IM GESPRÄCH: REGINE SIEPMANN UND MICHAEL KRAMARSCH, HKP GROUP

"Der Aufsichtsrat wird gestärkt und geschwächt"

Berater sehen Machtverschiebung durch neue Regelungen für Managergehälter - Thema Maximalvergütung "treibt Aufmerksamkeitswelle durchs Land"

"Der Aufsichtsrat wird gestärkt und geschwächt"

Der Gesetzgeber hat Aufsichtsräten und Aktionären neue Pflichten in der Festlegung und Billigung der Vorstandsvergütung auferlegt. Aus Sicht von Unternehmensberatern werden die neuen Regelungen für reichlich Diskussionsstoff sorgen. Regine Siepmann und Michael Kramarsch erläutern im Gespräch, wo sie die Knackpunkte sehen.Von Sabine Wadewitz, FrankfurtAuf die Aufsichtsräte kommt ein Berg an Arbeit zu. Mit Umsetzung der EU-Aktionärsrechterichtlinie (Arug II) und der Neufassung des Deutschen Corporate Governance Kodex müssen vermutlich die meisten Unternehmen ihre Systeme zur Vorstandsvergütung überarbeiten – oder zumindest detailliert analysieren. Da das Gesetz deutlich später als geplant in Kraft getreten ist, haben die Konzerne eine Atempause bekommen und müssen erst 2021 in den Hauptversammlungen ihre Aktionäre über das Vergütungssystem befinden lassen. Doch die Anpassungen lassen sich vielerorts auch nicht über Nacht erledigen.Viele Unternehmen haben sich zum Ziel gesetzt, schon im laufenden Jahr mit neuen Modellen zur Bezahlung der obersten Führungsriege aufzuwarten. Siemens ist mit gutem Beispiel vorangegangen und hat auf der Hauptversammlung als Vorreiterin Anfang Februar Änderungen präsentiert, welche die neuen Regelungen in Gesetz und Kodex bereits berücksichtigen – und dafür breite Zustimmung erhalten. Infineon, die ebenfalls zum 30. September bilanziert, bat ihre Aktionäre indes um Nachsicht, weil ein Zeitfenster von Juni bis September zu kurz gewesen sei. “In nur vier Monaten zum einen die inhaltlich-konzeptionellen Arbeiten durchzuführen, zum anderen aber auch alle relevanten Stakeholder einschließlich Investoren und Proxy-Advisors einzubinden, erschien dem Aufsichtsrat nicht möglich”, hieß es dort vor der Hauptversammlung am 20. Februar.Nachdem in den vergangenen Jahren die hohe Komplexität zunehmend bemängelt wurde, ist im Aktiengesetz nun vorgesehen, dass der Aufsichtsrat ein verständliches Vergütungssystem vorlegt, das für “den durchschnittlichen Aktionär” nachvollziehbar ist. Die Anreizstruktur ist auf eine nachhaltige und langfristige Unternehmensentwicklung auszurichten. Für die Vorstandsmitglieder ist eine Maximalvergütung festzulegen. Die Aktionäre haben das Recht, nicht nur unverbindlich über die Entlohnung abzustimmen, sondern auf Antrag die Maximalvergütung herabzusetzen.Der Kodex schreibt vor, für jedes Vorstandsmitglied eine konkrete Ziel-Gesamtvergütung festzulegen, die eine bestimmte Höhe nicht überschreiten darf – eine Maximalvergütung hatte der Kodex schon vor dem Arug II vorgesehen. Es muss klar werden, welche finanziellen und nichtfinanziellen Leistungskriterien für die Gewährung kurz- und langfristiger variabler Teile maßgeblich sind. Die variable Vergütung soll der Vorstand überwiegend in Aktien der Gesellschaft anlegen, oder sie sollen von vornherein aktienbasiert gewährt werden – dies ist in der Endfassung breiter gefasst, zuvor war das allein für die langfristige Komponente vorgesehen. Über die langfristige variable Vergütung sollen die Manager erst nach vier Jahren verfügen können.Ob die neuen Regelungen die Gewaltenteilung in der Aktiengesellschaft beeinträchtigt, weil die Anleger mehr Macht bekommen, ist ein zentraler Diskussionspunkt. Für den Vergütungsexperten Michael Kramarsch gibt es zwei gegenläufige Effekte: “Der Aufsichtsrat wird gleichzeitig gestärkt und geschwächt”, sagt der Managing Partner der Unternehmensberatung HKP im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Gestärkt werde das Gremium durch den Auftrag, ein von der Strategie abgeleitetes Vergütungssystem zu entwickeln. “Damit ist aktienrechtlich zum ersten Mal die Strategiezuständigkeit des Aufsichtsrats explizit verankert”, unterstreicht er. AR-Chef rückt in den FokusDoch das ist nicht der einzige Einfluss. Gleichzeitig kommt es nach Meinung von Kramarsch zu einer Machtverschiebung, weil die Hauptversammlung die Vergütungsentscheidung des Aufsichtsrats zu billigen hat. Das Votum sei zwar rechtlich nicht bindend, habe aber “faktisch eine extreme Bedeutung”. Ein positiver Nebeneffekt kann den Unternehmenskontrolleuren allerdings wieder zugutekommen. “Der Aufsichtsratschef rückt stärker in den Fokus des Kapitalmarkts, das macht ihn auch mächtiger”, sagt Kramarsch. “Schon nächstes Jahr wird in allen Unternehmen auf der Hauptversammlung die Vorstands- und Aufsichtsratsvergütung nach Arug zu beschließen sein”, macht er die hohe Relevanz der Gesetzesänderung deutlich.Die Beteiligten haben es aus Sicht der Berater selbst in der Hand, ihre Position zielführend zu gestalten. “Der Aufsichtsrat bekommt durch die Gesetzesänderung mehr Verantwortung, und es kommt entscheidend darauf an, wie er dies nutzt”, unterstreicht HKP-Partnerin Regine Siepmann. “Er muss die Vergütung intensiver nach außen erläutern und kann das im Positiven nutzen, um Souveränität zu demonstrieren.”Die Expertin weist darauf hin, dass landläufig immer wieder unterstellt werde, der Vorstand lege seine Vergütung selbst fest. Das Gesetz mache nun klar, “welchen Umfang die Aufgabe des Aufsichtsrats hat”, ergänzt Siepmann. Kramarsch weist in dem Zusammenhang darauf hin, dass seine Vergütungsberatung “noch niemals” ein Mandat zur Vorstandsvergütung von einer Führungskraft selbst angenommen habe. “Wir nehmen keinen Auftrag vom Vorstand an, auch wenn er es aus eigener Tasche bezahlen würde.” Schallmauer bei 10 Mill. EuroKramarsch ist überzeugt, dass das Thema Maximalvergütung “eine Aufmerksamkeitswelle durchs Land treiben wird”. Denn bislang waren Beiträge zur Altersversorgung und Nebenleistungen oft nicht Teil der festgelegten Höchstgrenze. Zudem müssen sich die Unternehmen einen Puffer mit Blick auf den maßgeblichen Zeitraum von vier Jahren schaffen, in denen die Höchstgrenze einzuhalten ist. “Die magische Schallmauer einer Vergütung von 10 Mill. Euro dürfte damit häufiger überschritten werden”, vermutet der Corporate-Governance-Experte.Für die Unternehmenspraxis weisen Kramarsch und Siepmann darauf hin, dass den Aktionären für das mindestens alle vier Jahre vorgesehene Votum Transparenz geschaffen werden muss. “Das Maximum muss in einem Euro-Betrag definiert sein. Diese Summe muss in dem Beschluss genannt werden, den die Hauptversammlung künftig regelmäßig zu fassen hat.” Das Gesetz gibt zwei Möglichkeiten, die Höchstgrenze festzulegen: für jedes Vorstandsmitglied einzeln oder als Gesamtbetrag für das Gremium. “Der Kodex will es pro Kopf verstanden wissen”, erklärt Siepmann.Das Aktionärsvotum hat dann erst einmal für eine Zeit Bestand: “Die Maximalvergütung ist für vier Jahre fixiert, wenn man das System nicht wieder auf der Hauptversammlung ändern lässt”, betont die Beraterin. In der Zeit stehe es dem Aufsichtsrat zwar frei, die Zielvergütung für das oberste Management nach freiem Ermessen zu verändern. “Aber dies läuft gegen die von der Hauptversammlung für vier Jahre beschlossene Euro-Maximalvergütung”, mahnt Kramarsch. Der Aufsichtsrat hat ohne erneute Zustimmung der Aktionäre lediglich die Freiheit, eine niedrigere Maximalvergütung festzulegen.Im Blick behalten müssen die Verantwortlichen über die Zeit vor allem den langfristigen variablen Teil der Entlohnung. Denn für die festgelegte Höchstvergütung ist eine Summe relevant, die man nach vier Jahren erst abrechnen kann. “Die Maximalvergütung berücksichtigt den Langfristplan, der im Jahr 1 begeben wird und vier Jahre später ausgezahlt wird. Es kann also erst nach vier Jahren verbindlich festgestellt werden, ob die für jedes Jahr gesetzte Maximalvergütung eingehalten wurde”, erklärt Siepmann. Kramarsch weist darauf hin, dass in der Zwischenzeit der ausgewiesene Einkommenszufluss in einem Jahr höher sein kann als der von den Aktionären beschlossene Cap. Das ist zum Beispiel zuletzt bei Siemens der Fall gewesen, als CEO Joe Kaeser ein Gehalt von 14,3 Mill. Euro zufloss, das die Höchstgrenze von 14,02 Mill. überschreitet.Mit der zeitlichen Bindung ist es nicht ausgeschlossen, dass Manager nach der Wartezeit bei ihrer langfristigen Entlohnung Abstriche machen müssen. Denn es könnte passieren, dass schon mit Grundgehalt und Jahresbonus die Vergütungshöchstgrenze erreicht wird. “Das sollten aber seltene Fälle bleiben, weil der Kodex vorschreibt, dass die langfristige variable Vergütung die kurzfristige übersteigen soll”, meint Siepmann.Kritisch könne es aber werden, wenn Bonus und Langfristvergütung ihr jeweiliges Maximum erreichen und dies nicht mehr innerhalb des gesamten Caps bleibe. Wenn zum Beispiel der Börsenkurs durch die Decke geht, kann es passieren, dass der Vorstand Aktienoptionen zurückgeben müsse.Kramarsch verweist auf Alternativen: “Wenn ein Teil der Jahrestantieme nicht in bar ausbezahlt wird, sondern in Aktien und diese nur einer zeitlichen Sperre unterliegen, wäre die weitere Kursentwicklung keine Vergütung mehr und fiele nicht unter die Höchstgrenze.” Investoren sehen das allerdings kritisch, sie fordern eigenständige Langfristvergütungen mit spezifischen Leistungskriterien. Aus der Strategie abgeleitetFern aller Details verlangt das Aktiengesetz, dass das Vergütungssystem die Nachhaltigkeit unterstützt. So muss künftig der “Beitrag der Vergütung zur Förderung der Geschäftsstrategie und zur langfristigen Entwicklung der Gesellschaft” angegeben werden. Wie setzt man das um? Kramarsch zeigt sich entspannt: “Schon heute gehe ich davon aus, dass jede Vergütung, die der Aufsichtsrat vereinbart, aus der Strategie abgeleitet ist. In den Kennzahlen, in den Zielsetzungen und in den Rahmenbedingungen. Es geht also nun vor allem um Dokumentation und Schärfung der Argumentation.”