Das schwierige Geschäft mit Lebensmittellieferungen
Im Gespräch: Christoph Krauss
Das schwierige
Geschäft mit
Lebensmittellieferungen
Unternehmensberater sieht gute Chancen für Flink – Andere Experten skeptisch – Wie der Turbodienst die Wende schaffen kann
Von Helmut Kipp, Frankfurt
Nach dem Rückzug von Getir und Gorillas ist Flink der letzte verbliebene Quick-Commerce-Anbieter in Deutschland. Das sollte helfen, die bisher hohen Verluste einzudämmen. Nach Darstellung des Unternehmensberaters Christoph Krauss schraubt Flink bereits an Preisen und Lieferfristen, um das Geschäft auf Profitabilität zu switchen. „Es ist von höheren Produktpreisen, angepassten Mindestbestellwerten und differenzierten Lieferkosten auszugehen“, sagt der Senior Director der Managementberatung Prof. Roll & Pastuch im Gespräch mit der Börsen-Zeitung.
Bewertungen kollabiert
Dass Flink nun im Quick Commerce, also der superschnellen Auslieferung von Supermarktartikeln wie Lebensmitteln, ein Monopol in Deutschland hat, muss nicht allzu viel bedeuten. Wettbewerber gibt es nach wie vor genug, etwa Lieferdienste mit längeren Lieferfenstern, Essensbringdienste wie Lieferando und Wolt, Kochboxenversender wie Hellofresh und insbesondere größere Teile des stationären Handels, allen voran Discounter und Supermarktketten. Der Konkurrenzdruck bleibt hoch, auch weil das Wachstum nach dem Bestellboom während der Corona-Pandemie abgeflaut ist. Zuletzt hat der Online-Anteil am gesamten Einzelhandelsumsatz mit Lebensmitteln in Deutschland bei 2,4% stagniert.
Die an Kunden im Expresstempo ausgelieferten Warenkörbe sind in aller Regel viel zu klein, um die hohen Kosten für Rider und zentral gelegene Warenlager zu decken. Reihenweise mussten Bringdienste aufgeben oder wurden übernommen. Entsprechend schwer fällt es, neue Finanzierungen an Land zu ziehen. Die einst astronomisch hohen Bewertungen sind kollabiert.
Getir vor Aufspaltung
Unter Investoren gilt Quick Commerce praktisch als tot. Mitunter bleibt aber kaum anderes übrig, als Geld nachzuschießen, um das zuvor investierte Kapital nicht zu gefährden. So soll Getir, die vor gut zwei Jahren eine sagenhafte Bewertung von 11,8 Mrd. Dollar erreichte, eine weitere Finanzspritze von 250 Mill. Dollar erhalten, angeführt vom Kerninvestor Mubadala, dem Staatsfonds aus Abu Dhabi, der auch bei Flink an Bord ist. Getir steht laut einem Bericht der „Financial Times“ vor einer Aufspaltung in zwei Gesellschaften, eine für das Zustellgeschäft im Heimatmarkt Türkei und eine für die anderen Vermögenswerte, darunter der Taxidienst.
Hört man sich unter Beratern um, sind unterschiedliche Einschätzungen zur Zukunftsfähigkeit von Quick Commerce zu hören. Krauss ist zuversichtlich, dass das Geschäftsmodell funktioniert: „Die Nachfrage ist da, auch nach Corona. Das zeigt die wachsende Marktdurchdringung im Ausland. In Ballungszentren hat sich Quick Commerce etabliert.“ Flink habe grundsätzlich beste Chancen, am Geschäftsmodell zu arbeiten und verschiedene Parameter zu optimieren. Die Zeiten von Zehn-Minuten-Lieferungen seien aber vorbei – zu hoch die Kosten und zu kleinteilig das Geschäft.
Konzentration auf Schnelldreher
Einzelhandelsexperte Ronny Gottschlich, der lange für Lidl arbeitete, ist hingegen skeptisch. Er glaubt, dass Flink weniger als ein Jahr weiterbestehen wird. Keiner der Investoren habe noch Lust auf Quick Commerce. „Mit dem alleinstehenden Angebot des Quick Commerce kann man in Deutschland kein Geld verdienen“, gibt Gottschlich im Interview der „Wirtschaftswoche“ zu bedenken. „Deutschland ist ein Discount-Land. Die Deutschen sind nicht bereit, für einen Extra-Service wie eine schnelle Lieferung mehr Geld zu bezahlen.“
Die Ende 2020 gegründete Flink hat nach der jüngsten Finanzspritze fürs Erste wieder mehr Luft. Der Geschäftsbetrieb kann weiterlaufen. Dennoch bleibt der Druck, zügig die Verlustlöcher zu stopfen. Krauss ist zuversichtlich, dass dies gelingen kann, falls die unternehmerischen Parameter richtig aufeinander abgestimmt würden. Neben höheren Produktpreisen und nach Lieferzeiten gestaffelten Gebühren brauche Flink größere Warenkörbe. Diese bewegen sich im Quick Commerce häufig bei 20 Euro. Notwendig seien mindestens 50 Euro, damit Einzellieferungen profitabel würden.
Eine (kostentreibende) Ausweitung des auf rund 3.000 Artikel beschränkten Sortiments sei dafür gar nicht erforderlich. Man müsse sich nur auf „Schnelldreher“ konzentrieren. Im stationären Handel funktioniere dieses Vorgehen – siehe die Discounter Aldi und Lidl.
„Fokus ist das Thema“
Bisher deckt Quick Commerce häufig den spontan auftretenden Bedarf ab, für den man früher zur Tankstelle fuhr. „Mit Kunden, die alle sechs Wochen sechs Flaschen Bier und zwei Tüten Chips bestellen, kann man die notwendige Warenkorbgröße aber nicht erreichen“, stellt Krauss klar. Das spricht für eine stärkere Ausrichtung auf andere Zielgruppen, etwa junge Familien.
Handelsexperte Krauss rät zum Fokus auf weniger Kundensegmente, damit einhergehende Sortimentsanpassungen und den Ausbau von Multipacks wie drei Packungen Joghurt statt einer. Zudem müsse Flink das Städtenetz weiter verdichten, sich auf große Standorte konzentrieren und das Auslandsgeschäft auf den Prüfstand stellen. „Auch hier ist Fokus das Thema“, sagt Krauss. Derzeit sei Flink in mehr als 100 Städten im In- und Ausland vertreten.
Milchmann-Prinzip
Einen „guten Job“ bescheinigt Krauss dem Bringdienst Picnic, der allerdings ein ganz anderes Geschäftsmodell verfolgt als Flink. Der Zusteller, der sich strategisch mit dem Lebensmittelhändler Edeka verbündet hat, funktioniert nach dem Milchmann-Prinzip. Das 2015 gegründete niederländische Unternehmen, das 2018 nach Deutschland und 2021 nach Frankreich expandierte, fährt Kunden nach vorher festliegenden Zeiten mit Elektrofahrzeugen an, sodass Bestellungen gebündelt und die Routenplanung optimiert werden können. Das Sortiment ist mit mehr als 10.000 Produkten erheblich breiter als im Quick Commerce. Das reicht in aller Regel aus, den Wocheneinkauf zu erledigen. Die Folge: Kunden geben viel mehr Geld pro Bestellung aus. In Deutschland ist Picnic nach letzten Angaben in über 130 Städten unterwegs.
Knuspr expandiert
Auf Expansionskurs ist auch der Online-Supermarkt Knuspr der tschechischen Rohlink-Gruppe, die im vergangenen Jahr auf 700 Mill. Euro Umsatz kam. Laut Firmenangaben waren das 25% mehr als 2022. Nach München, Rhein-Main (Frankfurt, Mainz, Wiesbaden, Darmstadt) und Berlin will Knuspr nach Hamburg und Essen/Rhein-Ruhr expandieren. Das Unternehmen wirbt mit Lieferung ab drei Stunden nach Bestellung. In Tschechien und Ungarn sei das Geschäft profitabel, sagt Geschäftsführer Mark Hübner.
Auch in München sei innerhalb eines Jahres nach Einführung eines voll automatisierten Lagers die Rentabilität erreicht worden. Ähnliches sieht die Planung für Berlin vor. Mit dem Start in der Hauptstadt lief die Marke Bringmeister aus, die Knuspr im Herbst vergangenen Jahres übernommen und vorerst weitergeführt hatte.
Im Quick Commerce ist Flink nun in Deutschland allein auf weiter Flur. Vor diesem Hintergrund traut Managementberater Christoph Krauss dem bislang hochdefizitären Expresslieferdienst eine gute Zukunft zu. Andere Experten sind skeptischer. Dienstleister mit längeren Lieferzeiten wie Picnic und Knuspr expandieren.