WACHSTUM IN ZEITEN DER DISRUPTION

China versucht den Weltmarkt für Stahl aufzurollen

Handelskrieg und schärfere Umweltregeln setzen Branche global zu

China versucht den Weltmarkt für Stahl aufzurollen

Von Christoph Ruhkamp, DüsseldorfNoch ist nicht sicher abschätzbar, welchen wirtschaftspolitischen Kurs der künftige US-Präsident Donald Trump verfolgen wird. “Protektionismus ist auf jeden Fall der falsche Weg”, sagt Hans Jürgen Kerkhoff, Präsident des deutschen Branchenverbands Wirtschaftsvereinigung Stahl. Die Stahlindustrie sei besonders an transparenten Regeln im internationalen Handelsverkehr interessiert. Sonst würden weitere Verschiebungen der weltweiten Handelsströme drohen. Gleichzeitig nimmt auch in China der Protektionismus zu. In diesem Jahr seien “mehr und mehr” Beschwerden deutscher Unternehmen darüber bei ihm eingegangen, sagt der deutsche Botschafter in China, Michael Clauss. Auch Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hatte jüngst bei einem Besuch in Peking unfaire Handelspraktiken des Landes kritisiert, etwa Dumpingpreise bei Stahl und Benachteiligungen deutscher Firmen. Der Protektionismus lebtChinas Überkapazitäten in der Stahlproduktion sind gigantisch. Sie betragen fast 400 Mill. Tonnen – mehr als das Doppelte der gesamten europäischen Produktion. Chinas Stahlhersteller könnten die europäischen Produzenten auf einen Schlag überflüssig machen, gäbe es keine Handelsschranken. “Gegen staatlich geschützte Konkurrenz können die Stahlerzeuger hierzulande auf Dauer nicht bestehen”, warnt Stahlpräsident Kerkhoff. Die Warnungen vor Protektionismus auf allen Seiten erscheinen indes seltsam veraltet: Die Abschottung der Märkte hat längst begonnen. Unter die neuesten Antidumpingzölle der EU von bis zu 81 % fallen etwa nahtlose Stahlrohre, die in Kraftwerken und beim Bau verwendet werden. Und die USA haben bis zu 266 % Zoll auf chinesischen Stahl erhoben.Die Strafzölle haben die Aktienkurse der europäischen Stahlhersteller beflügelt. Denn sie konnten – auch wegen der steigenden Rohstoffpreise – ihre Preise anheben. Der Börsenwert des weltweit größten Stahlkonzerns ArcelorMittal hat sich binnen neun Monaten verdoppelt auf 12,5 Mrd. Euro. Die Marktkapitalisierung von Thyssenkrupp ist im selben Zeitraum um die Hälfte geklettert. Strafzölle als SchutzwallUrsächlich dafür sind die Strafzölle. Schließlich hat sich seit dem Beginn des Anstiegs der Stahlpreise im Frühling 2016 nur geringfügig etwas an den globalen Überkapazitäten geändert, für die – hauptsächlich, aber nicht allein – China mit 400 Mill. Tonnen verantwortlich ist. Auch die Nachfrage nach Stahl hat sich in Europa nur leicht ausgeweitet und liegt noch immer um rund ein Viertel unter dem Niveau vor zehn Jahren. Die Rohstahlerzeugung in Deutschland ist 2016 gegenüber dem Vorjahreswert um 2 % gesunken. Die Kapazitätsauslastung war mit 85 % weiter im Bereich der Normalauslastung.Ein Ausweg aus der Misere könnte eine Konsolidierung und der Abbau von Überkapazitäten innerhalb Europas sein. Erste Ansätze dazu gibt es. Der weltgrößte Stahlhersteller ArcelorMittal will zusammen mit dem italienischen Familienunternehmen Marcegaglia Europas größtes Stahlwerk Ilva in Süditalien übernehmen, das seit einem Umweltskandal in der Krise steckt. Gleichzeitig kommt Thyssenkrupp mit den Vorbereitungen einer Fusion der Stahlsparte mit dem Europageschäft des indischen Konkurrenten Tata Steel voran. Beide Deals würden die Möglichkeiten für eine Reduzierung der Produktionskapazitäten erweitern.Keine schnelle Lösung zeichnet sich dagegen im globalen Handelskrieg ab. China ruft im Streit über die verschärfte Antidumpingpolitik der EU und der USA die Welthandelsorganisation WTO an. Die Pekinger Regierung wirft Europa und den Vereinigten Staaten vor, China entgegen früheren Abmachungen noch nicht wie vereinbart als Marktwirtschaft anerkannt zu haben. Konkret geht es um die Bezugsgrößen für die Definition von Dumpingpreisen beim Stahl. Bisher genügt es für die Verhängung von Strafzöllen, wenn die EU ein drittes Vergleichsland heranzieht. Bekäme China den Marktwirtschaftsstatus zuerkannt, erforderte die Beweisführung größeren Aufwand. Strafzölle könnten seltener verhängt werden.Mitte Dezember hat sich deshalb die EU auf ein neues Handelsschutzinstrumentarium geeinigt. Nachdem die Modernisierung lange durch den Widerstand einiger Mitglieder blockiert worden war, einigte man sich im Europäischen Rat. Zentral für den Kompromiss ist die Aussetzung der “Lesser Duty Rule”, wenn im beklagten Land signifikante Marktstörungen im Rohstoff- und Energiebereich bestehen. Die Regel führt häufig dazu, dass Schutzzölle in der EU niedriger sind als in anderen Ländern – für bestimmte Stahlsorten etwa 21 % statt 266 % wie in den USA – und das eigentlich festgestellte Dumping nicht ausgleichen. Zudem sieht der Vorschlag vor, Verfahrenszeiten zu verkürzen und der EU so die Möglichkeit für eigenständige Untersuchungen zu geben. Teures EU-EmissionsregimeAus dem Schneider ist die Stahlindustrie damit aber nicht. Gut 1 Mrd. Euro zusätzliche jährliche Kosten für die Stahlindustrie und der Verlust von 380 000 Arbeitsplätzen in der gesamten Wirtschaft drohen laut einer Prognos-Studie allein in Deutschland, wenn die von der europäischen Politik diskutierten Verschärfungen des Emissionsrechtehandels ab 2021 Wirklichkeit werden.”Mit einem Emissionsrechtehandel, der die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Stahlindustrie untergräbt, werden Arbeitsplätze vernichtet und der Umwelt kein Gefallen getan. Die Politik sollte keine Hürden aufbauen in Form von nicht erreichbaren Anforderungen. Das nützt allein außereuropäischen Herstellern mit einer wesentlich schlechteren CO2-Bilanz”, behauptet Stahl-Präsident Kerkhoff. Europaweit gehe es um 320 000 Stahl-Arbeitsplätze und weitere 1,5 Millionen Stellen in Zuliefererbranchen.