Beihilfeverdacht

Brüssel darf Steuerdeals von Nike prüfen

Die EU-Kommission hat zu Recht ein förmliches Prüfverfahren gegen zwei Unternehmen der Nike-Gruppe eingeleitet. Eine von Nike eingereichte Klage gegen dieses Prüfverfahren wurde gestern vom Gericht der Europäischen Union abgewiesen.

Brüssel darf Steuerdeals von Nike prüfen

op/fed Luxemburg/Frankfurt

Die EU-Kommission hat zu Recht ein förmliches Prüfverfahren gegen zwei Unternehmen der Nike-Gruppe, nämlich Nike European Operations Netherlands BV und Converse Netherlands BV, eingeleitet. In dem EU-Verfahren soll festgestellt werden, ob Steuerdeals zwischen niederländischen Finanzämtern und den genannten Unternehmen – im Beamtendeutsch sogenannte Steuervorbescheide („tax rulings“) – gegen EU-Beihilfevorschriften verstoßen. Eine von Nike eingereichte Klage gegen dieses Prüfverfahren wurde gestern vom Gericht der Europäischen Union abgewiesen. Das EU-Gericht ist die vor allem für Wirtschaftssachen zuständige Erstinstanz des Europäischen Gerichtshofs.

Die niederländischen Steuerbehörden haben über mehrere Jahre eine Methode gebilligt, mit der die Unternehmen die Lizenzgebühren berechnet haben, die sich Gesellschaften der Nike-Gruppe in Rechnung stellten. Damit wurden die steuerpflichtigen Einkünfte in den Niederlanden vermindert – und dadurch die Steuerbelastung gesenkt.

Nach vorläufigen Ermittlungen der EU-Kommission waren die Lizenzgebühren innerhalb der Nike-Unternehmen höher als Gebühren, die zwischen unabhängigen Unternehmen vereinbart worden wären. In anderen Worten: Durch diese – aus Sicht der EU-Kommission marktunübliche – Verrechnung wurden Einnahmen innerhalb der Nike-Gruppe über nationale Grenzen hinweg verschoben und die Steuerlast in den Niederlanden reduziert. Im Januar 2019 leitete die EU-Kommission eine förmliche Untersuchung ein, um zu ermitteln, ob durch die gebilligten Lizenzgebühren und die daraus resultierende geringere Steuerbelastung für die beiden niederländischen Unternehmen ein wettbewerbswi­driger Vorteil entstand, der gegen die EU-Beihilfevorschriften verstößt.

Diesen Beschluss wollten die beiden Tochtergesellschaften des Nike-Konzerns vom EU-Gericht für nichtig erklären lassen. Ihr Argument lautete, dass die Entscheidung zur Einleitung eines Verfahrens nicht ausreichend begründet sei und Beurteilungs- und Verfahrensfehler enthalte. Die Richter in Luxemburg ließen sich davon jedoch nicht überzeugen. In seinem Urteil bescheinigt das Gericht der EU-Kommission, sie habe ihre vorläufige Beurteilung sorgfältig und unparteiisch vorgenommen und keine Rechtsgrundsätze verletzt. Das Urteil lässt keinen Schluss darauf zu, ob die EU-Beihilfevorschriften verletzt wurden. Es ist aber eine Ermutigung für die EU-Kommission, dem Verdacht des selektiven Vorteils weiter nachzugehen.

Ein Jahr nach Apple

In der Generaldirektion Wettbewerb und bei der zuständigen EU-Kommissarin Margrethe Vestager dürfte das Urteil für Erleichterung sorgen. Denn die Brüsseler Wettbewerbshüter haben in Bezug auf ihre „Tax rulings“-Fälle in den vergangenen zwei Jahren mehrere Niederlagen vor Gericht einstecken müssen. Die bitterste Schlappe liegt auf den Tag ein Jahr zurück. Am 15. Juli 2020 annullierte das EU-Gericht eine von der EU-Kommission angeordnete Nachzahlung Apples in Höhe von 13 Mrd. Euro plus Zinsen an die irischen Finanzämter.

Auch in den Fällen Amazon/Luxemburg und Starbucks/Niederlande monierten die Richter, die EU-Kommission habe den beteiligten Konzernen nicht gerichtsfest nachgewiesen, dass sie durch die Steuervorbescheide selektiv bevorzugt wurden. Lediglich in den Fällen Engie und Fiat konnten die Wettbewerbshüter Teilsiege erzielen.

Mittlerweile ist im internationalen Steuerrecht viel in Bewegung gekommen. Als der frühere EU-Kommissar Joaquín Almunia die ersten Verfahren wegen der „tax rulings“ initiierte und seine Nachfolgerin Vestager diese Verfahren fortsetzte, schien der Weg über das Beihilferecht der einzige Weg, um multinationalen Konzernen, die man der aggressiven Steuervermeidung verdächtigte, nachzusetzen. Das hat sich insofern verändert, als in Europa die Pflicht zur öffentlichen länderspezifischen Berichterstattung eingeführt wird. Wenn Konzerne künftig melden müssen, in welchem Land sie welche Umsätze erzielen und welche Steuern zahlen, werden einige der praktizierten Steuergestaltungen erheblich schwieriger. Zudem wird es nicht mehr möglich sein, Steuersätze in den Promillebereich zu drücken, wenn die Industrieländer der Welt, wie jüngst vereinbart, eine globale Mindeststeuer einführen.