UNTERM STRICH

Die deutsche Autoindustrie fährt hinterher

Börsen-Zeitung, 13.10.2018 "Werd ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch! Du bist so schön!" Dieter Zetsche von Daimler, Harald Krüger von BMW und die einstigen VW-Chefs Martin Winterkorn und Matthias Müller dürften in den zurückliegenden...

Die deutsche Autoindustrie fährt hinterher

“Werd ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch! Du bist so schön!” Dieter Zetsche von Daimler, Harald Krüger von BMW und die einstigen VW-Chefs Martin Winterkorn und Matthias Müller dürften in den zurückliegenden Boomjahren ihrer Branche des Öfteren Fausts besonderen Moment geteilt haben. Und wie heißt es weiter im Dialog mit Mephistopheles? “Dann magst du mich in Fesseln schlagen, dann will ich gern zugrunde gehn!” Auch die Autoindustrie scheint vor dem Untergang zu stehen, wenn man die Schlagzeilen dieser Tage studiert. Ein Pakt mit dem Teufel wird sie ebenso wenig retten wie eine Nach-mir-die-Sintflut-Mentalität. Helfen kann der Branche nur ein radikaler Kurswechsel, mit neuen Köpfen und vor allem neuem Denken an der Spitze der deutschen Autohersteller. Im Club der GestrigenDoch auch Volkswagens neuer Spitzenmann Herbert Diess scheint noch vom schönen Augenblick üppiger Gewinne mit Verbrennermotoren zu träumen und malt das Schreckgespenst von 100 000 wegfallenden Jobs an die Wand, falls das EU-Parlament an der Verschärfung der CO2-Klimaziele für Neuwagenflotten um 40 % ab dem Jahr 2030 festhalte. Damit reiht sich Diess, der an anderer Stelle so gern den angeblichen Kulturwandel Volkswagens plakatiert, in den Club der Gestrigen ein, zu denen zweifelsohne auch die Anhänger der Braunkohleverstromung zählen, denen der VW-Chef vorwirft, die ganze Elektrifizierungsstrategie der Autohersteller ad absurdum zu führen. Belächelte E-Autos “Welche Elektrifizierungsstrategie?”, ist man zu fragen geneigt angesichts des krampfhaften Festhaltens der deutschen Autohersteller am Verbrennungsmotor. Was die Branche in den zurückliegenden Jahren aufgeführt hat, war eher eine Elektromobilität-Verhinderungsstrategie. Das eine oder andere elektrisch betriebene Alibi-Fahrzeug hat es zwar aus den Hallen der Entwickler und den Show-Bühnen der Automobilsalons tatsächlich auf deutsche Straßen geschafft, wie 2013 der “i3” von BMW. Doch Design, Ausstattung und Preisgestaltung waren von vornherein aufs Nischendasein ausgerichtet, der fehlende Markterfolg programmiert. Anstrengungen ausländischer Konkurrenten zur Entwicklung und Produktion von E-Autos wurden abschätzig belächelt und als nicht wettbewerbs- und marktfähig bezeichnet.In ihrer von immer neuen Verkaufserfolgen und Rekordgewinnen getriebenen Ignoranz konnten sich die Automanager in Wolfsburg, Ingolstadt, Stuttgart und München nicht vorstellen, dass sich die Rahmenbedingungen, die über ihre Wettbewerbsfähigkeit entscheiden, so schnell ändern würden. Dass die Politiker und die sie wählenden Bürger nicht länger bereit sind, sich mit manipulierten Abgaswerten und der wirklichen oder gefühlten Verpestung ihrer Innenstädte abzufinden. Den Diesel für immer erledigtNatürlich sind die nun noch vom EU-Parlament zu beschließenden Verschärfungen der CO2-Grenzwerte für den Flottenverbrauch auch eine Art Strafaktion für die Branche, nachdem die Hersteller über viele Jahre hinweg – mit teilweiser Duldung durch die Behörden – Abgastests und Verbrauchswerte manipuliert haben. Damit haben sich Volkswagen, Daimler, BMW & Co. selbst der Möglichkeit beraubt, den Dieselmotor als vergleichsweise umweltfreundlichen Antrieb wenigstens als Übergangstechnologie nutzen zu können, bis sie als Massenhersteller das Ruder herumgeworfen haben und sie elektrische oder andere emissionsfreie Antriebe in qualitativ und mengenmäßig nötigem Umfang produzieren können.Eine Industrie, die für sich in Anspruch nimmt, technologisch an der Weltspitze zu stehen, sollte wohl in der Lage sein, bis in zwölf Jahren den durchschnittlichen CO2-Flottenausstoß auf die geforderten 62 g/km zu senken. Denn das ist keine technische Frage, sondern eine der Modellpolitik und damit der künftigen Elektrifizierungsstrategie. Man muss ja “nur” den Anteil der Elektrofahrzeuge in der Flotte zu Lasten der Verbrennermodelle erhöhen. Das mag das Tempo für den bevorstehenden Strukturwandel bei den Autokonzernen beschleunigen und das Wohlfühlklima der finanziell verwöhnten Automobilwerker und ihrer Vertreter in den Aufsichtsräten beeinträchtigen. Doch gerade der in dieser Branche starke Einfluss der Arbeitnehmer auf strategische Entscheidungen des Managements hat den frühzeitigen Wandel der deutschen Autohersteller weg vom Verbrenner und hin zu alternativen Antrieben blockiert. Auch jetzt wird wieder mit den angeblich wegfallenden Arbeitsplätzen gedroht, anstatt zu erkennen, dass bei weiterem Verschlafen des Wandels nicht 100 000, sondern Millionen Jobs in Gefahr geraten. Die deutschen Autohersteller werden ihre weltweite Spitzenposition nur dann behaupten, wenn sie die Elektrifizierung der Fahrzeugflotten noch viel schneller als bisher geplant vorantreiben und dabei ihr Know-how als Massenhersteller einbringen. In der Nische sind und bleiben nämlich Tesla & Co überlegen. Rückständige InfrastrukturGewiss ist die Autoindustrie derzeit auch Sündenbock für eklatante Versäumnisse der Politik. Sie reichen von inkonsistenten Schadstoffgrenzwerten über rückständige Verkehrs- und IT-Infrastruktur für E-Mobilität bis zur fehlenden Verlässlichkeit der politischen Rahmenbedingungen und Investitionssicherheit.Es ist bezeichnend, dass beispielsweise im öffentlichen Personennahverkehr in Hessen erst seit wenigen Tagen der erste (!) Elektro-Bus im Linienverkehr einer Stadt eingesetzt wird. Und zwar nicht etwa in dem von Fahrverboten bedrohten Frankfurt, sondern in der hessischen Provinz: Fulda. Und nicht weniger bezeichnend ist, dass dieser Bus nicht etwa von so namhaften Herstellern wie Mercedes oder MAN stammt, sondern vom deutsch-türkischen Nischenanbieter Sileo. Die deutsche Autoindustrie fährt hinterher.—– c.doering@boersen-zeitung.de—–Von Claus DöringDie verschärften CO2-Flottenverbrauchsziele zu erfüllen ist keine Frage der Technik, sondern des Wollens und der Modellpolitik. —–