RECHT UND KAPITALMARKT

Brisante Themen für Hauptversammlungen

Aktionäre knöpfen sich Vergütungen vor - Interessenkonflikte in Aufsichtsräten dürften kritisch hinterfragt werden

Brisante Themen für Hauptversammlungen

Von Hans-Ulrich Wilsing *)Die anlaufende Hauptversammlungssaison wird vor allem von unternehmensspezifischen Sonderthemen geprägt sein. Zu denken ist nur an den jüngst verkündeten Strategiewechsel bei der Deutschen Bank, den beabsichtigten Zusammenschluss von Deutscher Börse und LSE oder die Bewältigung der Dieselthematik bei Volkswagen. Hinzu kommen einige allgemeine Themen und Trends sowie Governance-Fragen, die teils miteinander verzahnt sind. Konkret zu benennen sind hier die Themenfelder Vorstandsvergütung, Auswahl der Aufsichtsratsmitglieder, Dialog mit Investoren, Sonderprüfungen sowie die aufgekommene Forderung nach Mitwirkung der Aktionäre bei Unternehmenszusammenschlüssen.Hohe Aktualität hat – erstens – das Thema Vorstandsvergütung. Dies aus mehreren Gründen: Zum einen spielt es eine wichtige Rolle im Rahmen der europäischen Gesetzgebung. Dies namentlich, weil nach jahrelangen Vorarbeiten und Diskussionen nun die Änderungen der sogenannten Aktionärsrechte-Richtlinie auf der Zielgeraden sind. Darunter finden sich auch Vorgaben zu einer detaillierten Darstellung der Vergütungspolitik und einem verschärften Vergütungsvotum der Hauptversammlung in einem längstens vierjährigen Turnus (say on pay). Zum anderen, weil (vermeintliche) Vergütungsexzesse seit geraumer Zeit wieder die öffentliche Diskussion beherrschen. Mehr noch: Im angelaufenen Wahlkampf dienen sie zur Profilierung in einer die Bevölkerung spaltenden “Gerechtigkeitsdebatte”.Dies ist umso bemerkenswerter, als im Fokus eben dieser Debatte der für die deutsche Industrie nicht repräsentative – und wegen der Mitverantwortung der öffentlichen Hand überaus pikante – Sonderfall VW steht. All dies spricht dafür, dass Vorstandsvergütungen auch in den diesjährigen Hauptversammlungen thematisiert werden – sei es auch abseits der konkreten Tagesordnung.Zwar sind insbesondere angelsächsische Investoren bei der Vorstandsvergütung ganz andere Dimensionen gewöhnt. Auch haben sie – jedenfalls bei attraktiver Dividende – keine generellen Probleme mit hohen Organvergütungen. Doch dürfte die politische Forderung nach einer “Deckelung” der Managergehälter bei bestimmten Interessengruppen die Kritik an der absoluten Höhe vereinzelter Vorstandsbezüge befeuern. Dementsprechend sind auch kritische Fragen an die für Vergütungsfragen zuständigen Aufsichtsräte zu erwarten.Zweitens ist absehbar, dass bei Aufsichtsratswahlen die Qualifikation der Kandidaten, ihre Unabhängigkeit und mögliche Interessenkonflikte kritisch hinterfragt werden. Dies auch vor dem Hintergrund der jüngst beschlossenen Änderungen des Corporate Governance Kodex. Politischer SprengstoffBesonders brisant ist insoweit: Nach einer neuen Empfehlung der Kodex-Kommission sollen die Unternehmen künftig in ihren Geschäftsberichten angeben, welche konkreten Mitglieder auf Anteilseignerseite des Aufsichtsrats unabhängig sind. Eine solche Nennung von Ross und Reiter birgt nicht nur politischen Sprengstoff. Sie wird von den Unternehmen in vielen Fällen auch eine rechtliche Gratwanderung verlangen. Denn die Vorgaben des Kodex zur Unabhängigkeit sind bestenfalls als schwammig zu bezeichnen. Entfallen kann die Unabhängigkeit namentlich wegen verschiedenster persönlicher oder geschäftlicher Beziehungen des Aufsichtsratsmitglieds: zur Gesellschaft selbst, zu ihren Organen sowie zu einem etwaigen Kontrollaktionär. Dies allerdings nur, wenn dem Aufsichtsratsmitglied im Ergebnis ein schwerer und dauerhafter Interessenkonflikt droht. Und darüber wird sich naturgemäß oft streiten lassen. Damit einher geht das erhebliche Risiko von Fehleinschätzungen. Diese mögen im Einzelfall wiederum zu Berichtsfehlern führen. Schlimmstenfalls steht dann am Ende der Bestand von Entlastungs- und Wahlbeschlüssen in Frage.Zwar wird die neue Empfehlung für die meisten diesjährigen Geschäftsberichte noch keine Rolle spielen. Es liegt aber nahe, dass kritische Aktionäre auf den fahrenden Zug aufspringen und die unabhängigen Aufsichtsratsmitglieder in der Hauptversammlung benannt haben wollen. Ein Ansinnen, dem sich eine auf offene Kommunikation bedachte Verwaltung kaum verweigern kann.Drittens: Ebenfalls von der Kodex-Kommission aufgegriffen und vorangetrieben wurde das Thema “Investorendialog”. Im November 2016 stellte die Kommission hierzu eine Empfehlung in Aussicht, die auf eine weitreichende Einbindung des Aufsichtsratsvorsitzenden in die Unternehmenskommunikation zielte. Dies mit dem erklärten Ziel, eine “gelebte Praxis” vieler großer Unternehmen zu fördern und Rechtsunsicherheit zu beseitigen. Das anschließende öffentliche Konsultationsverfahren zeichnete ein widersprüchliches Bild: einerseits deutliche Fürsprache von institutionellen Investoren als den Nutznießern eines solchen Dialogs, andererseits massive Kritik vor allem aus der Rechtswissenschaft, aber auch von betroffenen Unternehmen. Kernpunkte: Unternehmenskommunikation sei Vorstandsache; auch sei die Kodex-Kommission nicht zur Beseitigung von Rechtsunsicherheit berufen; und schließlich verleite die Regelung zu einer Benachteiligung von Kleinanlegern bei der Informationsversorgung.Am Ende stand ein Kompromiss: Zwar wurde die Regelung nicht insgesamt verworfen. Sie wurde aber inhaltlich abgespeckt. Außerdem wurde sie als bloße Anregung formuliert, zu der sich die Unternehmen nicht öffentlich erklären müssen. Dennoch: Nach monatelanger Diskussion ist das Thema in den Köpfen fest verankert. Und mehr noch: Gerade durch die intensive öffentliche Diskussion sind die rechtlichen “Untiefen” eines Investorendialogs mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden deutlich geworden. Anlass und Gelegenheit für kritische Aktionäre, die aktuelle Unternehmenspraxis und deren rechtliches Fundament ins Visier zu nehmen. Vergebliche PrüfungenViertens: Die aktienrechtliche Sonderprüfung hat in den letzten Jahren ganz erheblich an Bedeutung gewonnen. Insbesondere zeigen sich Aktionäre zunehmend bereit, dieses Instrument zur Aufklärung haftungsträchtiger Sachverhalte einzusetzen. In den Hauptversammlungen fehlen zwar zumeist die notwendigen Mehrheiten. Nach erfolgloser Befassung der Hauptversammlung ist aber der Weg in ein gerichtliches Verfahren frei.Ein solches Verfahren erfordert einen langen Atem, rechtliches Know-how und nicht zuletzt tiefe Taschen. Für aktivistische Investoren mit einem strategischen Ziel und vollen Kassen sind diese Hürden jedoch durchaus überwindbar. Auch deutsche Anlegerschützer entdecken die Sonderprüfung zunehmend für sich – auch und in erster Linie zur Aufarbeitung großer “Unternehmensskandale”. Nachvollziehbar ist, dass derartige Anträge und Verfahren von der Öffentlichkeit überwiegend positiv gesehen werden – zumindest im Vorhinein. Immerhin zielen sie im Ergebnis auf Aufklärung und volle Transparenz.In der Rückschau fällt der Befund allerdings nüchterner aus: Denn tatsächlich fördern bislang die wenigsten Sonderprüfungen etwas zu Tage, aus dem sich Organhaftungsansprüche der Gesellschaft herleiten lassen. Auf den teils erheblichen Prüfungskosten und etwaigen Reputationsschäden des Unternehmens bleiben dann schlussendlich die Aktionäre sitzen. Neues SelbstverständnisNur auf den ersten Blick ein Sonderthema ist – fünftens – die jüngst von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) in einem offenen Brief eingeforderte Mitwirkung der Aktionäre der Linde AG beim Zusammenschluss mit dem US-Unternehmen Praxair. Konkret fordert die DSW, die Fusionspläne auf der Hauptversammlung am 10. Mai den Aktionären zur Zustimmung vorzulegen. Anderenfalls erwägt sie, eine entsprechende Ergänzung der Tagesordnung formell zu verlangen und bei Bedarf gerichtlich durchzusetzen.Vom unternehmerischen Sinn und Unsinn einer Einbeziehung der Hauptversammlung und ihrer rechtlichen Tragfähigkeit soll hier nicht die Rede sein. Doch zeigt sich an diesem Einzelfall: Das Selbstverständnis auch geringfügig beteiligter Aktionäre wandelt sich zusehends – weg von der Rolle des anonymen und passiven Kapitalgebers, hin zu einem kritischen und durchaus selbstbewussten Begleiter wichtiger unternehmerischer Entscheidungen.—-*) Dr. Hans-Ulrich Wilsing ist Partner von Linklaters in Düsseldorf.