Villeroy & Boch

„Der Lockdown hat uns geschäftlich sicher geholfen“

„Wir haben keine staatlichen Finanzmittel, etwa KfW-Kredite, in Anspruch genommen. Aufgrund unserer hohen Liquidität gab es auch keinen Grund, staatliche Hilfsangebote zu nutzen.“

„Der Lockdown hat uns geschäftlich sicher geholfen“

Herr Dr. Warncke, bei der Bilanzvorlage vor gut einer Woche hat Vorstandschef Frank Göring gesagt, durch die Pandemie sei ein „recht gutes Konsumklima für die Produktgruppen“ von Villeroy & Boch entstanden. Ist Ihr Unternehmen ein Krisengewinner?

Im Lockdown kann man nicht reisen, auswärts essen gehen oder ein Konzert besuchen. Man hält sich also viel mehr zu Hause auf als in normalen Zeiten. Viele arbeiten auch im Homeoffice. Wenn man dann selbst kocht, statt in die Kantine oder ins Restaurant zu gehen, merkt man vielleicht, dass es schön wäre, neues Geschirr, neue Gläser oder Bestecke zu haben; das sind Produkte aus unserem „Tischkultur“-Bereich. Oder man denkt sogar über eine neue Einrichtung für Küche oder Bad nach; das würde dann unseren Bereich „Bad und Wellness“ betreffen. Die Hinwendung zum eigenen Heim hilft uns also. So verstanden hat uns der Lockdown geschäftlich sicher geholfen.

Während die meisten stationären Läden im Lockdown geschlossen bleiben und Ihr Retail-Geschäft in dieser Zeit praktisch wegfällt, boomt der E-Commerce. Was bedeutet das für Ihr Unternehmen?

Wir waren auf ein starkes Wachstum des Online-Handels gut vorbereitet. Nun macht sich bezahlt, dass uns zum Beispiel seit sechs, sieben Jahren die Aktivierung von Kunden über soziale Medien wie Instagram, Pinterest oder Facebook umtreibt und dass wir hohe Investitionen in Personal, IT-Strukturen und Logistik getätigt haben. So hatten wir sichergestellt, dass auch bei verstärkten Bestellungen übers Internet die Auslieferungen funktionieren. Ergebnis ist, dass 2020 der Anteil der E-Commerce-Aktivitäten am Umsatz des Bereichs Tischkultur bei 30,6% lag nach 19,6% im Vorjahr.

Halten Sie das Wachstum im E-Commerce für ein Strohfeuer?

Das ist es sicher nicht. Ob der Online-Handel freilich in dem Maße weiter boomt, wenn die Geschäfte wieder geöffnet haben und man unsere Produkte wieder anfassen und real betrachten kann, bezweifle ich. Aber der Trend vom Kauf im Laden zum Kauf im Internet wird Bestand haben.

Ziehen Sie Konsequenzen aus der monatelangen Schließung von stationären Einzelhandelsgeschäften und der sich abzeichnenden Pleitewelle?

Den Trend, dass Innenstädte mehr und mehr veröden, gab es ja schon vor der Ausbreitung von Covid-19. Die Pandemie hat diese Entwicklung nur beschleunigt. Künftig wird es im stationären Handel immer stärker auf die Lage ankommen. Insofern wird sich unsere Präsenz in diesem Vertriebskanal vielleicht etwas verringern.

Ich habe den Eindruck, dass die Shop-im-Shop-Konzepte für Villeroy & Boch ein Auslaufmodell sind. Liege ich damit richtig?

Nein, aber es ist auch kein Wachstumsmodell mehr. Wir sind an dieser Stelle sehr abhängig von den Kaufhäusern. Es läuft vor allem gut, wenn Warenhäuser das Einkaufserlebnis in den Vordergrund stellen und dem Wandel der Kundenerwartungen folgen. So sind wir in Frankreich mit unseren Shops in den Warenhausketten Galeries Lafayette und Printemps sehr erfolgreich.

Und Karstadt-Kaufhof?

Die Kette ist für uns noch ziemlich wichtig, weil wir in relativ vielen Karstadt-Kaufhof-Häusern vertreten sind. Nun standen aber zahlreiche Schließungen an. Ursprünglich hätte das 40 unserer Concession-Shops betroffen. Nachdem einige Häuser doch nicht geschlossen wurden, mussten wir aber immer noch 31 Shops zumachen.

Als klar war, dass sich die Pandemie weltweit ausbreitet, kam es auch bei Villeroy & Boch zu vorübergehenden Werksschließungen. Wie haben Sie reagiert, als deutlich wurde, dass die Krise erhebliche Folgen auf die Wirtschaftsaktivitäten haben wird?

Es begann Mitte März vorigen Jahres, als wir all unsere Werke mit Ausnahme der Armaturenfabrik in Schweden komplett heruntergefahren haben. In einigen Fällen, etwa in Osteuropa, blieben die Fabriken nur relativ kurze Zeit zu; in anderen Fällen, zum Beispiel in Mexiko, blieb das Werk vier Monate lang geschlossen. Wir haben uns zu dieser Zeit alle Kostenpositionen angeschaut und ein Sparpaket beschlossen und umgesetzt.

Können Sie einige Details dieses Sparpakets nennen?

Wir haben entschieden, welche Projekte fortgeführt werden sollten und welche nicht. Wir haben mit den Vermietern unserer Flächen und Gebäude gesprochen, wie man sich den entstandenen Schaden teilt, und in vielen Fällen waren die Vermieter zu Zugeständnissen bereit. Wir haben Verträge mit den Lieferanten über Abnahmeverpflichtungen nachverhandelt. Mit Leasing-Gebern haben wir die Verschiebung von Ratenzahlungen ausgehandelt. Im Marketingbereich haben wir das Mindestbudget für unsere Lead-Agentur runterverhandelt. Zudem gab es vorübergehend einen Einstellungsstopp.

Hat Villeroy & Boch staatliche Hilfen in Anspruch genommen?

Wir haben – wo möglich – Kurzarbeit genutzt. Darüber hinaus haben wir keine staatlichen Finanzmittel, etwa KfW-Kredite, in Anspruch genommen. Aufgrund unserer hohen Liquidität gab es auch keinen Grund, staatliche Hilfsangebote zu nutzen. Lediglich in Ungarn und den USA gab es kleine, spezielle Zuschüsse, zum Teil an Investitionen geknüpft, die aber jeweils im sechsstelligen Bereich blieben.

Das operative Betriebsergebnis (Ebit) unterschied sich vom unbereinigten zuletzt erheblich. 2019 waren die Sondereffekte mit 52 Mill. Euro positiv, 2020 mit 9 Mill. Euro negativ. Erläutern Sie bitte die Hintergründe.

Die 52 Mill. Euro von 2019 ergaben sich aus dem Saldo eines Immobilienverkaufs in Luxemburg, der einen positiven Effekt von 87 Mill. Euro hatte, und den Rückstellungen für unser Transformations- und Effizienzprogramm – TEP genannt – von 10 Mill. Euro sowie Rückstellungen für Umweltrisiken und Rückbauverpflichtungen aus nicht mehr betrieblich genutzten Grundstücken von 25 Mill. Euro. Die 9 Mill. Euro, die 2020 als negativer Sondereffekt anfielen, waren die Summe aus einem Sonderaufwand von 4,7 Mill. Euro im Rahmen des Verkaufs des Werks in Mexiko, abermals Rückstellungen für TEP von rund 2 Mill. sowie den rund 2 Mill. Euro an Corona-Prämien, die wir an unsere Mitarbeiter gezahlt haben.

Sie sprachen den Verkauf Ihres Werks in Mexiko an. Was wurde in dem Werk hergestellt und in welche Länder erfolgten die Auslieferungen?

Es wurde Sanitärkeramik hergestellt, also Toiletten und Waschbecken. Die Hauptmärkte für diese Produkte waren die USA, Mexiko sowie das übrige Lateinamerika. In den vergangenen Jahren haben wir einen Teil der Produktion auch nach Europa verschifft. Die Bedeutung des Werks hielt sich aber in Grenzen: 2020 lag der Beitrag zum Konzernumsatz unter 1%.

Wann wurde das Werk gekauft, für wie viel und wie hoch war nun der Erlös? Und vor allem: Warum wurde es verkauft?

Das nun verkaufte Werk in Mexiko haben wir 2006 zusammen mit zwei anderen Werken und einer Vertriebsgesellschaft für die USA für insgesamt 40 Mill. Dollar erworben. Zwei Werke wurden bereits vor rund zehn Jahren veräußert, später auch die Vertriebsgesellschaft. Grund für den Verkauf jetzt war, dass wir auch nach Jahren keine zufriedenstellende Umsatz- und Ergebnisentwicklung in Amerika gesehen haben. Und bevor Sie fragen: Ich kann Ihnen nicht sagen, ob wir unterm Strich einen Gewinn oder Verlust mit dieser Investition gemacht haben, denn in eine solche Rechnung spielt vieles rein. Das geht weit über „wie viel haben wir dafür bezahlt, wie viel haben wir investiert und zu welchem Preis haben wir nun verkauft“ hinaus.

Wegen des Verkaufs fällt ein Sonderaufwand von 4,7 Mill. Euro an. Warum?

Weil wir höhere Buchwerte für das Grundstück und das Anlagevermögen in den Büchern hatten, als wir nun dafür erlösen konnten. Hier fällt auch ins Gewicht, dass wir 2018/19 über 3 Mill. Euro in einen neuen Ofen für das Werk investiert hatten.

Zieht der Verkauf des Werks den Rückzug aus dem Amerika-Geschäft im Bereich Bad und Wellness nach sich?

Weitgehend, ja. Wir prüfen aber gerade noch alternative Marktbearbeitungsformen. Unseren Fokus wollen wir aber ganz klar auf Europa und Asien legen.

Der operative Cash-flow ist 2020 im Vergleich zum Vorjahr kräftig gestiegen – von 45 Mill. auf 137 Mill. Euro. Warum?

Zum einen haben wir im Anlagevermögen Kapital freigesetzt, weil wir das Werk in Mexiko verkauft haben. Zum anderen haben wir Corona-bedingt weniger investiert als wir abgeschrieben haben, denn einige Projekte wurden verschoben oder vorerst gestoppt. Zudem wurde im Working Capital durch Senkung der Vorräte und der Kundenforderungen aus Lieferungen und Leistungen Kapital freigesetzt.

Sie schlagen die Ausschüttung einer unveränderten Dividende von 55 Cent pro Vorzugsaktie vor. Das entspricht bei einem Gewinn von 88 Cent einer Ausschüttungsquote von 63%. Ist das angesichts der immer noch großen Unsicherheiten nicht ein bisschen üppig?

Unsere Dividendenpolitik sieht die Ausschüttung der Hälfte unseres operativen Gewinns vor. Das haben wir 2019 so gehalten, obwohl seinerzeit der Wunsch an uns herangetragen wurde, für den Sonderertrag aus dem Verkauf der Immobilie in Luxemburg einen Bonus auszuschütten. Aber das haben wir nicht gemacht. 2020 hatten wir negative Sondereffekte. Nun sind wir konsequent und schütten auch für das abgelaufene Geschäftsjahr rund die Hälfte des operativen Ebit aus, obwohl das publizierte Jahresergebnis niedriger ist.

Welche Ziele hat sich Villeroy & Boch für 2021 gesetzt? Von welchem Konjunktur- beziehungsweise Pandemie-Szenario gehen Sie dabei aus?

Die Prognose für 2021 basiert darauf, dass sich die Weltwirtschaft trotz des Dämpfers zum Jahresauftakt deutlich und spürbar erholt. Auf Grundlage dieser Markteinschätzung streben wir eine Steigerung des Umsatzes um 3 bis 5% an. Für das operative Ebit wird eine Verbesserung um voraussichtlich 5 bis 10% erwartet. Damit würde bereits im laufenden Jahr das Niveau von 2019 sowohl im Umsatz als auch im Ergebnis übertroffen.

Allerdings sind wir in Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern mit Lockdowns ins Jahr gestartet, die verlängert wurden und bis heute andauern. Müssten Sie Ihre Prognose nicht schon jetzt anpassen?

Überraschenderweise läuft selbst das Geschäft in der Tischkultur bislang im Rahmen unserer Erwartungen vom vergangenen Dezember. Was nicht über stationäre Läden konsumiert werden kann, wird eben übers Internet bestellt. Deshalb sind wir davon überzeugt, dass wir unsere Ziele erreichen können.

Wie hoch waren die Investitionen (Capex) 2020 und wie stark sind sie von den Planungen zu Beginn des Jahres abgewichen? Wie sehen Ihre Planungen für 2021 aus?

Die 2020 getätigten Investitionen in Sachanlagen und immaterielle Vermögenswerte betrugen insgesamt 20 Mill. Euro und lagen somit coronabedingt deutlich unter dem Vorjahreswert von 33 Mill. Euro. Ursprünglich war vorgesehen gewesen, diesen Wert moderat zu übertreffen. Wenn wir in diesem Jahr alles, was wir uns vorgenommen haben, realisieren, kommen wir auf einen Rekordwert von etwa 50 Mill. Euro. Darin enthalten sind natürlich auch Investitionen, die eigentlich schon 2020 hätten getätigt werden sollen. So gab es im vergangenen Jahr keine Renovierungen eigener Shops.

Villeroy & Boch ist meines Wissens das einzige Unternehmen, das die rollierende operative Nettovermögensrendite zu seinen Kernzielgrößen zählt. Können Sie dieses Wortungetüm erläutern?

Das operative Nettovermögen er­rechnen wir aus dem Anlagevermögen sowie Vorräten, Warenforderungen und sonstigen operativen Vermögenswerten abzüglich der Summe der Lieferantenverbindlichkeiten, Rückstellungen und übrigen operativen Verbindlichkeiten. Der Zwölfmonatsdurchschnittswert ist in der folgenden Division der Divisor, das operative Ergebnis (Ebit) der Dividend. Als Quotient erhält man besagte rollierende operative Nettovermögensrendite, die neben Umsatz und Ebit die dritte Steuerungsgröße im Konzern ist. Sie ist 2020 im Vergleich zu 2019 von 14,0 auf 14,7% gestiegen. Ursächlich hierfür war neben dem Working-Capital-Management, das sich hauptsächlich in den Warenforderungen und Vorräten widerspiegelt, auch ein leichter Anstieg des operativen Ergebnisses. Wir werden die rollierende operative Nettovermögensrendite 2021 aber nicht weiter steigern können, weil wir viel investieren wollen.

Und warum messen Sie diesem Wert grundsätzlich eine so große Bedeutung bei?

Es ist ja nicht egal, mit welchem Kapitaleinsatz ich einen Gewinn erziele. Brauche ich dazu hohe Investitionen oder geringe, benötige ich weniger oder größere Vorräte? Das ist die Überlegung hinter dieser Kennzahl und ihrer Relevanz für uns, denn in ihr werden solche Aspekte berücksichtigt und dadurch das Ergebnis eingeordnet.

Welche Quellen zapfen Sie zur Finanzierung an? Wie hoch sind die effektiven Zinssätze?

Zunächst möchte ich darauf hin­weisen, dass wir keine Nettofinanzschulden haben, sondern per Ende 2020 über eine Nettoliquidität von 183 Mill. Euro verfügten; das waren 85 Mill. mehr als Ende 2019. Damit lässt sich schon mal so einiges finanzieren. Nichtsdestoweniger haben wir Bankschulden; die langfristigen liegen bei 105 Mill. Euro. Dabei handelt es sich um klassische Bankkredite von verschiedenen Banken. Es sind aber bilaterale Verträge – keine Konsortien, die gemeinsam einen Kredit zur Verfügung gestellt hätten. Die Volumina der einzelnen Kredite liegen zwischen 10 Mill. und 25 Mill. Euro, die Laufzeiten zwischen drei und fünf Jahren und der effektive Zinssatz bei durchschnittlich 1%.

Haben Sie noch eine Hausbank?

Wir haben nie „die eine Hausbank“ gehabt. Es ist auch nicht so, dass eine unserer kreditgebenden Banken auch eine unserer Zahlungsverkehrsbanken sein muss. Wir liegen im Dreiländereck Deutschland, Frankreich, Luxemburg, und wir bedienen uns auch Banken, die in diesen Ländern liegen – insgesamt haben wir zwölf wesentliche Bankverbindungen. Es gibt hier spürbare Unterschiede in den Konditionen. So gibt es durchaus noch französische Banken, die auf Guthaben Zinsen zahlen.

Und umgekehrt? Zahlen Sie auch Negativzinsen auf Guthaben? In einem Interview der Börsen-Zeitung hatten Sie vor fünf Jahren Banken noch gewarnt, das zu verlangen.

Wir haben es lange geschafft, die Zahlung von Negativzinsen zu vermeiden, denn wir haben mit unseren Zahlungsverkehrsbanken so hohe Limite vereinbart, dass wir nur selten in die Situation kommen, solche Zinsen zahlen zu müssen. Zusammengenommen war das bislang ein überschaubarer Betrag zwischen 10000 und 20000 Euro.

Fast auf den Tag genau vor fünf Jahren haben wir unser letztes CFO-Interview geführt. Was sind die wichtigsten Erkenntnisse, die Sie seither als Finanzvorstand gewonnen haben?

Die wichtigste Erkenntnis brachte das vergangene Jahr – und es ist eine positive: unsere Krisenfestigkeit. Es hat sich gezeigt, wenn man planmäßig vorgeht, frühzeitig die richtigen Entscheidungen trifft – im konkreten Fall ein Sparpaket beschließt und konsequent umsetzt – und die Liquidität zusammenhält, kann man selbst durch ein Krisenjahr wie 2020 gut durchkommen. Beleg dafür ist, dass wir mit dem operativen Ergebnis über dem Wert von 2019 liegen. Das macht uns schon ein bisschen stolz.

Und eine Erkenntnis abseits der Coronakrise?

Wenn man dicke Bretter bohren will, muss man Geduld haben, um erfolgreich zu sein. Man darf sich von seinen Zielsetzungen nicht abbringen lassen, nur weil etwas vielleicht nicht sofort gelingt. Ein solches Brett war der Grundstücksverkauf in Luxemburg, der Ende 2019 abgeschlossen wurde. Hier mussten wir lange warten – an dem Deal haben wir seit 2006 gearbeitet –, bis wir die Umwidmung für Wohnbebauung erlangen konnten. Dadurch wurde der Verkauf dann richtig lukrativ.

Das Interview führte Martin Dunzendorfer.

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