Übernahmevehikel

Das Ende des Spac-Booms an der Wall Street

Firmenmäntel ohne operatives Geschäft waren noch zum Jahresauftakt der heißeste Trend an den US-Börsen. Mittlerweile befinden sich die Aktienkurse von Firmen, die durch die Fusion mit einem Spac an die Börse gingen, auf Talfahrt. Die wachsende Sorge vor schärferer Regulierung ist nicht der einzige Grund.

Das Ende des Spac-Booms an der Wall Street

Von Norbert Kuls, New York

An der Wall Street entweicht gerade etwas Luft aus einer spekulativen Blase. Es geht um Spacs, Unternehmenshüllen ohne operatives Geschäft und bis vor kurzem einer der heißesten Trends an den amerikanischen Börsen. Nach einer Rekord­jagd zum Jahresauftakt ist die Zahl der Spac-Emissionen im zweiten Quartal drastisch gefallen.

Außerdem sind die Kurse von Firmen, die durch Fusion mit einer Special Purpose Acquisition Company an die Börse gegangen waren, seit Mitte Februar insgesamt deutlich zurückgegangen. Für legendäre Investoren wie den 97 Jahre alten Charlie Munger ist das keine Überraschung. Der Kompagnon von Warren Buffett und Vize von dessen Anlagegesellschaft Berkshire Hathaway hielt den Boom der Spacs schon vor ein paar Monaten für ein Zeichen eines überbewerteten Marktes.

„Verrückte Spekulationen auf Unternehmen, die noch nicht einmal gefunden oder ausgewählt wurden, sind Zeichen einer irritierenden Blase“, sagte Munger im Februar. Dann folgte noch ein Seitenhieb auf den Berufsstand der Investmentbanker, die eben so lange „Sch…“ verkauften, wie es irgend gehe.

Spacs, auch als Blankoscheck-Firmen bekannt, nehmen mit einem Börsengang Eigenkapital auf, um innerhalb einer Frist von meist zwei Jahren mit einem bislang nicht börsennotierten Unternehmen zu fusionieren. Diese Firma erhält auf diese Weise eine Börsennotierung. Es handelt sich um einen – vergleichsweise schnelleren – Börsengang durch die Hintertür.

Für Investmentbanken an der Wall Street war das in der Tat ein lukratives Geschäft, an dem auch die Deutsche Bank in der Spitzengruppe mitmischt. Auf den Ranglisten der Wall Street rangiert das Institut auf Platz 7 noch vor US-Riesen wie der Bank of America und J.P. Morgan.

Investmentbanken profitieren

Investmentbanken profitierten nicht allein von den Geschäften mit Spacs. In einer im April veröffentlichten Studie des European Corporate Governance Institute mit dem Titel „A Sober Look at Spacs“ („Ein nüchterner Blick auf Spacs“) kommen die Professoren Michael Klausner von der Universität Stanford und Michael Ohlrogge von der New York University zu dem Schluss, dass sich die Emissionen auch für die Gründer (Sponsoren) der Spacs lohnen, die für einen Nominalpreis ein Fünftel des Spac-Kapitals erwerben. Dazu profitierten Hedgefonds und andere institutionelle Anleger, die die Anteile eine Weile hielten, sie aber vor einer Fusion wieder verkauften oder zum Nominalpreis von 10 Dollar wieder zurückgäben.

„Spac-Mafia“-Hedgefonds

Die an der Wall Street als „Spac-Mafia“ bekannten Fonds bekommen bei Rückgabe die für die Haltezeit garantierten Zinsen und behalten auch die bei der Emission ausgegebenen Optionen (Warrants), die das Recht auf den Kauf weiterer Anteile verbriefen. Bei den Spac-Deals, die die Autoren der Studie untersucht haben, kamen Investoren, die ihre Aktien eingelöst haben, vor allem wegen des Werts der Optionen auf eine jährliche Rendite von 11,6% – ein hohes Resultat für ein Investment ohne Risiko.

Bei den meisten Spacs würden mehr als zwei Drittel des IPO-Volumens wieder zurückgegeben. Kommt es zu einer Fusion, wird das neue Eigenkapital von anderen Investoren aufgebracht.

Anleger, die dagegen auf steigende Kurse des mit dem Firmenmantel fusionierten Unternehmens setzen, werden in der Regel enttäuscht. Der „umständliche zweijährige Prozess“ vom Börsengang bis zur Fusion verursache „erhebliche Kosten, falsch ausgerichtete Anreize und im Großen und Ganzen Verluste für Investoren, die zum Zeitpunkt von Spac-Fusionen Aktien besitzen“, resümieren Klausner und Ohlrogge. Im Jahr nach der jeweiligen Fusion hatten die von den Autoren untersuchten Spac-Deals der Jahre 2019 und 2020 in der Regel mindestens ein Drittel oder mehr ihres Wertes eingebüßt.

Geschichte wiederholt sich

Die Geschichte scheint sich in diesem Jahr zu wiederholen. Der Kurs eines im vergangenen Herbst an der New Yorker Börse lancierten börsennotierten Spac-Indexfonds, des Nextgen Spac Derived ETF, hat sich gegenüber seinem Höchststand von Mitte Februar um ein Drittel ermäßigt. Der Fonds besteht zu vier Fünfteln aus Gesellschaften, die bereits eine Fusion vollzogen haben, darunter Virgin Galactic, das vom britischen Unternehmer Richard Branson gegründete private Raumfahrtunternehmen. Der Rest des Fonds besteht aus Hüllen, die noch nach einem Übernahmeziel suchen.

Auch die Zahl und das Emissionsvolumen der Spacs hat deutlich nachgelassen. Im April und Mai dieses Jahres debütierten bislang nur 17 neue Spacs an der Börse. Im ersten Quartal waren es nach Angaben der Analysegesellschaft Renaissance Capital noch 298 Firmenmäntel.

Der Wert der emittierten Anteile lag bei 87 Mrd. Dollar. Beide Zahlen übertrafen das Rekordergebnis des gesamten Vorjahres.

Die SEC greift ein

Ein Grund für die jüngste Zurückhaltung der Emittenten dürfte das wachsende Interesse der Börsenaufsicht SEC an den Vorgängen im Spac-Markt sein. Für große Verunsicherung sorgten im April Überlegungen der SEC, die Bilanzierung der Spac-Optionen zu ändern, was zu einer langwierigen Anpassung früherer Finanzberichte führen könnte. Analysten der Gesellschaft Spac Research vermuten außerdem, dass es der SEC möglicherweise nicht allein um Bilanzierungsfragen geht, sondern um die Frage einer generell schärferen Regulierung von Spacs.

„Man kann sich fragen: Warum jetzt? Es ist nicht so, dass sich in den vergangenen Monaten etwas an der Kapitalstruktur der Spacs geändert hätte“, hieß es in einem Newsletter von Spac Research.

Die SEC prüft auch, ob Spacs bei einer Fusion im Gegensatz zu einem traditionellen Börsengang weiter Gewinnprognosen veröffentlichen dürfen, ohne dafür haftbar gemacht werden zu können. Kritiker halten die Vorhersagen häufig für zu optimistisch.

Spacs, die lange mit Finanzbetrug assoziiert wurden und denen noch vor Jahren ein entsprechendes Schmuddelimage anhing, fielen zuletzt nicht nur durch die Beteiligung prominenter Unternehmer wie Branson auf. Eine zunehmende Zahl bekannter Sportler und Musiker traten als Berater und Investoren oder als Sponsor ihres eigenen Spac auf.

So warb Evolv Technology, ein Anbieter von berührungslosen Sicherheitskontrollen für Sportstadien, der gerade mit dem Spac Newhold fusioniert, mit dem Tennis- und Investorenpaar Steffi Graf und Andre Agassi. Auch Musiker wie Sammy Hagar und Jay-Z schwimmen auf der Spac-Welle.

Privatanleger gewarnt

Die SEC sah sich im März genötigt, Privatanleger zu warnen, nicht einfach wegen bekannter Namen in Spacs zu investieren. „Prominente können wie jeder andere auch dazu verleitet werden, sich an einer risikoreichen Anlage zu beteiligen, oder sie sind möglicherweise besser in der Lage, das Verlustrisiko zu tragen“, mahnte die Behörde im März. Nur zwei Monate später lässt sich dieses Risiko an den fallenden Kursen messen.