Steffen Greubel

„Deutschland ist das Chancenkind“

Steffen Greubel ist angetreten, um den Handelskonzern Metro wieder in die Spur zu bringen. Im Heimatmarkt Deutschland brauche es dazu „weniger Hypermarkt-Feeling“, sagt der Vorstandschef im Interview.

„Deutschland ist das Chancenkind“

Annette Becker.

Herr Greubel, die Metro ist einer der großen Gewinner des von hoher Inflation gekennzeichneten Umfelds. Wieso?

Es ist richtig, dass wir höhere Verkaufspreise durchgesetzt haben. Allerdings sind auch wir mit höheren Einkaufspreisen konfrontiert. Wichtig dabei: Wir haben keine Margen­optimierung betrieben. Umgekehrt schlagen die Energiepreissteigerungen erst zeitverzögert durch. Die Ergebniszuwächse sind aber auch Ergebnis unserer Arbeit. Wir sehen die ersten Erfolge unserer neuen Strategie.

Der Einzelhandel liegt mit den Konsumgütermultis wegen der ungerechtfertigten Preiserhöhungen im Clinch, überall gibt es Lücken in den Supermarktregalen. Ist das bei Metro auch ein Thema?

Wir haben harte Verhandlungen, tragen diese aber nicht in der Öffentlichkeit aus. Es gelingt uns, die nachvollziehbaren Preissteigerungen an die Kunden weiterzugeben.

Haben Sie Probleme mit Ihren Lieferanten?

Nicht in diesem Thema. Aber auch wir haben gelegentlich Regallücken, weil die Liefertreue der Lieferanten unterschiedlich ist. Für unsere Profikunden ist Verfügbarkeit neben dem Preis ausschlaggebend. Eigenmarken spielen daher in der Steuerung eine große Rolle. Mit nahezu 20 % ist unser Eigenmarkenanteil auf einem historischen Rekord angekommen.

Spiegelt der Eigenmarkenanteil nicht auch die geringere Verfügbarkeit der Markenartikel und ist folglich überzeichnet?

Von überzeichnet würde ich nicht sprechen. Vielmehr ist jetzt ein guter Zeitpunkt, um den Eigenmarkenanteil zu erhöhen. Mit Eigenmarken lässt sich gute Qualität zu niedrigeren Preisen darstellen.

Wie preiselastisch sind die Profikunden?

Total preiselastisch, denn auf uns entfällt ein relevanter Teil der Kosten eines Gastronomen. Die Kunden erwarten vor allem drei Dinge von uns: eine hohe Warenverfügbarkeit, einen attraktiven Preis und eine hohe Stabilität im Kernsortiment. Alles andere ist für die Profikunden nachgelagert. Die Preise für Kernartikel müssen passen, sonst orientieren sich die Kunden um.

Die Konsumenten in ganz Europa haben künftig weniger Geld in der Tasche und werden infolgedessen wahrscheinlich auch weniger häufig essen gehen. Kommt für Metro im nächsten Jahr der Katzenjammer?

Im Augenblick sehen wir das nicht. Medial ist der Katzenjammer groß, doch die Restaurants sind voll. Nach zwei Coronajahren halten die Menschen insbesondere an den Dingen fest, die in der Pandemie nicht möglich waren. Das belegen Studien. Zweifelsohne wird es für uns härter werden. Der Rückenwind, den uns die Nachholeffekte gaben, wird abflauen. Die Leute werden mehr aufs Geld schauen. Wichtig ist aber auch, dass unser Markt noch nicht konsolidiert ist. In unseren Kernmärkten gehören wir fast überall zu den Marktführern, haben aber in fast allen Ländern nur einen einstelligen Marktanteil. Wenn der Gesamtmarkt zurückgeht, gibt es immer noch genügend Möglichkeiten, Marktanteile zu erobern.

Mit Ihrer Strategie „sCore“ haben Sie sich Anfang des Jahres ambitionierte Ziele bis 2030 gesetzt. Warum haben Sie diesen langen Zeithorizont gewählt in einer immer unsichereren Welt?

Wir müssen bis 2030 denken, weil wir von großen Infrastrukturthemen abhängig sind. Die Zyklen von Mietverträgen und anderen Real-Estate-Themen sind lang. Ein zentrales Element von sCore ist es, die Stores unter Großhandelsgesichtspunkten neu auszurichten. Dazu werden wir unter anderem nicht benötigte Verkaufsflächen in Belieferungsflächen umwidmen. Das muss aber als Netzwerk in der langen Frist gesehen werden. Wir müssen heute überlegen, wie wir 2030 aufgestellt sein wollen. Nur dann lässt sich die Netzwerkplanung schlau umsetzen.

Wie sinnvoll ist es angesichts der hohen Teuerungsrate, sich für 2030 Umsatzziele zu setzen?

Die Frage ist durchaus berechtigt. Wie sinnvoll kann Planung in dieser volatilen Zeit überhaupt noch sein? Pläne brauchen wir zur Orientierung, denn aus der Planung leiten sich Handlungsweisen ab. Es geht ja nicht nur um Finanzplanung, sondern um die Ausrichtung des Geschäfts. Das Gute an Langfrist­plänen ist, dass ihnen kurzfristige Veränderungen weniger anhaben können.

Sie sind im abgelaufenen Geschäftsjahr im Umsatz und operativen Ergebnis (Ebitda) gut gewachsen. Allerdings haben zahlreiche negative Effekte nach neun Monaten unter dem Strich einen Verlust von beinahe 400 Mill. Euro produziert. Was heißt das für die Dividende?

Unsere Wachstumspläne sind mit dem Aufsichtsrat abgestimmt. Es herrscht Einvernehmen darüber, dass wir in der Investitionsphase weniger ausschütten, weil die Cashflows überwiegend in Investitionen fließen.

Wenn Sie unter dem Strich rote Zahlen schreiben und dennoch ausschütten, greifen Sie in die Substanz. Standard & Poor’s hat dem Rating von „BBB−“ im Sommer einen negativen Ausblick verpasst.

Wenn wir ein reinrassiger Großhändler werden wollen, müssen wir es auch richtig aufsetzen. Wholesale im Lebensmittelbereich bedeutet, dass wir zusätzlich zum Store auch beliefern müssen. Außerdem brauchen wir ein digitales Angebot, das alles verknüpft. Zudem brauchen wir eine professionelle B2B-Vertriebsmannschaft. Diese konsequente Ausrichtung kostet zunächst einmal Geld. Die Alternative hieße, ein halber Wholesaler und ein schlechter Hypermarktbetreiber zu sein. Zu­gleich müssen wir in diesem Jahr Sonderlasten stemmen. Diese Lasten sind der Hauptgrund dafür, dass wir nach neun Monaten ein negatives Ergebnis je Aktie hatten und damit laut unserer Dividendenpolitik nicht ausschütten würden. Was ich nicht möchte, ist, Tafelsilber über Maßnahmen wie Sale-and-Lease-back oder Ähnliches verscherbeln, um Dividende zahlen zu können.

Sie haben auch hinsichtlich der Umsatz- und Ergebnisaufteilung der einzelnen Länder Zielsetzungen. Wie sehen diese aus?

Wir haben momentan eine sehr hohe Abhängigkeit von den größten Ebitda-Bringern. Unsere Zielsetzung ist es, die vier größten Ebitda-Bringer unter 50 % zu bringen, um die Abhängigkeit von einzelnen Ländern zu verringern.

Welche Länder erwirtschaften das höchste operative Ergebnis?

Frankreich, Russland, Deutschland und Spanien. Deutschland, das den größten Umsatz erwirtschaftet, liefert allerdings keineswegs den größten Ebitda-Beitrag. Da sind andere Länder ertragsstärker.

Deutschland ist seit gefühlt 15 Jahren das Sorgenkind der Metro.

Ich weiß um die lange Historie der weniger zufriedenstellenden Performance im Heimatmarkt. Dennoch sage ich, Deutschland ist das Chancenkind. Wir wissen, was wir in Deutschland verändern müssen. Wir müssen die Anwendung der Wholesale-Prinzipien vor allem im Store beschleunigt voranbringen. Auf den Punkt gebracht geht es um eine konsequente Wholesale-Ausrichtung und weniger Hypermarkt-Feeling. Im Digitalen und auch in der Belieferung ist Deutschland in manchen Themen bereits führend. Die Stores müssen sich verändern.

Müssen Sie damit nicht auch zwangsläufig Ihr Standortnetz in Deutschland straffen?

Wenn Sie straffen im Sinne von re­duzieren meinen, nein. Wir haben in Deutschland noch ungefähr 50 Märkte mit zwei Stockwerken und Flächen von mehr als 10 000 Qua­dratmetern. Diese Flächen sind zu groß. Über Maßnahmen wie Sortimentsreduktion oder Palettenplatzierung werden wir Flächen freibekommen, die wir künftig besser für die Belieferung nutzen können. Abgesehen von Einzelfällen wird die Summe der Stores aber mehr oder weniger gleich bleiben.

Wie viele Märkte hat Metro noch in Deutschland?

Ganz genau sind es 102.

Metro will bis 2025 alljährlich 400 Mill. Euro investieren. Wohin fließt das Geld?

Die 400 Mill. Euro fließen als zusätzliche Investitionen in drei wesentliche Wachstumshebel: Unser Store-Netzwerk, die IT und Nachhaltigkeit im Sinne von Energieeffizienz und energetischem Umbau. 200 Mill. Euro fließen ins Netzwerk, 100 Mill. Euro in Nachhaltigkeit, und 100 Mill. Euro sind für die IT budgetiert. Wir müssen die vorhandenen IT-Systeme für die Zukunft noch besser aufstellen. Das kostet viel Geld. Nach der Investitionsphase fahren wir die Investitionen wieder zurück.

Ihre ambitionierten Wachstumspläne beziehen sich vor allem auf das Belieferungsgeschäft und die Digitalplattform. Sind Sie im stationären Geschäft an der Wachstumsgrenze angekommen?

Auf der stationären Fläche sind wir noch lange nicht an der Wachstumsgrenze angekommen. Für Kunden aus dem Segment Hotel, Restaurant und Catering, die bei uns in den Stores einkaufen, sind wir häufig nur einer von mehreren Lieferanten. Wir müssen deshalb innerhalb von Cash & Carry viel proaktiver verkaufen. Zudem können wir die Preisdarstellung in den Stores attraktiver gestalten als in der Belieferung. Je mehr Inflation wir bekommen, desto attraktiver werden die Stores, weil die Belieferung viel stärker von der Inflation betroffen ist.

Kannibalisieren Sie mit dem Belieferungsservice und der Digitalplattform das stationäre Ge­schäft?

Im Gegenteil: Da alle drei Kanäle wachsen, kann von Kannibalisierung keine Rede sein. Vielmehr befruchten sich die Kanäle gegenseitig. Mit einem Kunden, der alle drei Vertriebskanäle nutzt, machen wir einen vielfach höheren Umsatz als mit einem Kunden, der nur einen Kanal nutzt.

Mit Metro Markets haben Sie eine digitale Plattform aufgebaut, die jetzt peu à peu ausgerollt wird. Welche Idee steckt dahinter?

Wir sind mit Metro Markets bereits in Deutschland, Spanien, Italien und Portugal live. Die Niederlande und Frankreich kommen als Nächstes. Die technische Plattform von Metro Markets – also ein Gastro-Marktplatz, auf dem wir, aber auch komplementäre Partner verkaufen – ist überall gleich und wird zentral gesteuert. Aber Sortiment und Partner werden in jedem Land individuell und lokal definiert.

Fließt in Metro Markets das Gros der Investitionsmittel?

In die Plattform fließt viel Geld, aber es fließt auch Geld zurück. Denn der Kombinationseffekt der Kanäle bringt deutlich höhere Umsätze.

Was ist der Unterschied zwischen Metro Markets und dem Belieferungsgeschäft?

Es gibt drei Logistikformen: die Stores, die Belieferung – wir nennen das FSD – und Metro Markets. Im FSD bestellt der Kunde online bei Metro und erhält täglich oder mehrmals die Woche seine gewünschten Produkte geliefert, mehrheitlich frische Lebensmittel. Bei Metro Markets geht es vornehmlich um Non-Food, die bestellte Ware wird von Metro oder von den weiteren Anbietern via DHL geliefert. Wir haben Paketlogistik, Lebensmittelbelieferungslogistik und Store-Logistik. Die drei Logistikkonzepte stehen parallel nebeneinander.

Bieten die Drittanbieter auf Metro Markets ausschließlich komplementäre Sortimente an?

Es gibt auch konkurrierende Sortimente. Das ist ein Marktplatz, auf dem wir auf Augenhöhe mit anderen Anbietern auftreten. Wir schauen dort sehr stark aus der Kunden-Nutzen-Perspektive drauf. Wenn wir die gewünschte Friteuse nicht mehr im Angebot haben, hat sie vielleicht ein anderer Anbieter. Das hilft uns, besser zu werden. Doch auch strategisch ist der Marktplatz ein Vorteil, weil wir künftig im Store vielleicht nicht mehr 27 Sou-vide-Sticks haben müssen, sondern nur noch zwei. Am Regal können wir dann darauf hinweisen, dass es auf Metro Markets noch 25 andere gibt.

Der Lebensmittelgroßhandel ist noch stark fragmentiert. Wird man die Metro auf der Käuferseite antreffen?

Unsere Strategie ist auf organisches Wachstum ausgelegt. Wir können uns vorstellen, anorganisch zu wachsen. Allerdings gibt es wenige größere Spieler, die komplementär zu uns sind. Es gibt viele kleine und mittlere Wettbewerber. In diesem Zusammenhang müssen wir immer den Integrationsaufwand im Blick behalten.

Bei anorganischem Wachstum geht es doch in aller Regel um den Kauf von Marktanteilen.

Ähnlich große Spieler gibt es entweder nicht oder sie sind nicht verfügbar. Wir kaufen lieber gezielt ein wie zuletzt in Portugal oder Österreich. Wir konsolidieren den Markt aber nicht über Akquisitionen.

Aus Belgien ziehen Sie sich zurück. Ist damit die Überprüfung des Portfolios abgeschlossen?

Mit dem angekündigten Rückzug aus Belgien ist ein wesentlicher Baustein in Richtung des Zielportfolios gelungen. In anderen Ländern wie beispielsweise den Niederlanden haben wir beschlossen weiterzumachen. Wir schauen uns die Länder immer wieder an, aber mit immer weniger Intensität.

Die Metro ist stark in Russland engagiert. Auf die dortigen Immobilien mussten Sie schon erhebliche Abschreibungen vornehmen. Was kommt künftig auf Sie zu?

Wir können relativ schwer einschätzen, wie es weitergeht. Wir zählen in Russland 10 000 Beschäftigte, viele unserer Kunden beziehen ihre Lebensmittel bei uns, und das Land ist für uns, auch was Umsatz, Ebitda und Cashflow betrifft, ein relevanter Markt. Da hängen nicht nur in Russland viele Arbeitsplätze dran. Aber wir sehen auch die Schäden des Krieges in unserer Bilanz. Momentan ist die Situation zu komplex und der Markt zu wichtig, als dass wir uns zurückziehen könnten.

In Russland gehören Ihnen 89 der 93 Immobilien, in denen Sie Geschäft betreiben. Fürchten Sie Enteignung?

Eine der Entscheidungsvariablen sind genau solche Szenarien. Die Frage ist, was passiert, wenn wir die Landesgesellschaft morgen schließen würden. Dann wäre ein sehr realistisches Szenario, dass sie am nächsten Tag wieder aufgemacht würde, weil Lebensmittel etwas ganz Sensibles sind. Der russische Staat wird nicht akzeptieren, dass die Lebensmittelversorgung auch nur ansatzweise gefährdet ist. Wir würden dann vermutlich nicht nur enteignet, sondern auch das Geschäft verlieren. Faktisch wäre damit für niemanden etwas gewonnen.

Wie sieht es in der Ukraine aus?

Von unseren einst 26 Märkten von Metro Ukraine ist einer zerstört und einzelne sind geschlossen. Im Schnitt sind je nach Sicherheitslage 20 bis 22 Märkte offen. In der Lebensmittelversorgung sind wir eine der letzten großen funktionierenden Infrastrukturen. Das liegt auch daran, dass wir in allen benachbarten Ländern Landesgesellschaften haben, die zusammen mit der Zentrale helfen, die Belieferung sicherzustellen. So kann die Struktur auch in schwierigen Zeiten aufrechterhalten werden. Zudem merkt man, dass die Menschen über die Zeit nach dem Krieg reden wollen. In Kiew machen aktuell neue Restaurants auf. Das ist unglaublich.

Das Interview führte

BZ+
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