IM BLICKFELD

Digitalisierung überlagert Standortwahl

Von Stefan Kroneck, München Börsen-Zeitung, 3.10.2017 Würden Sie eine Fabrik für Smartphones im brasilianischen Urwald fern jeglicher Zivilisation ohne Telekommunikationsnetz bauen? Vermutlich nicht. Bei Entscheidungen über einen...

Digitalisierung überlagert Standortwahl

Von Stefan Kroneck, MünchenWürden Sie eine Fabrik für Smartphones im brasilianischen Urwald fern jeglicher Zivilisation ohne Telekommunikationsnetz bauen? Vermutlich nicht. Bei Entscheidungen über einen Produktionsstandort hilft der gesunde Menschenverstand. Im Zeitalter der Globalisierung und der zunehmenden Vernetzung der Arbeitswelt gewinnt die Digitalisierung bei der Standortwahl von Unternehmen an Gewicht.Zwar behalten die Prämissen vorherrschender Standorttheorien, die an denen des Ökonomen Alfred Weber (Transportkosten) anknüpfen, in der Praxis immer noch ihre Gültigkeit, doch haben sich die Bewertungen verschoben. Punkte, die für Unternehmen als essenziell gelten wie Rechtssicherheit, Steuern, Absatzmärkte, Infrastruktur, Arbeitskräfte und Lohnkosten spielen zwar weiter eine wichtige Rolle. Der technische Fortschritt und die sich verändernden Ansprüche in der Gesellschaft (Lebensqualität, Bildung) beeinflussen aber die Entscheidungen für oder gegen einen Standort ebenso.Der Einfluss sogenannter “weicher” Faktoren wächst in der digitalisierten Welt beträchtlich. Das wirkt sich unmittelbar auf den Standortwettbewerb aus. Beispiel Start-ups in Deutschland: Die technologiegetriebene Gründerszene mit ihrer Vielzahl Internet-basierter Geschäftsmodelle ist besonders aktiv in Hamburg und in Berlin, also in den beiden größten Städten der Bundesrepublik. Was macht diese Städte für junge Unternehmer mit ihren interessanten Geschäftsideen, aber wenig Eigenkapital, so attraktiv? Arbeitswelt im UmbruchDie Förderbedingungen der öffentlichen Hand sind es jedenfalls nicht, sind doch diese im Vergleich zu anderen Ballungszentren mittelmäßig. Letzteres ist jedoch nicht ausschlaggebend, sondern die umfangreiche Infrastruktur, über die Großstädte verfügen, selbst: die unmittelbare Nähe zu den relevanten Universitäten, ihre Anziehungskraft auf kultureller Ebene, das Vorhandensein von Start-up-Clustern und das zur Verfügung stehende Humankapital, das überwiegend Hochschulabsolventen stellen. Für diese sind die Lebenshaltungskosten in Orten wie Berlin nicht so hoch wie etwa in Düsseldorf, Frankfurt und München. Das Beispiel der Start-ups zeigt, dass die Digitalisierung die Standortfaktoren Infrastruktur und Produktionsebene (Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte) tangiert.Da der technologische Wandel nahezu alle Lebensbereiche beeinflusst, setzen sich Wissenschaftler, Städteplaner und Unternehmer verstärkt damit auseinander, wie künftig Ballungszentren organisiert und gegliedert werden müssten, um den Anforderungen der Digitalisierung im Idealfall gerecht zu werden. Eine von der zur HypoVereinsbank gehörenden Fondsgesellschaft WealthCap in Auftrag gegebene Studie kommt mit einer Typologie der Stadteinwohner zum Ergebnis, dass jene Bevölkerungsschichten, für die sowohl im Arbeitsleben als auch in der Freizeit der Umgang mit den neuen Techniken obligatorisch ist, mit rund 80 % die Mehrheit stellen. Die städtischen Gewinner des Fortschritts – der Analyse zufolge vor allem die “Environmental Elite” (Altersgruppe der 20- bis 45-Jährigen) und “Academic Leaders” (35 bis 50) – prägen den Arbeitsmarkt von morgen. Denn mit dem technischen Umbruch bilden sich neue Berufsbilder, die wiederum im Spannungsfeld von Arbeit, Wohnen und Freizeit die Standortentscheidungen von Unternehmen mitprägen.Für Ballungsräume wie München, die eine stetig wachsende Bevölkerung aufweisen, wird es schwieriger, die Balance zwischen Präsenz am Arbeitsplatz vor Ort, Mobilität, Fortbewegungsmitteln und dem Wohnort aufrechtzuerhalten. Das Verkehrsnetz ist bereits überlastet. Die Nachfrage nach Wohnraum übersteigt das Angebot deutlich. Mit wachsender Zuwanderung wird das zu einem Standortnachteil, was sich in stetig steigenden Mieten für Wohnungen und Gewerberäume sowie hohen Zusatzkosten für junge Familien (zum Beispiel Kitaplätze) widerspiegelt. Um trotz dieser Umstände attraktiv zu bleiben, müssen ortsansässige Unternehmen neue Arbeitskräfte mit zusätzlichen sozialen Leistungen locken und ihre Arbeitsabläufe generell umstellen. Beitrag zur KostensenkungDabei kann die digitale Transformation eine Hilfestellung bieten, wenn man sie intelligent für die betrieblichen Zwecke nutzt. Die weit verbreitete Präsenzkultur in den Büros von Unternehmenszentralen ist ein Auslaufmodell. Mit wachsender Digitalisierung wird das Home Office sich weiter verbreiten. Beschäftigte können einen Teil ihrer Arbeit zu Hause erledigen, der direkte Austausch mit Kollegen findet nur noch bei Bedarf in der Zentrale statt.Diese Entwicklung führt dazu, dass die Verwaltungsapparate der großen Dax-Konzerne tendenziell schrumpfen. Ihr Bedarf an Büroflächen sinkt. Das trägt nicht nur dazu bei, die Fixkosten zu reduzieren, sondern auch den Straßenverkehr (Pendler) zu entlasten. Schlussendlich kann dies bewirken, der Utopie einer idealen Stadt der Zukunft näherzukommen. Letzteres ist daher nicht allein eine Aufgabe der kommunalen Verwaltung, sondern ist auch eine Frage der Standortkonzepte von Unternehmen.