„Die Lage wird angespannt bleiben“
Von Stefan Kroneck, München
Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat auch Turbulenzen an den weltweiten Agrarmärkten ausgelöst. Im Gespräch mit der Börsen-Zeitung warnt die Führung des Agrarhandelskonzerns Baywa vor abermals steigenden Preisen und möglichen Versorgungsengpässen im neuen Jahr, sollte der Krieg andauern und noch weiter eskalieren. „Wenn die Ukraine stärker ausfallen würde, als es in der Saison 2022 der Fall war, wenn der Krieg sich in die Länge zieht, dann wird die weltweite Versorgungssicherheit schwierig. Das gilt insbesondere für die Entwicklungsländer. Für diese wird das erhebliche Konsequenzen haben. Aber auch die EU könnte betroffen sein. Das beträfe vor allem die Produkte Mais, Raps und Sonnenblumenöl. Die Preise müssten also wieder anziehen, wenn sich die Nachfrage so entwickelt wie im vergangenen Sommer. Die Lage wird also angespannt bleiben“, sagt der Vorstandsvorsitzende Klaus Josef Lutz.
Die Ukraine gilt als Kornkammer Europas. Der Großteil der Ernte geht in den Export. Der Krieg brachte den Handel mit dem Ausland monatelang zum Erliegen. Der Internationale Getreiderat mit Sitz in London bezifferte die Lücke für die Erntesaison 2022/23 zwischen weltweiter Produktion und globalem Verbrauch infolge des Kriegs auf rund 25 Mill. Tonnen. Das sorgt für Stress an den Getreidemärkten.
„Politisches Druckmittel“
Lutz betrachtet die Wiederaufnahme der ukrainischen Getreideausfuhren skeptisch. „Die Transporte mit Frachtern über das Schwarze Meer lösen nicht das grundsätzliche Problem. Das auf Vermittlung der Türkei zustande gekommene Abkommen zwischen Russland und der Ukraine für den freien Transport von Getreide mit Schiffen ist ein politisches Druckmittel. Anfangs war das Volumen zu gering. Das hatte keinen entscheidenden Einfluss auf den Weltmarkt. Wir haben die Satellitendaten im Juni ausgewertet. Die Anbaufläche für Weizen in der Ukraine war um 17 % geringer, entsprechend auch das Volumen. Die Logistik war zusammengebrochen. Der Hafen von Odessa war nicht einsatzfähig. Das bewirkten die Raketenangriffe der Russen.“
Vor Kriegsausbruch hatte die Ukraine im Rekordjahr 2021 geschätzt zwischen 85 Mill. und etwas über 105 Mill. Tonnen geerntet; die Angaben schwanken zwischen Regierung und Getreideproduzentenverband. Das sind etwa 5 % der globalen Getreideernte. Kiew befürchtet, dass 2022 dieser Wert auf rund 50 Mill. Tonnen, also etwa um die Hälfte einbrach. Die Hauptgründe: Russland hält den Südostteil des Landes besetzt. Die Kriegsschäden beeinträchtigten die Logistik erheblich. Seit Anfang August können zwar dank des Abkommens Getreidefrachter ukrainische Häfen anlaufen und verlassen.
Seitdem exportierte die Ukraine rund 16 Mill. Tonnen über das Schwarze Meer. Doch das Abkommen steht auf wackeligen Beinen. Nach einer Verlängerung Ende November läuft es im März aus. Kiew und Moskau müssten sich bis dahin erneut einigen. Dies ist ein Risikofaktor für den Weltagrarmarkt, der bereits 2022 heftige Preisvolatilitäten durchmachte. „Anfang 2022 lagen die Weizenpreise bei rund 250 Euro pro Tonne, erreichten mit rund 440 Euro pro Tonne einen Höchstwert nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs und stehen zum Jahresende 2022 wieder bei rund 300 Euro. Gegen Preisschwankungen sind wir weitgehend abgesichert. Unser Kontrahentenrisiko, also Nichterfüllung oder Zahlungsausfall, ist relativ gering“, sagt Baywa-Finanzchef Andreas Helber.
Plädoyer für globale Lösung
„Die arabischen Staaten, Bangladesch und Indonesien haben im Sommer und im Herbst wie verrückt auf den Weltmärkten zur Verfügung stehende Positionen aufgekauft, um möglicherweise Aufstände in den eigenen Ländern zu verhindern. Das waren Präventionskäufe. Das wirkte preisstützend. Die Preisdynamik ist aber wieder umgeschlagen. Derzeit hat man wieder das Vorkriegsniveau erreicht“, berichtet Lutz. Er glaubt, dass Wladimir Putins Regime das der Ukraine geraubte Getreide an Peking verkauft hat. „Ich vermute, dass die Russen Getreidemengen aus den besetzten ukrainischen Gebieten nach China verkauft haben. Die weltweiten Lagerbestände sind mittlerweile sehr gering. Jetzt lebt man von der Hand in den Mund. Die Produktivität ist gestiegen. Die Weltbevölkerung ist auf über acht Milliarden Menschen gewachsen. Wir gehen davon aus, dass die Chinesen weltweit die größten Getreidelager haben. Die Russen sind sehr aktiv auf den Märkten. Die Frage ist, wo die Warenströme hingehen.“
Der CEO nimmt eine noch größere Gefahr aufgrund einer stetig wachsenden Weltbevölkerung wahr. Dabei gehe es um die Frage, wie sich die Situation auf längere Sicht entwickelt. „Der Ukraine-Krieg ist eine schlimme Facette, auch in Bezug auf die Weltagrarmärkte. Das ist zwar eine einfache Frage, die Antwort darauf ist aber komplex. Die Fundamentaldaten sehen wie folgt aus: Erstens, die Weltbevölkerung wächst weiter rasant, die Agraranbaufläche schrumpft. Und zwar stetig. In 20 Jahren leben auf der Erde ungefähr zehn Milliarden Menschen. Das heißt, die Produktivität muss steigen, um die Versorgung zu sichern. Betriebsmittel müssen mithilfe der Digitalisierung effizienter eingesetzt werden. Zweitens: die Themen Klimawandel, Umwelt und Nachhaltigkeit. Man braucht eine globale politische Lösung, um die Probleme anzugehen. Es wird zwar viel geredet, aber wenig getan. Es gibt zu viele unterschiedliche Interessen. Charttechnisch betrachtet müssten die Agrarmärkte große Chancen haben.“
Die Baywa zählt sich selbst nicht zu den Profiteuren des Krieges, vor dem Hintergrund der gestiegenen Preise an den Märkten.
Diversifizierungsstrategie hilft
Die jüngsten Erfolge des Unternehmens führt Lutz vor allem auf eine Diversifizierungsstrategie im Bereich Agrar zurück; also auch auf sein Wirken als CEO. „Unsere gute Lage im Agrargeschäft hat mit dem Ukraine-Krieg nur bedingt zu tun. Genauso haben die galoppierenden Preise für Lebensmittel wenig mit diesem Krieg zu tun. Unsere gute Entwicklung im Agrargeschäft ist auf mehrere Ursachen zurückzuführen. Erstens: Wir haben im Getreidehandel massiv restrukturiert und reorganisiert. Zweitens: Wir haben unser Geschäftsmodell diversifiziert. Wir haben unsere Aktivitäten um Spezialprodukte ausgebaut. Dadurch ist unsere niederländische Handelsgesellschaft Cefetra nicht mehr so abhängig vom Sojageschäft. Dadurch haben sich auch unsere Warenströme verändert. Dieser Pfad der Neupositionierung ist für uns noch nicht beendet“, betont Lutz. So setzt er darauf, die Konzernaktivitäten weiter zu „arrondieren“. Die Baywa investiere unter anderem in Start-ups auf diesem Feld.
Dem SDax-Mitglied mit Sitz in München geht es operativ sehr gut. Der Konzern wird 2022 ein Rekordjahr verzeichnet haben. Die Baywa veröffentlicht ihre Bilanz am 30. März.
Derzeit „guter Lauf“
„Wir haben derzeit einen guten Lauf. Wir haben eine schöne Entwicklung im Agrarbereich. Das zeigt, dass wir in diesem Geschäftszweig vieles richtig machen – vor allem im physischen Getreidehandel, aber auch bei der Risikoabsicherung. So einfach, wie das klingen mag, ist es aber nicht. Es gibt auch Unternehmen, die in der Branche Geld verlieren. Es hängt vor allem vom Timing ab, also wie und wann man im Agrarmarkt als Händler einsteigt und wieder aussteigt. Wir hatten schon andere Zeiten erlebt. Da haben wir Verluste geschrieben. Wir hatten nicht immer eine glückliche Hand beim Einkauf und beim Verkauf. Das war im Jahr 2008. Die Baywa hat aber einen Paradigmenwechsel vorgenommen. Mit einem strukturierten Risikomanagementsystem können wir auf die Marktentwicklungen heute besser reagieren als in der Vergangenheit“, sagt Lutz.
Die Fortschritte spiegeln sich zunehmend in der Aktie wider. Seit Anfang 2021 gewann der Titel rund zwei Fünftel an Wert. Am Dienstag notierte das Papier zeitweise bei 42,65 Euro. Der zum genossenschaftlichen Sektor gehörende größte westeuropäische Agrar- und Baustoffhandelskonzern bringt an der Börse 1,5 Mrd. Euro auf die Waage.
Auf Rekordkurs
„Mehr und mehr Fondsmanager verstehen, dass die Baywa AG sehr viel Kurspotenzial hat. Zwei Kernthemen treiben derzeit den Aktienkurs: erstens das Agrarthema, zweitens das Thema erneuerbare Energien. Die Kursziele mancher Analysten liegen in einer Spanne von 48 bis 70 Euro. Der Konsensus liegt bei 56 Euro. 2022 erreichten wir gute Kurszuwächse. Die Liquidität der Aktie ist aber relativ gering. Das liegt an dem verhältnismäßig kleinen Streubesitz. Der Free Float beträgt rund 40 %“, berichtet der CFO. „Klar ist, dass die erneuerbaren Energien das größte Wachstumspotenzial haben. Das Thema kommt bei den Anlegern an“, ergänzt Helber.
In den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres steigerte der Konzern den Umsatz um 42 % auf 20,1 Mrd. Euro. Mit 413 Mill. Euro hatte sich das Betriebsergebnis in diesem Zeitraum mehr als verdoppelt. „Wir werden 2022 rund 25 Mrd. Euro umgesetzt haben. Davon entfällt rund die Hälfte auf die Agraraktivitäten und rund 40 % auf die beiden Energiebereiche Erneuerbare und Klassische Energie“, berichtet Helber über die Struktur der Erlöse. Zum Vergleich: 2021 steigerte der Konzern seinen Umsatz um ein Fünftel auf 19,8 Mrd. Euro. Das operative Ergebnis wuchs seinerzeit um 30 % auf 270 Mill. Euro. Größter Ergebnisbringer ist derzeit das Geschäft mit Solar- und Windkraftanlagen. „Auf das operative Konzernergebnis entfallen rund 40 % auf die erneuerbaren Energien und jeweils rund 30 % auf die Agrarbereiche und die klassischen Energien“, so der CFO.