IPOs

Die Tür zur Börse klemmt vorerst

Auf den Boom folgt die Flaute: Seit einem halben Jahr hat kein größerer Börsengang mehr in Deutschland stattgefunden – und daran wird sich wohl auch in den kommenden sechs Wochen nichts ändern.

Die Tür zur Börse klemmt vorerst

cru Frankfurt – Mehr als ein Dutzend Unternehmen mit einer Bewertung oberhalb von 1 Mrd. Euro in Deutschland gelten als Kandidaten für einen baldigen Börsengang – darunter so große wie die VW-Sportwagentochter Porsche, die Thyssenkrupp-Wasserstofftochter Nucera, der Prothesenhersteller Ottobock oder die Springer-Stellenbörse Stepstone. Alle diese Anwärter warten auf den richtigen Zeitpunkt. Seit Jahresbeginn wurde jedoch nur der Börsengang von Cheplapharm angekündigt – und dann wieder abgesagt.

Die Tür zur Börse klemmt. Verwunderlich ist das nicht: Die Ukraine-Krise hat den Volatilitätsindex Vix – auch „Angstindex“ genannt – über die Marke von 20 getrieben, deren Übersteigen als ungünstig für IPOs gilt. „Der Nasdaq-Index ist im Jahresvergleich um 11% gefallen und hat alle wichtigen Aktienindizes mit nach unten gezogen, und der Vix ist kürzlich wieder über 30 gestiegen“, sagt Bastian Schiedat, Head of Continental European Syndicate bei Berenberg. „Auch die Umstellung von Growth auf Value verursacht bei Fondsmanagern einige Schmerzen.“

Im Januar wurden laut Berenberg in Europa nur zwei IPOs und drei Spacs (Special Purpose Acquisition Companies) bepreist – der langsamste Jahresbeginn seit zehn Jahren, während zugleich vier IPOs (Wetransfer, Cheplapharm, Mishcon de Reya, Ibercaja) abgesagt wurden. Hinzu kommt, dass laut Berenberg mehr als 50% der 2021er-Börsengänge inzwischen unter dem Emissionspreis gehandelt werden.

Besser als bei IPOs läuft es bei sonstigen Aktiendeals. Das Emissionsvolumen von vier Kapitalerhöhungen und 17 Sekundärplatzierungen summiert sich auf 4,6 Mrd. Euro und entspricht damit in etwa dem vom Beginn des vergangenen Jahres. „Mehr denn je sind die Investoren sehr wählerisch, wo sie ihre Arbeit machen“, sagt Schiedat. Bei geringen Mittelzuflüssen seinen Investoren nicht geneigt, Zeit in neue Unternehmen zu investieren, wenn die Möglichkeit bestehe, die Unternehmen, die sie gut kennen, durch eine Kapitalerhöhung mit Preisnachlass zu unterstützen. Das gelte vor allem bei Kapitalerhöhungen für ertragssteigernde Übernahmen.

Derweil beginnen die Notenbanken wegen der hohen Inflation, ihre Anleihekäufe einzuschränken, und haben Zinserhöhungen angekündigt. Das führt dazu, dass Investoren die zukünftig erhofften Erträge junger Tech-Unternehmen mit einem höheren Zinssatz diskontieren und somit niedriger bewerten.

Im Gegensatz dazu läuft der Markt für Finanzierungsrunden aus Venture-Capital-Fonds weiter rund, so dass junge Unternehmen länger der Börse fern bleiben können. Auch der Verkauf im Ganzen über M&A-Deals funktioniert. „Deshalb entscheiden sich etliche Eigentümer, die mit einem Dual-Track-Verfahren zum Börsengang neigten, jetzt für einen Verkaufsprozess. Das ermöglicht es, den Besitz auf einen Schlag zu versilbern ohne Kursrisiko in der Zukunft“, fasst ein für Private-Equity-Kunden verantwortlicher Investmentbanker einer US-Bank die Lage zusammen.

Mit gebremstem Optimismus betrachtet Dirk Busch, Partner der Kanzlei Hengeler Mueller in Düsseldorf den IPO-Markt: „Die gestiegene Volatilität im Markt, ausgelöst durch politische Unsicherheiten, die mittlerweile differenziertere pandemische Lage und die Erwartungen an die weitere Inflations- und Zinsentwicklung, bremsen derzeit die Euphorie der Marktteilnehmer“, sagt Busch. „Investoren suchen sichere Anker im Sinne robuster Geschäftsmodelle.“ Wetten auf die Zukunft von hoch bewerteten Tech-Titeln und der Fokus auf „Pandemie-Gewinner“ träten „in den Hintergrund“. „Auf der Suche nach langfristig überzeugenden Lösungen werden die Marktteilnehmer bei IPO-Aspiranten gerade im Tech-Bereich künftig noch genauer hinschauen. Die Stimmung am Markt – ebenso wie der Ausblick für die nächsten Monate – ist damit zwar selektiver, aber nicht schlecht“, sagt Busch. „Insbesondere disruptive Geschäfts- und Wachstumsmodelle bleiben für Investoren interessant.“ An Bedeutung gewännen daneben die intensive und frühe Vorbereitung der Equity Story sowie Umwelt, Soziales und Governance (ESG).

„Insgesamt sind trotz des aktuellen Umfelds etliche erfolgversprechende Börsengänge in der Pipeline und selbst bei steigenden Zinsen bewegen wir uns in historisch niedrigem Zinsumfeld“, sagt Busch. „Liquidität wird insofern in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen.“

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