Von Andreas Hippin, London

Undank ist der Welt Lohn, mag sich der AstraZeneca-Chef Pascal Soriot denken. Schließlich gibt das britisch-schwedische Pharmaunternehmen seinen Sars-CoV-2-Impfstoff für die Dauer der Pandemie zum Selbstkostenpreis ab. Doch seit der Notfallzulassung durch die britische Arzneimittelaufsicht MHRA am 30.12.2020 werden auf dem europäischen Kontinent Zweifel an dem Vakzin ge­schürt. Erst wurde unterstellt, der britische Regulierer habe nicht die nötige Sorgfalt walten lassen. Später hieß es, der Impfstoff sei bei Menschen über 65 so gut wie wirkungslos und ohnehin lange nicht so gut wie das Produkt der deutschen Biontech, hinter dem der Viagra-Hersteller Pfizer steht.

Nun wird seine Verimpfung in vielen EU-Mitgliedsländern ausgesetzt, weil es Fälle gibt, in denen sich nach Verabreichung Blutgerinnsel gebildet haben. Das mag in normalen Zeiten eine berechtigte Vorsichtsmaßnahme sein, auch wenn sich im Vergleich zur Gesamtbevölkerung keine größere Häufigkeit von Blutgerinnseln nachweisen lässt. Doch während einer Pandemie geht es darum, möglichst schnell möglichst viele Menschen zu impfen, insbesondere wenn sich eine weitere Welle von Neuinfektionen abzeichnet. Entsprechend groß ist die Fassungslosigkeit unter britischen Wissenschaftlern, die überhaupt nicht verstehen können, wie man zu solchen Entscheidungen kommen kann.

Gewiss, in Brüssel ist man verärgert darüber, dass man in den Verhandlungen mit AstraZeneca weniger gute Konditionen aushandeln konnte als London. Das hat man sich aber in erster Linie selbst zuzuschreiben. Die Aussetzung der Impfungen erweckt eher den Eindruck, dass in alternden Gesellschaften, denen der Status quo über alles geht, keine große Risikoabwägung mehr stattfindet. Man fürchtet den Impfstoff wie die Pandemie und fragt nicht mehr, was in Kauf genommen werden muss, um eine weitere Ausbreitung von Sars-CoV-2 zu verhindern.

Willkommen in der Nullrisiko-Gesellschaft, die bereits in den extremen Lockdown-Maßnahmen Italiens und Spaniens ihren Ausdruck fand. In ihr müssen alle Risiken gleichermaßen vermieden werden, egal ob es sich dabei um das sehr reale Covid-19-Ansteckungsrisiko handelt oder das verschwindend geringe Risiko eines Blutgerinnsels durch einen Impfstoff. Das führt zu lähmendem Stillstand. Italien hat bereits wieder Ausgangsbeschränkungen verhängt. Zudem dürften sich die ohnehin zahlreichen Impfgegner bestätigt fühlen. Das wird die Opferzahlen weiter in die Höhe treiben. Für AstraZeneca ist das übrigens kein Problem, denn es finden sich genug andere Abnehmer.