellen technisch zu verstehen. Wir müssen sie aber nicht selbst produzieren. Entscheidend ist für uns die Systemkompetenz in der Elektromobilität, und die haben wir. Damit sind wir strategisch gut vorbereitet auf den Hochlauf der Elektromobilität.
Bei einer anderen zentralen Komponente, den Chips, gibt es Kritik von Großabnehmern wie Tesla. Wann wird sich die Lage bei Chips entschärfen? Was braucht es dazu (außer Zeit)?
Eine kurzfristige Verbesserung der aktuell angespannten Situation ist leider nicht zu erwarten, sondern unsere gesamte Industrie wird bis 2022 mit dieser anspruchsvollen Situation konfrontiert sein. Die entsprechenden Belastungen für unsere Kunden bedauern wir sehr. Wir stehen im kontinuierlichen engen Kontakt, um die Auswirkungen zu minimieren. Was wir künftig brauchen, sind resilientere Lieferketten in der Automobilbranche. Die Pandemie in unglücklicher Kombination mit Natur- und Brandkatastrophen hat uns hier Handlungsbedarf aufgezeigt. Zukünftig müssen die Lieferketten auch dann robust bleiben, wenn mehrere solcher Ausnahmeereignisse zusammenkommen. Wir müssen auch über Puffer-Vorräte für besonders wichtige Typen von Chips nachdenken, obwohl dies natürlich die Kosten erhöhen würde.
Ist Bosch seinerseits ebenso von Komponentenknappheit betroffen wie die Hersteller?
Bosch ist einer der wenigen Automobilzulieferer, die auch selbst Halbleiter produzieren. Dazu gehören insbesondere bestimmte Arten von integrierten Schaltungen, aber eben nicht alle Arten von Chips, die wir für Fahrzeugkomponenten benötigen. Mit unserer neuen Wafer-Fab in Dresden bauen wir derzeit die Eigenproduktion von Halbleitern weiter aus. Es ist aber technisch nicht möglich und wirtschaftlich nicht sinnvoll, alle für unsere Erzeugnisse benötigten Halbleiter selbst zu fertigen.
Die Konkurrenz aus Asien baut ihre Marktanteile im Automobilsektor aus, wie hält Bosch dagegen?
Konkurrenz belebt das Geschäft und sorgt für den Anreiz, immer besser zu werden. Zugleich müssen wir die Konkurrenz aus keinem Teil der Welt fürchten, weil Innovationen uns antreiben. Die Liste unserer Pionierleistungen in der Automobiltechnik wie der Schleuderschutz ESP und der Abstandstempomat ACC ist lang, und wir haben auch bei der neuesten Generation der Fahrerassistenz-Systeme bis hin zum automatisierten Fahren die Nase vorn. 2020 hat Bosch trotz Pandemie wieder insgesamt fast 6 Mrd. Euro für Forschung und Entwicklung aufgewendet. Wir sind Marktführer bei Elektromobilität für Pkw in China und belegen einen vorderen Platz im weltweiten Patentranking im Bereich automatisiertes Fahren. Allein 2020 haben wir in diesem Zukunftsfeld weltweit 1000 neue Patente angemeldet.
Sind Zukäufe notwendig oder auf der Agenda, um den Strukturwandel besser zu bewältigen? Wenn ja, in welchen Bereichen?
Bosch verfolgt kontinuierlich die Strategie, sich wettbewerbsgerecht aufzustellen, sich optimal im Markt zu positionieren und auf Veränderungen im Marktumfeld zu reagieren. Wo es sinnvoll ist, arbeitet Bosch mit starken Technologiepartnern zusammen. Wir schließen auch Zukäufe nicht aus, wenn sie uns strategisch voranbringen.
Bosch hat vor einiger Zeit Stellenstreichungen in einer Reihe von Werken angekündigt. War’s das oder droht noch mehr?
Wie andere Unternehmen der Automobilindustrie muss Bosch sich auf neue Anforderungen an klimaschonende Mobilität einstellen. In Europa forciert die Politik den Übergang von der Verbrennertechnik zur Elektromobilität. Wenn wir bei Bosch zehn Mitarbeiter im Bereich Dieseltechnik benötigen, sind es drei im Bereich Benzintechnik und nur einer in der Elektromobilität. Wir wollen mit so vielen Mitarbeitern wie möglich durch die Transformation kommen, aber die Anzahl der Beschäftigten in der Antriebssparte geht auch bei Bosch zurück. Mit Qualifizierungs- und Weiterbildungsmaßnahmen machen wir Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fit für neue Aufgaben in der Elektromobilität und auch im Bereich Software. Daneben bauen wir zum Beispiel mit der Brennstoffzelle Neugeschäft auf – und das funktioniert: In der mobilen Anwendung steigt die Mitarbeiterzahl weltweit allein in diesem Jahr von 600 auf nahezu 1100, für die stationäre Brennstoffzelle wird sie sich auf gut 500 verdoppeln. Mehr als 90% dieser Stellen können wir intern besetzen, vor allem mit Mitarbeitern aus unserer Antriebssparte. Ich meine aber: Eine Politik, die strenge technologische Vorgaben macht, ist auch in der Pflicht, sich um den Erhalt der Arbeitsplätze in unserer Industrie zu kümmern.
Das Interview führte