Das deutsche Handelsgesetzbuch hat treue Fans
Das deutsche Bilanzierungsrecht hat treue Fans
Standardsetzer DRSC unterstützt bedingtes Wahlrecht für internationale Rechnungslegung im Einzelabschluss − Genossenschaftsbanken halten an HGB fest
Von Sabine Wadewitz, Frankfurt
Die internationalen Rechnungslegungsstandards nach IFRS sind seit 20 Jahren maßgeblich für Kapitalgesellschaften in der EU. Der deutsche Gesetzgeber hat bislang am deutschen Handelsgesetzbuch HGB für den Einzelabschluss festgehalten. Mit den Bestrebungen zur Vereinfachung regulatorischer Anforderungen könnte dies für börsennotierte Emittenten in ein IFRS-Wahlrecht umgewandelt werden. Die Diskussion über die Voraussetzungen läuft.
Seit 20 Jahren ist die internationale Rechnungslegung nach International Financial Reporting Standards (IFRS) verpflichtend für kapitalmarktorientierte europäische Konzerne. Ziel der Vereinheitlichung mit internationalem Anstrich war es, über gemeinsame Standards die Integration der europäischen Finanzmärkte voranzubringen und die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Emittenten in zunehmend globalisiertem Investorenkreis zu stärken.
Die EU-Verordnung zur Übernahme internationaler Bilanzstandards in den Mitgliedsstaaten sah damals ein Wahlrecht vor, IFRS im Konzernabschluss auch für Unternehmen außerhalb des Kapitalmarkts zu gestatten. Diese Option wurde auch für den Einzelabschluss gewährt. Diese Möglichkeit haben die EU-Staaten allerdings in unterschiedlicher Weise wahrgenommen. Italien zum Beispiel ebnete diesen Weg.
Knackpunkt Ausschüttung
Deutschland zeigte bislang weniger Flexibilität, erlaubte zwar allen Unternehmen eine freiwillige IFRS-Anwendung im Konzernabschluss, hielt für den AG-Einzelabschluss aber am traditionellen Rechenwerk nach dem Handelsgesetzbuch (HGB) fest. Der hiesige Gesetzgeber gestand durchaus zu, dass ein IFRS-Abschluss dem Anleger mehr Informationen liefert. Das Rechenwerk sei aber für die Bemessung der Ausschüttung und als Grundlage für die Besteuerung nicht geeignet.
Begründet wurde das Festhalten am Status quo damit, dass im IFRS-Regelwerk der Fair-Value-Gedanke stark verankert sei, so dass nicht realisierte Gewinne, die auf bloßen Marktwertveränderungen basieren, erfolgswirksam erfasst würden. Man halte es nicht für sinnvoll, diese an die Anteilseigner auszuschütten. Gegen die Nutzung dieser Kennzahlen für die Besteuerung spreche auch, dass mit dem IASB ein privates Gremium für die Weiterentwicklung der internationalen Rechnungslegung zuständig ist, der nationale Gesetzgeber aber die Steuergesetzgebung in eigener Regie behalten will.
Unbeliebte Doppelbelastung
Die duale Bilanzierung nach IFRS im Konzern- und HGB im Einzelabschluss und die damit einhergehende Doppelbelastung wird seit Inkrafttreten lebhaft diskutiert. Das deutsche Bilanzierungsgremium Deutsches Rechnungslegungs Standards Committee (DRSC) hat sich in der anhaltenden Debatte über zunehmende regulatorische Anforderungen zur Aufgabe gemacht, nach 20 Jahren IFRS-Anwendung ein Resümee zu ziehen. Damit sieht sich das Gremium als Teil der Initiativen auf deutscher und europäischer Ebene, Berichterstattungspflichten zu erleichtern oder zu vereinfachen.

Um sich ein Meinungsbild zu verschaffen, hat das DRSC 2023 eine Evaluierung angestoßen und Unternehmen, Banken und Versicherer umfassend befragt. Die Resonanz war groß, kamen doch mehr als 800 vollständige Rückmeldungen aus Gesellschaften aller Größenklassen.
IFRS-Bilanzierer erhoffen sich Befreiung
Die Antworten stehen für − teils überraschende – Kernbotschaften. Wenig erstaunlich ist, dass kapitalmarktorientierte Unternehmen beklagen, aus der parallelen Buchhaltung für HGB-Jahresabschluss und IFRS-Konzernabschluss ergebe sich ein spürbarer Mehraufwand. Aus diesem Kreis kommt entsprechend der Wunsch, über Vorlage eines IFRS-Einzelabschlusses vom HGB-Rechenwerk befreit zu werden. Zwei Drittel der befragten IFRS-Bilanzierer befürworten ein Wahlrecht für diese Option.
Furcht vor faktischem Zwang
Anders ist das Bild bei den nicht kapitalmarktorientierten Unternehmen, die nach HGB bilanzieren. Sie wollen an der für sie bewährten Methode festhalten und äußern kaum Interesse an einer freiwilligen Anwendung von IFRS – weder im Einzel-, noch im Konzernabschluss.
Auf den ersten Blick erstaunlich ist es, dass die überwiegende Anzahl der HGB-Bilanzierer auch ein Wahlrecht für IFRS im Einzelabschluss ablehnt. Hinter der Abwehr steckt die Befürchtung, dass diese Freiheit einen faktischen Zwang zu internationaler Bilanzierung auslösen würde. Befürwortet wird in dem Kreis jedoch ein bedingtes Wahlrecht, also eine Option nur für Unternehmen, die sowieso einen IFRS-Konzernabschluss erstellen oder in einen solchen Konzernabschluss eines übergeordneten Mutterunternehmens einbezogen werden. Es soll also kein Unternehmen in IFRS gezwungen werden, was aber kein Grund sei, dauerhaft ein Nebeneinander von IFRS und HGB zu akzeptieren.
Vereinfachung gewünscht
Aus Sicht des deutschen Standardsetzers DRSC bestätigt die Analyse die zunehmende Kritik von Unternehmen an einer überbordenden Bürokratie. „Die Befragungsergebnisse zeigen einmal mehr den Wunsch zu Vereinfachungen in der Rechnungslegung. Wir werden weiter untersuchen, inwieweit ein IFRS-Wahlrecht im Einzelabschluss hierzu einen Beitrag leisten kann“, verspricht DRSC-Vizepräsident Sven Morich.
Die Gremien des DRSC haben sich Morich zufolge auf Basis der Befragung „für ein bedingtes Wahlrecht für einen beschränkten Anwendungskreis von Unternehmen ausgesprochen“. Um dieses Modell in der Praxis abzuklopfen, will das DRSC kurzfristig Fallstudien mit Unternehmen durchführen, um danach Vorschläge für eine Bilanzrechtsreform zu entwickeln.
Die Befragungsergebnisse zeigen einmal mehr den Wunsch zu Vereinfachungen in der Rechnungslegung.
DRSC-Vizepräsident Sven Morich
In einer Veranstaltung von DRSC, dem Bundesverband deutscher Banken und dem Industrieverband BDI haben Vertreter aus der Wirtschaft ihre Positionen zur Frage der Ausweitung internationaler Rechnungslegung auf den Einzelabschluss dargelegt. Marco Ebel, Head of Accounting & Controlling Policies in der Grundsatzabteilung von Siemens, zeigte sich offen für ein Wahlrecht für IFRS im Einzelabschluss. Internationale Bilanzierung spiele für den Konzern die entscheidende Rolle, „bei uns tickt die Bilanzierung primär nach IFRS“.
Der Rechnungslegungsexperte machte klar, dass bei Siemens auch die interne Unternehmenssteuerung und Performancemessung der Einheiten über IFRS laufen. Daraus leite der Konzern die für den Einzelabschluss notwendigen Regelungen des HGB ab.
Denken und lenken in IFRS
Ähnlich tief verankert ist die internationale Bilanzierung bei der Deutschen Bank. „Unsere Bank denkt und lenkt in IFRS“, sagte Chief Accounting Officer Andrea Schriber. Aus dem IFRS-Zahlenwerk erstelle der Konzern eine Überleitung auf HGB für die Tochtergesellschaften, die danach ihren Abschluss vorlegen müssen. Ein bedingtes Wahlrecht für IFRS im Einzelabschluss hält Schriber für „ideal“. Sie zeigte Verständnis für die Zurückhaltung bestimmter Firmen vor einem uneingeschränkten Wahlrecht. IFRS sei ja nicht für kleine Gesellschaften entwickelt worden, sondern für international agierende Unternehmen mit Kapitalmarktbezug.
Unsere Bank denkt und lenkt in IFRS.
Andrea Schriber, Deutsche Bank
Eine andere Sichtweise vertrat Stephan Rohleder als Verantwortlicher für die Grundsatzabteilung von Zalando. Zwar buche der Online-Händler auch grundsätzlich „alles“ nach IFRS, und dieses Rechenwerk sei auch Grundlage für die interne Steuerung des Konzerns. Rohleder weist darauf hin, dass Zalando mit dem Zahlungsdienstleister auch eine regulierte Gesellschaft im Konzernportfolio habe. Zudem gebe es die Besonderheit, dass aus der in Berlin ansässigen Muttergesellschaft Zalando SE heraus fast das gesamte Zalando-Geschäft laufe.
Rohleder gab zu bedenken, dass der Aufwand für sein Haus signifikant steigen würde, wenn IFRS auch im Einzelabschluss anzuwenden wäre. Der Umfang des IFRS-Anhang im Einzelabschluss würde sich nach seinen Worten verdoppeln. Fraglich wäre für ihn zudem, welchem Stakeholder dies nützen würde, denn das allgemeine Interesse am handelsrechtlichen Einzelabschluss sei „null“.
Volksbanken in HGB-Welt
Eine Lanze für die HGB-Welt brach Stefanie Morfeld-Wahle vom Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR). Die knapp 700 Genossenschaftsbanken in Deutschland bilanzierten „ohne Ausnahme“ nach HGB. „Volks- und Raiffeisenbanken sind regional tätig und nehmen den Kapitalmarkt nicht in Anspruch“, unterstrich Morfeld-Wahle. Auch die Genossenschaftsmitglieder und die Kunden der Banken hätten wenig Berührungspunkte mit IFRS.
Das ganze Ökosystem der genossenschaftlichen Bank sei sehr vertraut mit dem deutschen Handelsgesetzbuch. Aus Sicht der Genossenschaftsbanken würde IFRS für den Kreis somit zu einer Verschlechterung der Informationsfunktion des Jahresabschlusses führen, meinte Morfeld-Wahle. Für Volks- und Raiffeisenbanken komme „ausschließlich“ eine HGB-Bilanzierung in Frage, eine IFRS-Bilanzierung „ginge an der Sache vorbei, zumal auch eine internationale Vergleichbarkeit nicht relevant sei“, resümierte sie.
Morfeld-Wahle sprach sich gegen ein freies Wahlrecht für IFRS im Einzelabschluss aus. Die Aufsicht der Banken in Deutschland und Europa arbeite mit verschiedenen Rechnungslegungsregimes. Deshalb gebe es bei den Genossenschaften die Sorge, „dass ein freies Wahlrecht die Freiheit letztendlich einschränken würde“.